"Kleine Hexe" ohne "Neger"
16. Juli 2013"Die kleine Hexe" gehört auch zu den Büchern, die Literaturwissenschaftlerin Andrea Weinmann (49), ihrem kleinen Sohn vorgelesen hat. Die Geschichte von Otfried Preußler zählt zu den beliebtesten Kinderbüchern in Deutschland. Obwohl das Buch 1957 erstmals veröffentlicht wurde, verkauft es sich nach Angaben des Thienemann Verlages immer noch sehr gut: pro Jahr durchschnittlich 50.000 Exemplare. Die Neuauflage des Kinderbuchklassikers ist nun am 15. Juli 2013 erschienen.
Erklären, warum Begriffe andere Menschen verletzen
Die kleine Hexe hat den großen Wunsch, einmal mit ihrem Besen um den Blocksberg zu fliegen. In der Geschichte gibt es auch eine Faschings-Szene, bei der die kleine Heldin Kindern in Kostümen begegnet. Hier ist im Originaltext von "Negerlein", "Neger" und "Eskimofrauen" die Rede. Bei solchen Passsagen hat Andrea Weidmann das Vorlesen unterbrochen und ihrem Sohn erklärt, dass diese Begriffe heute nicht mehr verwendet werden und warum sie andere Menschen verletzen.
Rassistische und diskriminierende Begriffe hat der Stuttgarter Verlag jetzt in einer seit Juli erscheinenden Neuausgabe gestrichen. "Wir sind ein Klassikerverlag", erklärt Sprecherin Svea Unbehaun. Daher sei es auch wirtschaftlich wichtig, die Werke von Autoren wie Preußler neu aufleben zu lassen und einer jüngeren Leserschaft zugänglich zu machen. Der Verlag reagiert damit auf eine Reihe von Leserbriefen, die er nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren immer mal wieder bekommen hat.
Familie des Autors hat zugestimmt
"Der Verleger Klaus Willberg hat immer wieder bei der Familie Preußler angefragt, ob die Stellen geändert werden dürfen", so Unbehaun. Jetzt hat die Familie des Autors zugestimmt. "Uns ist wichtig, dass bei der Überarbeitung der Sinnkontext nicht verändert wird", erklärt die Verlagssprecherin. Auch "das Traumfresscherchen" von Michael Ende ("Die unendliche Geschichte") wurde bereits überarbeitet, weil an einer Stelle das Wort "Neger" vorkam.
Thienemann gehört zu einer Reihe von Verlagshäusern, die sich mit dem Problem von rassistischen Begriffen in ihren Kinderbuchklassikern auseinandersetzen müssen. Der Friedrich Oetinger Verlag gab 2009 eine Neuausgabe von Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf" heraus. Jetzt wird Pippis Vater nicht mehr als "Negerkönig", sondern als "Südseekönig" bezeichnet. Der Hanser Verlag dagegen entschied sich bewusst dafür, bei einer Neuübersetzung des Abenteuer-Romans "Huckleberry Finn" von US-Autor Mark Twain rassistische Begriffe wie "Nigger" nicht zu streichen. Der Übersetzer Andreas Nohl wollte Twain nicht nachträglich klüger aussehen lassen, wie er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte.
"Was erwartet man von Klassikern?"
Auch Literaturwissenschaftlerin und Preußler-Expertin Andrea Weinmann würde dem Thienemann Verlag am liebsten davon abraten, "Die kleine Hexe" in einer veränderten Version zu veröffentlichen. Nicht, weil sie die Begriffe nicht problematisch fände, sondern, weil es für sie eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geben müsse. "Ich schließe es aus, dass Preußler Rassist war", sagt sie. Seine Werke und seine Äußerungen ließen keine Zweifel an seinem Weltbild zu, ist ihr Urteil. "Die Frage ist doch, was erwartet man von Klassikern?", sagt Weinmann. Sie erlebe es immer wieder in ihren Seminaren an der Frankfurter Goethe-Universität, dass Studierende ein Aha-Erlebnis beim Lesen der Klassiker als Erwachsene haben. "Sie stellen fest, dass die Bücher ganz anders sind als in ihrer Kindheitserinnerung."