Letzte Versuche zur Lösung der griechischen Krise
11. Juni 2015Es war das Zitat des Tages, geliefert von EU Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: "Die Kuh muss vom Eis, aber sie rutscht dauernd wieder aus. Wir versuchen sie heute wieder anzuschieben". Das Bild mischt veterinäre mit automobilen Elementen, und man kann es wohl als Zeichen rhetorischer Erschöpfung sehen oder als Versuch, die wartenden Journalisten ein wenig zu amüsieren. Spätestens als Junckers Sprecher dann versuchte, den Kuh-Vergleich ins Englische zu übersetzen, wurde gelacht. Manche schlugen noch andere Ausflüge ins Tierreich vor, etwa zu den als besonders störrisch geltenden Mauleseln.
Immerhin bestätigte der Kommissionspräsident, dass Alexis Tsipras – nach zwischenzeitlicher Verstimmung – jetzt wieder sein Freund sei. Das zweistündige Gespräch zwischen beiden am Nachmittag wurde also als freundlich, konstruktiv und wichtig bezeichnet. Juncker habe dem Griechen dargelegt, wie man jetzt mit den drei Gläubiger- Institutionen noch rechtzeitig zu einer alle Seiten befriedigenden Lösung kommen könne. Es bleibt im Prinzip nur eine Woche, bis zum Treffen der Finanzminister der Eurogruppe am nächsten Donnerstag. Diplomaten nannten das Gespräch "einen letzten Versuch". Wenn der Prozess normal verlaufen wäre, hätte es eigentlich nicht mehr stattfinden müssen. Der griechische Ministerpräsident selbst sagte zum Inhalt nur vage, man arbeite daran, die Differenzen in Steuer- und Finanzfragen zu überwinden. Das aber hat er schon mindestens zwanzigmal gesagt.
Gespräche abgebrochen
Minuten später aber machte der IWF aus Washington klar, was davon zu halten ist: Nichts. Sprecher Gerry Rice erklärte, dass es bei den meisten wichtigen Punkten zwischen beiden Seiten große Differenzen gebe. "Diese seien zuletzt nicht überbrückt worden". Das IWF-Verhandlungsteam sei aus Brüssel abgereist. Kurz darauf wurde berichtet, dass auch die griechischen Unterhändler die Stadt verlassen hätten. Diese Meldung machte klar, dass der zwischenzeitliche Optimismus wohl verfrüht gewesen war. Vor allem am Finanzmarkt war Vorfreude ausgebrochen: Gestern schon hatte die New Yorker Börse auf eine Falschmeldung über ein extremes Nachgeben der Deutschen in der Griechenlandfrage mit steigenden Kursen reagiert, heute zogen die europäischen und sogar der griechische Aktienmarkt nach. Allein die Tatsache weiterer Spitzentreffen gab offenbar Grund zu der Hoffnung, die Krise sei quasi abgewendet. Viele hielten in den letzten Tagen die Beschwörungen des Fortschritts wohl für die Realität.
Beschwörungen von allen Seiten
Selbst EU-Ratspräsident Donald Tusk verließ in Brüssel die ihm gebotene Zurückhaltung: Die griechische Regierung müsse "etwas realistischer" werden, "es gibt keine Zeit mehr für Spielchen". Ohne Durchbruch könne es sonst in den nächsten Tagen heißen:"Das Spiel ist aus". Das ist undiplomatisch genug, um eine wirklich drängende Warnung zu sein. Auch der Pole Tusk nannte das Treffen der Eurogruppe in der kommenden Woche als letzten Termin. Etwas charmanter, aber ebenso dringlich, hatte der französische Währungskommissar Pierre Moscovici im Radiointerview gemahnt: "Ich liebe griechisches Drama, aber jetzt ist es Zeit für ein Happy End". Nur Angela Merkel blieb gewohnt nüchtern: Sie hoffe, dass Griechenland jetzt mit Hochdruck an einer Einigung mit den internationalen Geldgebern arbeite. "Ich hoffe, dass das jetzt auch die notwendigen Fortschritte bringt". Die Bundeskanzlerin hat keine Angst sich zu wiederholen, um den Zeitdruck darzustellen, unter dem die Verhandlungen inzwischen stehen. Sie war allerdings schon aus Brüssel abgereist, als die Meldung vom Abbruch der Gespräche zwischen den Verhandlungsteams der Gläubiger und Griechenlands eintraf.
Tsipras steht unter Druck
In Brüssel zeigen viele Verständnis dafür, dass der griechische Regierungschef zu Hause enorm unter Druck steht. Und Schwierigkeiten macht nicht nur der linke Flügel seiner Partei. Die Entscheidung des obersten Verwaltungsgerichtes in Athen, wonach ein Teil der letzten Rentenreform widerrechtlich sei und zurück genommen werden müsse, erschwert Tsipras Lage weiter. Es fehlen dadurch zusätzliche 1,5 Milliarden Euro in der Kasse. Diplomaten kommentierten, dieses neue Problem müsse in die Verhandlungen einbezogen und gelöst werden. Darüber hinaus besetzten Anhänger der griechischen Kommunisten das Finanzministerium in Athen aus Protest gegen die Politik der Regierung. Die Hardliner werfen Alexis Tsipras inzwischen Verrat an seinen Wahlversprechen vor. Und in Umfragen in der Bevölkerung wiederum zeigt sich inzwischen eine Mehrheit unzufrieden mit seiner Verhandlungsführung, sie wollen eine Lösung des Streits mit den Gläubigern. Die europäischen Gesprächspartner sehen das Dilemma, in dem der Grieche steckt.
Zocken jetzt auch die Europäer?
Nach zehn Tagen intensiver politischer Bemühungen, nach Beschwörungen und vielstündigen Gesprächen ist nach wie vor keine Bewegung zu erkennen. Und die Gläubiger drehen jetzt zunehmend an der Schraube, um den Druck weiter zu erhöhen. Sie betonen auch, dass die Krise durch politische Absichtserklärungen nicht zu beenden ist. Die Bundeskanzlerin hatte dem griechischen Regierungschef einmal mehr eindringlich erklärt, die Lösung müsse mit den Gläubigern, den sogenannten Institutionen, im Detail ausgearbeitet werden. Es geht um Zahlen, belastbare Zusagen und den sofortigen Vollzug erster Reformschritte: Man müsse zunächst Handlungen sehen, sagte ein EU-Diplomat dazu, und das bedeute Gesetze und Abstimmungen im Parlament. Alexis Tsipras müsste z.B. die geforderte Rentenreform fertig in der Schublade haben, um sie rechtzeitig vor Monatsende verbschieden zu lassen. Und erst dann soll Geld fließen. Allerdings ist am 30 Juni Ultimo: Dann werden die gebündelten 1,6 Milliarden für den IWF fällig, und das Geld kann Athen nach bisherigem Stand nicht zahlen. .