Kunst des Scheiterns
1. Januar 2014Erfolg und Scheitern gehören zum Berufsleben. Doch in Deutschland gilt die Pleite als persönliches Versagen. Aus Angst zu scheitern, würde der Hälfte aller 18- bis 64-jährigen Deutschen keine Firma gründen. In den USA sind es nur 37 Prozent, so der Global Entrepreneur Monitor 2012. "Die Daten zeigen, dass in der deutschen Bevölkerung insbesondere die Angst vor einem unternehmerischen Scheitern tief verwurzelt ist und viele Menschen von einer Selbstständigkeit abhält", so Arne Vorderwülbecke. Er hat den Report für Deutschland mitverfasst. Kein Wunder, dass es immer weniger Neugründungen in Deutschland gibt. 2012 haben sich 775.000 Menschen selbstständig gemacht, nur halb so viel wie 2002.
Der schnelle Aufstieg von Myparfum.de
Matti Niebelschütz hat den Schritt gewagt und 2008 in Berlin das Startup Myparfum.de gegründet. Seine Geschäftsidee: Die Kunden kreieren ihre eigenen Düfte und bestellen sie online. Die Idee kam an, das Geschäft wuchs schnell. Aus ein bis zwei Bestellungen täglich wurden einige Hundert, an Weihnachten 2012 waren es 500 pro Tag. Ein Business Angel stieg ein, die Mitarbeiterzahl stieg auf 60, teure Fernsehwerbung wurde geschaltet. Dann, im Winter 2012 gab es weniger Bestellungen als gedacht. "Anstatt den Umsatz zu verzehnfachen, wollten wir 1000 Prozent Wachstum. Die Kosten sind gestiegen, die Umsätze leider nicht", so der 27-Jährige. "Wir haben uns übernommen." Im Dezember mussten die ersten 25 Mitarbeiter gehen. Im März meldete er Insolvenz an.
Scheitern als Chance
Matti Niebelschütz überlegte, wie es weitergehen soll, dachte ans Auswandern. Da machte ihm sein Bruder ein Angebot. Mit seiner finanziellen Unterstützung kaufte er die Firma aus der Insolvenzmasse zurück. Heute führen sie das Unternehmen gemeinsam mit 10 Mitarbeitern. Das Wachstumsziel liegt bei 20 Prozent. Neben dem Online-Handel hat Matti Niebelschütz einen kleinen Laden in Berlin Mitte eröffnet.
"Scheitern ist eine Chance für einen Neuanfang", findet er. "Generell ist in Deutschland Scheitern aber ein rotes Tuch. Menschen, die das durchmachen, sind gebrandmarkt." Das sieht auch der Bund deutscher Psychologen so. 2010 hat er eine Studie über erfolgreiches Unternehmertum in Deutschland herausgebracht. "Die vorherrschende Sicht auf Risiko und Unsicherheit ist mit Gründerfreude nicht vereinbar. Wer gründet, der muss mit dem Risiko leben, dass dieses Vorhaben scheitert", sagt Thordis Bethlehem, die an der Studie mitgearbeitet hat. "Scheitern ist in Deutschland eine Schmach und mit einem lang anhaftenden Makel verbunden."
Der Absturz nach 30 Berufsjahren
Carsten Voss war in seinem Leben immer erfolgreich. Nach dem Abitur startete er voll durch, machte eine Ausbildung zum Diplom-Kaufmann und war mit 25 Jahren Marketingleiter einer Modemarke. Es ging immer noch ein Treppchen höher in der Modebranche. Zuletzt war er Geschäftsführer der Berliner Messe Bread & Butter. 90-Stunden-Wochen waren für ihn normal, an 200 Tagen im Jahr war er auf Dienstreise. Bis vor drei Jahren der Absturz kam: Burn-Out.
Carsten Voss verkroch sich. Alles ging verloren, sein Job, der Kontakt zu den Freunden. "Ich wurde oft gefragt: Wie geht's? Alles okay? Aber in der Phase will man keine Hilfe oder ich wollte sie nicht, ich wollte kein Kontakt", so Voss. "Das ist so eine Mischung aus Scham und Stolz und dann zieht man sich zurück. Ich habe das zumindest getan." Als er monatelang die Miete nicht bezahlte, verlor er seine Wohnung. Er lebte eine Weile auf der Straße, verkaufte seine teure Kleidung. Dann beschloss er weiterzumachen.
Nie wieder zurück in den alten Beruf
"Ich habe lange überlegt", sagt Carsten Voss. "Ich wusste schnell, was ich nicht mehr machen wollte: nicht mehr in der Branche, nicht mehr in einem Profit-Unternehmen arbeiten. Aber wenn man ein Leben lang Manager war, möchte man auch weiter Manager sein." Carsten Voss macht jetzt eine Umschulung zum EU-Fundraiser, vom Jobcenter bezahlt, sechs Monate lang.
Er hat beschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil seine Geschichte kein Einzelfall ist. "Ich glaube, dass Stress in vielen Bereichen dazugehört, dass Überlastung dazu gehört, dass es selbstverständlich erwartet wird auch von jungen Leuten. Es sind ja nicht nur Alte oder Ältere, die ein Burnout haben", so Voss. "Nur Wenige äußern sich zu dem Thema."
Hilfe für Menschen in Insolvenz
Aus diesem Grund hat Attila von Unruh den Bundesverband Menschen in Insolvenz und neue Chancen e.V. gegründet, ein Netzwerk für Menschen, die in die Insolvenz gerutscht sind oder die kurz davor stehen. "Anonyme Insolvenzler" heißen die Gesprächskreise, die der Verband bundesweit anbietet. "Wir wollen es den Leuten leichter machen. Man will sich ja nicht outen, wenn man in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation ist", sagt Attila von Unruh. "Das ändert sich schnell, wenn sie zusammen sind und in der Gruppe merken: Sie sind ganz normal, denn 20 anderen geht es ähnlich. Dann werden auf einmal Nummern ausgetauscht."
Ein Kulturwandel in Deutschland
Attila von Unruh hat ein Ziel: Er will die Mentalität in Deutschland ändern, eine Kultur der zweiten Chance schaffen, ähnlich wie in England oder den USA. "In Deutschland kommt das Insolvenzrecht aus dem Strafrecht, da haben sie sich strafbar gemacht. Hier ist der Aspekt der Strafe und der Schuld stärker verwurzelt als in angelsächsischen Ländern", so von Unruh. "Unsere Mission ist es, das Scheitern zu enttabuisieren, es als Teil des Lebens zu sehen. Man kann gewinnen, man kann scheitern. Wir scheitern jeden Tag, wir müssen eine Haltung entwickeln, eine Fehlerkultur. Wir müssen Neues ausprobieren und damit auch scheitern können, sonst können wir keine Innovation schaffen."