In Cannes beginnen die 77. Filmfestspiele
13. Mai 2024Wie in jedem Frühling feiert die Branche in dem südfranzösischen Küstenort zwölf Tage lang ein Hochfest der Filmkunst, dieses Mal vom 14. bis 25. Mai. Cannes rollt den roten Teppich aus. Stars vieler Länder reisen an, Regisseure, Produzenten, Autoren und natürlich - Lieblingsmotiv der Paparazzi: Schauspielerinnen und Schauspieler.
Zur Eröffnung flimmert - noch außer Konkurrenz - die Filmkomödie "Le deuxième acte" (Festivaltitel: "The Second Act") von Quentin Dupieux über die Leinwand, ein verzwicktes Gefühlsdrama zwischen vier jungen Leuten. Im Hauptwettbewerb dominieren in diesem Jahr französische und amerikanische Produktionen, darunter der Monumentalfilm "Megalopolis" von Francis Ford Coppola. Das futuristische Science-Fiction-Drama mit Anklängen an das Römische Reich handelt von einem Architekten, der New York zu einer Utopie machen will.
Rasoulof: Flucht aus dem Iran
Beim Festival von Cannes soll auch der Film "Der Samen der heiligen Feige" von Berlinale-Gewinner Mohammed Rasoulof gezeigt werden. Ein iranisches Berufungsgericht hatte den Regisseur und Regimekritiker wegen "Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" zu einer achtjährigen Haftstrafe mit Peitschenhieben und einer hohen Geldstrafe verurteilt. Am vergangenen Wochenende ist Rasoulof jedoch die Flucht aus dem Iran gelungen. "Ich musste mich zwischen dem Gefängnis und dem Verlassen Irans entscheiden. Schweren Herzens habe ich mich für das Exil entschieden", so Rasoulof, der sich derzeit an einem unbekannten Ort in Europa aufhält. Sein Anwalt Babak Paknia bestätigte der Nachrichtenagentur AFP, dass Rasoulof am Filmfestival im Cannes teilnehmen werde.
Rasoulof hatte 2020 den Goldenen Bären für seinen Film "Doch das Böse gibt es nicht" verliehen bekommen. Den Preis konnte er nicht entgegennehmen, weil er schon damals den Iran nicht verlassen durfte.
Ein Film über Donald Trump
Zu sehen sind auch das neueste Werk von Giorgos Lanthimos ("Kinds of Kindness"), das drei sehr unterschiedliche Menschen in den USA porträtiert, und "Emilia Perez" von Jacques Audiard, eine Musical-Komödie über einen mexikanischen Drogenboss, der seine Vergangenheit hinter sich lassen und als Frau ein neues Leben beginnen will. Aber auch "The Apprentice", ein Film über die Karriere von Donald Trump im New York der 1980er-Jahre, dürfte einige Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Marvel-Superheld Sebastian Stan spielt den späteren US-Präsidenten, die Oscar-nominierte "Borat"-Entdeckung Maria Bakalova seine Frau Ivana. Regie führt der iranisch-dänische Filmemacher Ali Abbasi ("Border").
Der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa stellt in Cannes seinen neuen Dokumentarfilm "Invasion" vor - zehn Jahre nach seinem Dokumentarfilm "Maidan", der die ukrainischen Proteste zeigte, die zum Sturz des damaligen kremltreuen Präsidenten Viktor Janukowitsch führten. Nun geht es in "Invasion" um den russischen Angriffskrieg auf sein Land. Er wolle "zeigen, wie der Krieg das Land verändert", so Loznitsa.
Nur vier Filme von Frauen
Was im Blitzlichtgewitter von Cannes unterzugehen droht: Nur bei vier von insgesamt 22 Wettbewerbsfilmen führten Frauen Regie. Bemerkenswert dabei: Die französische Schauspielerin Judith Godrèche stellt ihren MeToo-Kurzfilm "Moi aussi" vor, in dem sie von Opfern sexueller Gewalt erzählt.
Deutsche Filme wurden in diesem Jahr gar nicht eingeladen. Und erstmals gibt es in Cannes auch einen Wettbewerb für sogenannte "immersive" Werke. Sie nutzen Technologien wie virtuelle oder erweiterte Realität, ermöglicht wiederum durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Der Streit über die Folgen von KI-Nutzung hatte im vergangenen Jahr zu hartenArbeitskämpfen in der US-Filmindustrie geführt, die über Monate blockiert war.
Streiks der Filmarbeitenden drohen
Auch in Cannes könnte es nun zu einem Streik kommen. Die Vereinigung "Sous les écrans la dèche" (Unter den Leinwänden ist Ebbe) droht mit einer empfindlichen Störung des Festivalbetriebs. Der Zusammenschluss von Filmvorführern, Programmgestaltern, Ticketverkäufern und Gästebetreuern beklagt die zunehmende Prekarisierung der filmnahen Berufe. Sie prangert auch die jüngsten Reformen der französischen Arbeitslosenversicherung an.
Die 77. Ausgabe des Festivals dürfte der große Auftritt von Meryl Streep werden. Die amerikanische Schauspielerin wird gleich zu Beginn mit der Goldenen Ehrenpalme für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Mit über 60 Filmen hat sie bald ein halbes Jahrhundert Filmgeschichte geprägt. In Filmen wie "Kramer gegen Kramer", "Jenseits von Afrika" oder "Der Teufel trägt Prada" erlangte Meryl Streep den Nimbus einer Leinwandikone. Die heute 74-Jährige erhielt drei Oscars und 21 Nominierungen. Neben ihr wird auch "Star Wars"-Erfinder George Lucas, der in Cannes auch seinen 80. Geburtstag feiern wird, mit einer Goldenen Ehrenpalme geehrt. Eine weitere Goldene Palme geht an das japanische Animationsstudio Ghlibli.
Vorsitzende der Festival-Jury war in diesem Jahr die Filmemacherin Greta Gerwig ("Barbie"). Doch schon im letzten Jahr hatten Festivalleiter Thierry Frémaux und sein Team eine erfolgreiche Ausgabe hingelegt: So erwies sich Justine Triets Beziehungsdrama "Anatomie eines Falls", auch dank einer überragenden deutschen Hauptdarstellerin Sandra Hüller,als überzeugender Gewinnerfilm, der später auch einen Oscar gewann. "Überhaupt fuhren Filme aus der offiziellen Festivalauswahl", wie die Zeitschrift "Spiegel" unlängst vorrechnete, "rekordverdächtige 26 Oscarnominierungen ein". Oscars gab es auch für Jonathan Glazers Auschwitzfilm "The Zone of Interest" - ebenfalls mit Sandra Hüller und in Cannes gefeiert - sowie Aki Kaurismäkis "Fallende Blätter und "Perfect Days" von Wim Wenders. Die Latte für die Goldene Palme in Cannes 2024 liegt hoch.
Dieser Artikel wurde am 15.05.2024 aktualisisert.