Event mit Kulturcharakter?
15. März 2015Eine Besonderheit der deutschen Kultur ist ihre Messebesessenheit. Nirgendwo finden so viele angebliche Spezialisten-Treffen statt. Sogar eine "Erotikmesse" geistert regelmäßig in deutschen Großstädten um. Und lediglich in Deutschland betrachtet man es als notwendig, nicht nur eine, sondern zwei Buchmessen im Jahr zu haben. Unter den beiden hat die Leipziger Buchmesse eher den Eventcharakter. Nachdem die Veranstaltung in der DDR im Schatten der Frankfurter Buchmesse existieren musste, versucht sie sich nun als Volksfest zu positionieren. Fünf Tage wird überall in der Stadt - von dem trendigen Moritzbastei-Kulturzentrum zu dem Italiener an der Ecke - vorgetragen und zugehört, was das Zeug hält. "Leipzig liest" heißt die Reihe. Und auf dem Messegelände selbst sieht es oft eher wie ein Jahrmarkt als ein Treffen für Produzenten und Händler des schönen Wortes aus.
Erfüllt die Leipziger Buchmesse überhaupt noch eine ernstzunehmende Funktion? Fördern solche bunten, manchmal sogar schrillen Veranstaltungen in irgendeiner Art und Weise das allgemeine Interesse an Belletristik und Sachbüchern? Um diese Fragen zu beantworten, machte ich mich auf den Weg nach Leipzig.
Mangas und Mitbringsel
Ohne Frage hat die diesjährige Messe ihre seriösen Seiten. Israel ist das Gastland, der postmoderne rumänische Romanautor Mircea Cartarescu wurde mit dem Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung geehrt. Dennoch war der erste Eindruck Kirmes statt Kultur. Überall wo man hingeht sieht man Fernsehkameras, in der riesigen "Glashalle" befindet sich eine Fressmeile, für die sich kein Einkaufszentrum zu schämen bräuchte.
Dazu die Comics. Zum zweiten Mal wird die eigentliche Messe von einer Manga-Convention begleitet, auf der junge, als Krieger und Schulmädchen in Miniröckchen kostümierte Menschen hin und her stolzieren. Man kann sogar traditionelles japanisches Bogenschiessen üben, mit ein paar hilfreichen Tipps von entsprechend gekleideten Meistern. Allgemein ist das Durchschnittsalter der Besucher ziemlich jung. Die Rentner, die schläfrig nicken, während irgendein Generationsgenosse auf der Bühne über dies oder jenes schwerwiegende Thema referiert, sind heutzutage deutlich in der Minderheit. Die Messe ist ein beliebtes Ziel für Klassenreisen geworden, Abertausende von Teenagern gehen auf und ab zwischen den Verlagsständen und unterhalten sich in Teenager-Lautstärke darüber, wie viele Werbegeschenke sie ergattert haben.
Face to face
All das hat herzlich wenig zu tun mit Büchern, könnte man meinen. Zum Glück, bin ich Anne-Bitt Gerecke begegnet. Sie ist Chefin von Litrix, einer Plattform des Goethe-Instituts, die Übersetzungen von deutschen Büchern unterstützt. Leipzig, erklärte sie, ist für die Profis immer noch ein sinnvoller und angenehmer Termin.
"Neben diesem 'Run' des allgemeinen Publikums auf die Buchmessen haben diese natürlich auch und vor allem für das Fachpublikum eine große Bedeutung", sagte sie mir. "Man hat innerhalb von wenigen Tagen die Gelegenheit, viele seiner Kollegen aus anderen Verlagen, aus der Presse, aus den verschiedenen Brancheninstitutionen in einem eher zwanglosen Rahmen zu treffen, sich über neue Bücher, künftige Projekte und mögliche Kooperationen auszutauschen. Das ist doch etwas sehr Erfreuliches, dass trotz allseitiger Vernetzung digitaler Art, die face-to-face-Begegnung nach wie vor eine solche Anziehungskraft hat."
Krise hin oder her - es arbeiten nicht gerade wenige Leute in der Buchbranche. Die vier großen Ausstellungshallen auf dem Messegelände waren proppenvoll. Es gibt Verlage, die anscheinend nichts anderes machen, als Ratgeber herausbringen, wie man vegan lebt - sowie eine vergleichbare Anzahl von Verlagen, die exklusiv Bücher darüber publizieren, wie man das Maximum aus seinem Grill herausholt.
"Nur mit Lesegeräten wäre es langweilig"
Die Menschen mögen sich eines Tages zu Pflanzenfressern entwickeln, aber, ob wir Bücher in der jetzigen Form lesen werden, dafür gibt es keinen Grund. Oder etwa doch? Laut Gerecke sei die Leipziger Buchmesse ein gutes Beispiel dafür, wie sehr wir nun doch an dem gedruckten Wort hängen.
"Die Messen sind ohne Zweifel eine sehr gute Werbung für das Buch als Printprodukt, denn nicht umsonst verwenden die Verlage viel Mühe auf die Umschlaggestaltung, die ja oft der erste Anlass für den Griff nach einem bestimmten Buch ist, und auf eine ansprechende und zeitgemäße Aufmachung des gesamten Buches," meinte Gerecke." Man stelle sich nur mal vor, wie eine Messe aussähe, auf der nur lauter Lesegeräte mit den Texten herumstünden. Nicht gerade ein Publikumsmagnet, würde ich vermuten."
Da ist etwas dran. Auf der anderen Seite: Was würde man sonst von einer Frau erwarten, deren Job es ist, deutsche Bücher zu promoten? Nachdem ich nach Berlin zurückgekehrt war, wollte ich ihre These überprüfen, und zwar in dem Buchladen um die Ecke.
Der Domino-Effekt
Philipp Sawallisch, der Besitzer der Buchhandlung Stadtlichter in Berlin-Neukölln, lehnt das Klischee vom armen, kurz vor dem Aussterben stehenden Buchhändler entschieden ab. Laut des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, sagt er, sei 2013 der Umsatz im stationären Bereich sogar leicht gestiegen. Und der Medienrummel um Leipzig und Frankfurt nütze sehr wohl etwas.
"Für Verleger sind die beiden Buchmessen ein Anlass, besonders viel zu publizieren, und das schafft einen Domino-Effekt", sagt Sawallisch. "Es gibt jede Menge Rezensionen in den Zeitungen, und das führt dazu, dass die Leute wissen, was auf dem Markt ist, und in die Buchläden gehen."
Obwohl immer mehr Deutsche sich mit Amazon und E-Books anfreunden, fügt Sawallisch hinzu, bestelle die Mehrzahl der Leser aus unterschiedlichen Gründen immer noch analoge Bücher in traditionellen Läden.
Also scheint die Leipziger Buchmesse trotz der manchmal übertriebenen Schrillheit doch eine Daseinsberechtigung zu haben. Dabei fällt mir eine kleine Anekdote aus Leipzig ein. Während ich durch die Messe ging, legte ich eine kurze Pause ein, um ein Foto von drei Jugendlichen zu machen, die auf dem Boden saßen. "Ey, Mann, was soll das?" fragte der eine, als ob ich ihn blamieren wollte. Wie seine Kumpels las er in einem Buch.