Die Macht des Terrors
12. September 2012Lange galt die Republik Mali als demokratisches Musterland in Westafrika. Mit einer Verfassung, zahlreichen Parteien und einer Nationalversammlung hatte sich das Land in den vergangenen Jahrzehnten von einem Einparteienstaat in eine mehr oder weniger funktionierende Demokratie verwandelt. Davon ist in Mali nicht mehr viel übrig. In den vergangenen Monaten hat die Regierung die Kontrolle über weite Teile ihres Staatsgebietes verloren. Im Norden des Landes geben mittlerweile terroristische Gruppierungen den Ton an. Manche Beobachter warnen bereits davor, dass sich Mali zu einem gescheiterten Staat entwickeln könnte.
Anzeichen für einen gescheiterten Staat
Dafür gibt es einige Anzeichen: Das Land ist gespalten, militante Dschihadisten gewinnen immer mehr Einfluss, Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. "Der Putsch gegen den Präsidenten war sicherlich die Initialzündung für diese Entwicklung", sagt Peter Heine, emeritierter Professor für Islamwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität.
Im März hatte die malische Armee Präsident Amadou Toumani Touré aus dem Amt gejagt und selbst die Macht ergriffen. Das Argument der Soldaten: Touré sei unfähig gewesen, die Lage im Land zu kontrollieren und sich gegen die rebellierenden Tuareg im Norden Malis durchzusetzen. Dabei hätte Tourés Amtszeit nur noch wenige Wochen gedauert. Die Wahl eines neuen Präsidenten stand unmittelbar bevor. Der Staatsstreich spielte nun allerdings den Tuareg in die Hände – zunächst jedenfalls. In dem Machtvakuum nach dem Putsch verbündeten sich die Tuareg, die sich seit Jahrzehnten von der Regierung in Bamako vernachlässigt fühlen, mit dem Terror-Netzwerk "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" (AQIM).
Verbündete Islamisten
"Die Islamisten der AQIM sind durchaus bereit, mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten, sofern das ihren Interessen dient", sagt Peter Pham, Afrika-Experte des Atlantic Council, einem US-amerikanischen Think Tank. Die beiden Gruppen haben allerdings unterschiedliche Ziele. Dem regionalen Al-Kaida-Ableger AQIM geht es unter anderem darum, das islamische Recht der Scharia durchzusetzen. "Nordafrika und die Sahel-Zone sind zwar seit Jahrhunderten islamisiert, aber in dieser Region hat der Islam seine besonderen Formen", sagt Islamwissenschaftler Heine. "Es handelt sich um einen Volksislam mit Heiligenverehrung, und das sind Vorstellungen, die von Al-Kaida nicht akzeptiert werden. Daher rühren auch die Zerstörungen von Heiligengräbern und anderen Bauten in Timbuktu oder Gao."
An der Einführung der Scharia jedoch haben die Tuareg wenig Interesse. "Die Tuareg sind sozusagen ein Volk ohne Land", sagt Peter Heine. "Sie versuchen seit langem, in der Region einen eigenen Staat zu gründen." Entsprechend kurz währte die Allianz der Tuareg mit AQIM: Mittlerweile haben die Islamisten die Oberhand gewonnen und die Tuareg-Rebellen aus den wichtigsten Städten Timbuktu, Gao und Kidal vertrieben.
Entführungen als Finanzquelle
Dass AQIM und andere islamistische Gruppierungen wie "Ansar Dine" in der Sahel-Zone so schlagkräftig sind, hat mit der Schwäche der Regierungen zu tun – und mit der Strategie der Terrornetzwerke, mit Rauschgifthandel und Entführungen viel Geld einzunehmen. "Manche Regierungen zahlen sehr große Summen, damit ihre entführten Bürger wieder freigelassen werden", sagt Peter Pham. "Damit hat AQIM in den vergangenen Jahren Millionen verdient."
Aber auch der Sturz des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi hat das terroristische Netzwerk gestärkt. Denn Söldner aus der Sahel-Zone, die lange im Dienst von Gaddafi standen, kehrten schwer bewaffnet in ihre Heimatländer zurück. "Seit Beginn des Krieges in Libyen haben die Terroristen in Mali sehr viele Waffen erhalten – und es gibt viele Kämpfer, die einen Job suchen", sagt Afrika-Experte Pham. Islamwissenschaftler Peter Heine befürchtet, dass der Einfluss von AQIM auch in den Nachbarländern noch wächst. "Möglicherweise erhalten wir so etwas wie eine völlig autoritätsfreie Struktur", sagt er. "Geiselnahmen und unglaubliche Mengen von Rauschgift – das wird sich möglicherweise noch verstärken."
Fünf Monate nach Beginn der Besatzung im Norden ist jedenfalls immer noch unklar, ob es einen Militäreinsatz zur Rückeroberung des Gebietes geben wird und wann dieser beginnen könnte. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) hat bereits die Entsendung von etwa 3000 Soldaten nach Mali angeboten. Die Regierung in Bamako beharrt jedoch darauf, dass ihre schlecht ausgerüstete Armee einen Einsatz gegen die Islamisten im Norden anführen sollte. So lange es keine Entscheidung gibt, können AQIM und verbündete Gruppierungen ihren Einluss in der Region noch vergrößern.