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Die Midlife-Crisis des Kapitalismus

Andreas Becker, z.Zt. Kiel1. Oktober 2013

Die Finanzkrise hat auch ihre gute Seite: Ökonomen und Unternehmer fragen sich inzwischen, ob ihre bisherige Definition von Erfolg falsch ist. Doch wie könnte ein Wertewandel in der Wirtschaft aussehen?

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Bild: Fotolia/jaskka

Seinen Kritikern gilt Dennis Snower als neoliberaler, marktgläubiger Ökonom. Der US-Amerikaner ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und hat in der Vergangenheit oft kritisiert, in Deutschland werde zu viel reguliert, außerdem gebe es nicht genug Anreize für Arbeitslose, sich einen Job zu suchen.

Doch beim Global Economic Symposium, zu dem das IfW rund 600 Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmer und Politiker eingeladen hat, wirkte Snower überhaupt nicht marktgläubig, ja nicht einmal wie ein Ökonom. Er klang eher wie ein kapitalismuskritischer Priester: "Wir plündern unseren Planeten, um materielle Güter zu produzieren. Davon erhoffen wir uns große Freuden, die aber nie eintreten", so Snower zur Eröffnung des zweitägigen Symposiums. "Man könnte diese Tragödie auch die große, verschwenderische Täuschung nennen."

Der Dirkektor des Institutes für Weltwirtschaft, Dennis Snower, spricht am 30.09.2013 in Kiel (Schleswig-Holstein) bei der Eröffnung des 6. Global Economic Symposium (GES). Bis zum 02.10. werden Experten aus aller Welt über Lösungen zur Überwindung der Euro-Krise diskutieren. Foto: Carsten Rehder/dpa
Der Direktor des Institutes für Weltwirtschaft, Dennis Snower, bei der Eröffnung des 6. Global Economic Symposium.Bild: picture-alliance/dpa

Kritik ist chic

Seit der Finanzkrise ist Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus auch in Wirtschaftskreisen chic. Denn trotz der großen Erfolge dieses Wirtschaftssystems lassen sich die Schäden nicht übersehen. "Redefining Success", also "Erfolg neu definieren", hat Snower daher zum Motto des diesjährigen Symposiums gewählt. Was nützt es, fragt er, wenn sich die weltweite Wirtschaftsleistung seit den 1950er Jahren mehr als verzehnfacht hat, aber die Zerstörung der Umwelt und die sozialen Konflikte ständig zunehmen?

Der Friedensnobelpreisträger und frühere Präsident Finnlands, Martti Ahtisaari, schlug eine Rückbesinnung auf grundlegende Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und politische Teilhabe vor. "Das sind keine westlichen, sondern allgemeingültige Werte. Das haben die Menschen bewiesen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo und während des arabischen Frühlings demonstriert haben." Ohne diese Werte, so Ahtisaari, könne es keine gerechte Gesellschaft geben.

Martti Ahtisaari, FriedensnobelpreisträgerArchivbild 2011 (Photo by Chung Sung-Jun/Getty Images)
Martti Ahtisaari, FriedensnobelpreisträgerBild: Getty Images

Schnell reich werden

Allerdings leben wir in einem ökonomischen Zeitalter, glaubt der US-Amerikaner John Bryant. "Was ist das Problem in Ägypten? Arbeitsplätze. Was ist das Problem in Afrika? Arbeitsplätze. So ist das in jedem Land der Welt, die Gründe sind wirtschaftlich." Bryant ist der Gründer von "Operation Hope", einer Organisation, die unterprivilegierten Menschen durch Investitionen und Bildung helfen will, ihr wirtschaftliches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Das Problem sei weder Geld noch das Wirtschaftssystem an sich, sondern eine Erosion der Werte während der vergangenen 20 Jahre, so Bryant, der als Berater für die US-Präsidenten Clinton, Bush und Obama tätig war. Vielen Menschen gehe es heute nicht mehr darum, die Welt besser zu machen: "Warum machst du Sport? Ich möchte reich werden. Warum machst du Musik? Ich möchte reich werden. Warum gehst du in die Politik? Ich möchte reich werden", beschreibt Bryant seinen Eindruck des vorherrschenden Denkens. "Doch wer so denkt, wird früher oder später implodieren."

Banker auf Sinnsuche

Bis zur Finanzkrise hatten Vertreter der Finanzindustrie kein Problem damit, öffentlich die Freuden des Geldverdienens zu preisen. Inzwischen geben sie sich bescheidener und machen sich ebenfalls auf die Suche nach verlorengegangenen Werten. Jürgen Fitschen etwa, Co-Chef der Deutschen Bank, stellte sich in Kiel als Vertreter einer Branche vor, die dringend eine neue Definition von Erfolg brauche.

Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen Bank Foto: Mario Vedder/dap
Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen BankBild: dapd

"Die Eigenkapitalrendite reicht nicht, um Erfolg zu messen. Unsere Branche hat darin versagt, der Gesellschaft zu beweisen, dass ihr unser Geschäft nützt", so Fitschen. "Das Vertrauen müssen wir uns jetzt wieder erarbeiten, denn ohne das Vertrauen der Kunden und der gesamten Gesellschaft kann der Bankensektor nicht funktionieren."

Besser ohne Wettbewerb?

Gastgeber Snower hatte seine eigene Erklärung für den Vertrauensverlust. "Wir sind psychologisch nicht in der Lage, gleichzeitig wettbewerbsorientiert und mitfühlend zu sein. Das Marktgeschehen drängt andere Normen in den Hintergrund, etwa Pflichtgefühl, Verantwortungsgefühl und Vertrauenswürdigkeit."

Für Deutsche-Bank-Chef Fitschen hatte Snower seine Rolle als oberster Kapitalismuskritiker des Symposiums damit überspannt. "Wenn Ihre Aussage richtig wäre, müssten wir den Wettbewerb ganz aufgeben. Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte", so Fitschen aufgebracht. "Ich glaube fest daran, dass Wettbewerb unsere Gesellschaft gerechter und gleichberechtigter macht."

Vorbild Nordeuropa?

Wie der vielbeschworene Kulturwandel bei der Deutschen Bank konkret aussehen könnte, blieb in Kiel ebenso offen wie die Frage, welche Kriterien für eine Neudefinition von Erfolg unverzichtbar sind. Der Finne Martti Ahtisaari zumindest war der Meinung, dass die nordeuropäischen Staaten, also die Länder Skandinaviens, die Niederlande und auch Deutschland, als Modelle für erfolgreiche Gesellschaften taugen. Von den USA könne man das nicht behaupten, so der Finne mit Anspielung auf den dortigen Haushaltsstreit: "Die USA sind heute leider kein Vorbild mehr – für gar nichts, außer vielleicht für ein gewaltiges Durcheinander."