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Die Natur als Vorbild für Unternehmen

Insa Wrede10. November 2013

Ob es der selbstreinigende Effekt der Lotusblüten oder die Haftkraft von Geckofüßen ist - Ingenieure lassen sich schon lange von der Natur inspirieren. Aber taugt die Natur auch als Vorbild für Unternehmen?

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Blattschneideameise mit Blatt (Foto: Boris Roessler dpa/lhe)
Blattschneideameise mit BlattBild: picture-alliance/dpa

Für Ingenieure und Techniker ist die Natur ein Füllhorn an Ideen. So hat beispielsweise die Untersuchung der Haut von Haien dazu geführt, dass Folien entwickelt wurden, die - aufgebracht auf Flugzeugtragflächen - den Luftwiderstand verringern. Und bei der Erfindung des Klettverschlusses standen Kletten Pate. Kein Wunder, dass es Ansätze gibt, die Bionik auch auf Wirtschaftsstrukturen und Unternehmen zu übertragen.

Bislang muss man diejenigen, die sich in der Natur nach Anregungen für die Wirtschaft umsehen, allerdings noch mühsam suchen. In den Reihen der Wissenschaftler gibt es nur wenige - fündig wird man vor allem bei Unternehmensberatern. Viele ihrer Beispiele für gelungene Anwendungen hören sich schön an. Dazu gehört das oft zitierte Beispiel des amerikanischen Unternehmens W. L. Gore & Asssociates - bekannt durch die Gore-Tex-Textilien.

Amöben als Vorbild für Unternehmensorganisation?

Das Besondere bei Gore: Es wird in kleinen Teams gearbeitet, die sich selbst organisieren. Das Unternehmen ist so aufgebaut, dass es sich teilt, sobald mehr als 250 Menschen in einem Werk arbeiten. Auf diese Weise sind die Teams flexibel, es gibt flache Hierarchien und eine gute Kommunikation. Ganz wie bei den Amöben, mit denen das Unternehmen gerne verglichen wird. Denn Amöben sind Einzeller, die sehr stabil und extrem anpassungsfähig sind und ständig ihre Form wechseln können. Vor allem aber teilt sich eine Amöbe sobald sie eine bestimmte Größe erreicht hat, in zwei neue Zellen.

Mikroskop-Aufnahme einer Amöbe (Foto: Wikipedia/Cymothoa exigua-sa)
Eine Amöbe teilt sich, sobald sie eine bestimmte Größe erreicht hatBild: Wikipedia/Cymothoa exigua-sa

Eine gelungene Umsetzung der Natur in der Wirtschaft? Wohl eher nicht. Denn auf Nachfrage der DW bei Gore kommt heraus, dass die Natur nicht der Grund für die Organisation des Unternehmens war. "Die Unternehmenskultur von Gore gründet sich im Wesentlichen auf Erfahrungen, die Bill Gore als Firmengründer während seiner beruflichen Tätigkeit selbst gemacht hat, und basiert auf verschiedenen sozialwissenschaftlichen Theorien", sagt Michael Haag von Gore.

"Die Amöben wurden als ein Beispiel dafür zitiert, wie wir Teamentwicklung sehen. Das ist aber nicht unser Leitprinzip gewesen, sondern eben nur eine reine Metapher." Ähnlichkeiten wurden also nur im Nachhinein hinein interpretiert. Auch andere Beispiele der Unternehmensberater entpuppen sich beim zweiten Blick als Situationen in der Wirtschaft, über die im Nachhinein ein Beispiel aus der Natur darübergestülpt wurde - wie bei Gore.

Umsetzung muss andersherum laufen

Statt von einer Situation in der Wirtschaft auszugehen und dann in der Natur zu schauen, ob es Parallelen gibt, müsse man den Weg umgekehrt gehen, meint Rainer Erb, Geschäftsführer von Biokon, der Forschungsgemeinschaft Bionik-Kompetenznetz. Man müsse also ein Prinzip in der Natur erkennen, dieses abstrahieren und es dann auf die Wirtschaft übertragen.

Einer, der diesen Weg eingeschlagen hat, ist der Wissenschaftler Peer Seipold von der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Sein Spezialgebiet sind Wertschöpfungsketten, also die Prozesse, die vom Entwurf eines Produktes über Herstellung, Vertrieb bis hin zum Konsumenten reichen.

"Die Anforderung zur Steuerung dieser globalen Wertschöpfungsketten sind mittlerweile so komplex geworden, dass man eher von Beeinflussen der Ketten als von Steuern sprechen kann", sagt Seipold im Gespräch mit der DW. Da wäre die Frage naheliegend gewesen, ob es in der Natur Vorbilder gebe, die ein ähnlich komplexes System hätten, aber weniger Ressourcen verbräuchten, stabiler seien und sich selbst steuern könnten.

Den Ameisen auf der Spur

So ein System hat der Wissenschaftler der Technischen Universität Hamburg-Harburg beispielsweise bei den Blattschneideameisen gefunden. Die beißen Blattstücke aus hohen Wipfeln von Tropenbäumen und transportieren sie über lange Strecken bis ins Nest. Auf dem Weg wird das Blattstück immer weiter zerkleinert und an andere Ameisen übergeben. Im Bau wird es dann mit Speichel und anderen Stoffen zu einem Brei verarbeitet. Und dieser Blattbrei dient einem Pilz, der von Ameisen gepflegt wird, als Nahrungsgrundlage. Von den Früchten des Pilzes wiederum ernähren sich die Ameisen.

Blattschneideameise bei der Arbeit (Foto: Fotolia/C. Mayr)
Alle Merkmale der Wertschöpfungskette:Blattschneideameise bei der ArbeitBild: Fotolia/C. Mayr

In diesem Beispiel habe man alle Merkmale der Wertschöpfungskette, sagt Seipold. Er hat untersucht, wie die Ameisen interagieren und untereinander Informationen austauschen. Auf eine Menge Prinzipien sei er bei den Ameisen gestoßen, beispielsweise dass Informationen dezentral verteilt werden. "Wenn eine Ameise über einen Baum läuft, dann hinterlässt sie kleine Pheromonspuren mit ihren Füßen", so Seipold. "Diese Spuren sind eine Information für nachfolgende Ameisen. Das heißt, eine Ameise muss also gar nicht mehr physisch da sein, um für andere noch eine Informationsquelle darzustellen." Je mehr Ameisen über so eine Spur laufen würden, desto intensiver würde diese wahrgenommen.

Informationen würden also addiert. Und je mehr Informationen auf einer Strecke seien, desto attraktiver würde diese für andere Ameisen. "Dahinter stehen Prinzipien. Und mit diesem Prinzip geht man dann wieder zurück zu dem Aufgabenbereich, zu dem Problembereich in der Wirtschaft und kann dort entsprechend umsetzen", erklärt Seipold.

Bei Tchibo im Praxistext

Umgesetzt wurden einige Ideen dann beim Projektpartner, dem Kafferöster Tchibo, der außer Kaffee alle möglichen Waren von Kleidung über Schmuck bis hin zu Möbeln verkauft. Beispielsweise war eine Idee, dass nicht nur Tchibo-Mitarbeiter, sondern auch andere Beteiligte der Wertschöpfungsketten miteinander vernetzt sind. So könnten sich auch die Mitarbeiter der oft asiatischen Produzenten und der Logistikunternehmen über den aktuellen Stand, wo sich gerade ein Produkt, in welchem Zustand befindet, informieren, erzählt Stefan Dierks, der Projektleiter bei Tchibo.

Eine Verkäuferin verkauft in einer Filiale der Tchibo Holding in Hamburg Kaffee (Foto: Ulrich Perrey dpa/lno)
Setzt bereits aus der Natur gewonnene Ideen um: das Unternehmen TschiboBild: picture-alliance/dpa

Dafür wurde ein bestehendes EDV-System erweitert, um die Transparenz und die zeitnahe Informationsübertragung zu verbessern. Daneben wurden auch Informationsmanager eingeführt, die für die Verteilung der Informationen zuständig sind, so Dierks.

"Sicherlich kann man manche Dinge auch auf anderen Kreativitätswegen erreichen", meint Dierks. Aber das Projekt habe viele weitere Impulse gegeben, "die wir sicherlich in der Zukunft berücksichtigen werden." Durch das bionische Vorgehen wurden teilweise auch neue Denkstrukturen eingeführt. So etwas schlage sich nicht immer gleich in konkreten Maßnahmen oder Nutzen nieder. "Das bionische Vorgehen war aber hilfreich für unser Unternehmen, um den Blick noch einmal zu weiten und sich an den Prinzipien biologischer Wertschöpfungsketten zu orientieren." Insgesamt hätten alle an dem Pilotprojekt Beteiligten die Erfahrungen positiv bewertet, so Dierks. Und über Folgeprojekte werde bereits nachgedacht.