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Politik

Bundespräsident gedenkt der RAF-Opfer

Heiner Kiesel
18. Oktober 2017

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnert an den Höhepunkt des RAF-Terrors und mahnt die Täter, ihr Schweigen zu brechen. Sie sind nicht die Einzigen, die ihr Wissen nicht offen legen.

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Deutschland Gedenken 40. Todestag Hanns Martin Schleyer | Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht zu Opfern, Angehörigen und ZeitzeugenBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Ein Cellist spielt Beethoven, im großen Saal des Schloss Bellevue sitzen die Gäste des Bundespräsidenten in langen Reihen: Copilot und Passagiere, die in der Lufthansa-Maschine "Landshut" zu Geiseln wurden, sind ebenso dabei wie ein Sohn des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Die Stimmung ist gedämpft. Vor 40 Jahren erreichte der Deutsche Herbst, die blutige Auseinandersetzung zwischen den Terroristen der "Roten Armee Fraktion" (RAF) mit dem deutschen Staat ihren Höhepunkt.

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Gastgeber Frank-Walter Steinmeier hat zum Gedenken und Nachdenken über den Deutschen Herbst eingeladen. Mit verhaltener Stimme erinnert er an die Opfer der RAF. Elf waren es im Jahr 1977, 35 bis in die 1990er-Jahre hinein. Für Steinmeier ist die Sache noch nicht abgeschlossen. Viele Fragen seien noch offen, sagt er und mahnt die Täter von damals, ihr Schweigen zu brechen: "Wenn Sie das Rückgrat besitzen, das Sie bei anderen so oft bezweifelt haben, dann reden Sie, dann legen Sie die Taten in allen Einzelheiten offen!" Die ehemaligen RAF-Terroristen würden sich so "ein zweites Mal schuldig an den Angehörigen" machen, sagt der Bundespräsident: "nicht juristisch aber moralisch".

Schleyer Entführung 1977
Hanns-Martin Schleyer wurde nach 44 Tagen Geiselhaft im Oktober 1977 ermordetBild: AFP/Getty Images

Steinmeier beschäftigt sich in seiner Gedenkrede auch mit dem Dilemma, in dem sich die Bundesregierung damals befunden hat: "Nicht erpressbar zu sein, kann in letzter Konsequenz bedeuten, ein Menschenleben aufzugeben." Durch die Entführung Schleyers sollten inhaftierte Mitglieder der RAF freigepresst werden. Demselben Zweck diente die Flugzeug-Entführung der "Landshut", die von palästinensischen Komplizen durchgeführt worden war. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt lehnte Verhandlungen ab. Die Lufthansa-Maschine wurde von deutschen Polizisten am 18. Oktober 1977 erstürmt. Einen Tag später wurde die Leiche Schleyers im Kofferraum eines Audi 100 gefunden. Drei RAF-Mitglieder waren da schon tot in ihren Zellen gefunden worden - Selbstmorde als Fanal. Steinmeier äußert sich ausweichend zur Kompromisslosigkeit der Regierung Schmidt: "In den Geschichtsbüchern steht, der Staat zeigte sich wehrhaft, der Staat war nicht erpressbar."

Mythen und Verschwörungstheorien

Kaum Zweifel bestehen an der Beobachtung Steinmeiers, dass die Ereignisse jenes Herbstes bis heute nachwirken. Immer weitere Publikationen, Kunstwerke und vor allem filmische Produktionen bringen die RAF und ihre Zeit aufs Neue ins Bewusstsein. "Die Erzählung des Konflikts als Duell - die Terroristen gegen den Staat - macht den Stoff enorm attraktiv", konstatiert der Historiker Andreas Rödder.

Derzeit wird die Verarbeitung der Geschehnisse in einem populären Sonntagskrimi intensiv in Deutschland diskutiert. Auch dort geht es um Mythen und Verschwörungstheorien, die sich um die Terroristen ranken. War es wirklich Selbstmord? Auch die späte Phase des RAF-Terrors in den 1980er- und 90er-Jahren lässt viel Raum für Spekulationen. Täter dieser dritten Generation wurden nicht gefasst, es gibt praktisch keine verwertbaren Spuren.

Ensslin, Baader und Raspe beigesetzt
Terroristen tot im Hochsicherheitstrakt: Beisetzung von Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas BaaderBild: picture-alliance/dpa

Aber es sind nicht nur die Täter, die schweigen über das "Wie" und "Wer" tödlicher Schüsse und blutiger Überfälle. Nach Steinmeiers Rede wird das Nachdenken über den Deutschen Herbst durch eine Podiumsdiskussion weiter angeregt. Auf der Bühne nehmen neben dem Mainzer Historiker Rödder auch Generalbundesanwalt Peter Frank, die Meinungsforscherin Renate Köcher und der Publizist Stefan Aust Platz.

Aust, der von sich sagt, dass er die Radikalisierung der RAF-Mitglieder "aus der Nähe" erlebt habe, zählt zu den profiliertesten Chronisten der Terrororganisation. Er findet, dass auch die Behörden endlich ihre Archive der Öffentlichkeit öffnen sollten. "Nach 40 Jahren muss Schluss sein mit der gefährlichen Heimlichtuerei", kritisiert Aust. Er vermutet in den Akten Hinweise auf Fahndungspannen und zweifelhafte Abhöraktionen.

Terror-Ereignisse, die die Bundesrepublik geprägt haben

"Neben Mauerbau und Mauerfall nennen die Bundesbürger die RAF-Zeit als wichtigstes Ereignis der Nachkriegszeit", ersieht Renate Köcher aus ihren Umfragen. Das gelte allerdings nur für die westdeutsche Bevölkerung, schränkt sie ein. Auch bei der jungen Generation werde die Bedeutung jener Zeit deutlich geringer eingeschätzt. Für die Demoskopin stellt sich der Deutsche Herbst als historisches Erbe der Nation dar. 1977 als Wendepunkt: "Die Sympathiewerte für die RAF haben sich halbiert." Das Vertrauen in den Staat sei damals gewachsen und die Bevölkerung habe dem Staat sehr große Spielräume eingeräumt, um Sicherheit zu vergrößern. "Das tut sie heute auch", beobachtet die Chefin des Allensbach Instituts für Demoskopie mit Blick auf aktuelle Untersuchungen.

Renate Köcher
Allensbach-Chefin Renate Köcher: Deutscher Herbst ist zentraler Erinnerungsmoment der westdeutschen BevölkerungBild: DW/H. Kiesel

Der Kampf gegen die RAF war geprägt von massiver Polizeipräsenz und hartem Vorgehen der Sicherheitskräfte. Mit Blick auf die gegenwärtigen Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit stellt Bundespräsident Steinmeier infrage, ob es richtig gewesen sei, "die Forderung nach dem schlanken Staat unterschiedslos auf alles, auch auf Ordnungsverwaltung, Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichtswesen zu beziehen?" 

Bei seiner Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen dem Terror der deutschen RAF und dem von islamistischen Gewalttätern findet er den kleinsten gemeinsamen Nenner in einer "Destabilisierung durch Angst". Eine Parallele sieht er in dem grundsätzlichen Problem, das eine freiheitliche Gesellschaft lösen muss, wenn ihre Sicherheit bedroht wird: "Wie finden wir - unter den sich verändernden Bedingungen - immer wieder die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit?"