Die Südkoreaner wählen den Reformer
10. Mai 2017Am Ende wurde es der erwartete klare Wahlsieg für Moon Jae In: 41,1 Prozent der Stimmen - und damit deutlich mehr als alle Mitbewerber - konnte der linksliberale Politiker für sich gewinnen, wie die Wahlkommission in Seoul mitteilte. Mit deren Bestätigung habe die fünfjährige Amtszeit Moons offiziell begonnen, sagte ein Sprecher des Präsidialamts.
Das Wahlergebnis ist zweifelsohne ein klares Ausrufezeichen der Bevölkerung für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. "Wir werden die zwei Aufgaben erreichen, die uns gegeben wurden: nationale Einigkeit und Reformen sind das, was die Leute wollen", sagte Moon nach seinem Wahlsieg. Sein konservativer Haupt-Konkurrent Hong Joon Pyo gab sich geschlagen: Er werde "das Ergebnis akzeptieren und den Fakt hinnehmen, dass die Freiheitspartei einen Neustart bekommt." Freiheitspartei ist der neue Name der Saenuri, der Partei der abgesetzten Präsidentin Park Geun Hye.
Auf Moon warten viele Baustellen: Die viertgrößte Volkswirtschaft Asiens wächst so schleppend wie seit 2012 nicht mehr, die Haushaltsschulden steigen massiv und die Einkommensschere zwischen arm und reich geht weiter auseinander. Zudem altert Südkorea schneller als jedes andere Land der Welt.
Chaebol-System vor Veränderungen?
Der 64-jährige Moon hat seinen Wählern versprochen, gründlich am Status quo zu rütteln. Das Hauptanliegen vor allem der jungen Wählerschichten wird sich jedoch nur schwer umsetzen lassen: eine grundlegende Reform des sogenannten Chaebol-Systems. Die familiengeführten Mischkonzerne, deren zehn größte Vertreter knapp 80 Prozent der Bruttoinlandsprodukts generieren, bildeten einst das Fundament des Wirtschaftswunders vom Han-Fluss. Mittlerweile jedoch hindert deren massive Dominanz die Volkswirtschaft daran, ein nachhaltiges Wachstumsmodell hervorzubringen.
Die Chaebol genießen umfangreiche Steuerprivilegien und gesetzliche Schlupflöcher für dubiose Geschäftspraktiken, doch sie stellen immer weniger heimische Arbeitskräfte ein. Sie verhindern das Gedeihen eines gesunden Mittelstandes und haben dekadente Familienvorstände hervorgebracht, die sich in dritter Generation über dem südkoreanischen Gesetz wähnen.
Samsung-Experte Geoffrey Cain glaubt jedoch nicht, dass Moon Jae In das Chaebol-System verändern wird: "Jeder der linksgerichteten Präsidenten vor Moon hat ebenfalls tiefgreifende Reformen versprochen, aber keiner von ihnen hat es letztlich eingehalten." Sobald Moon sich gegen Samsung und Co. ausspricht, werde er in der Öffentlichkeit als "unpatriotisch" und "Vaterlandsverräter" beschimpft. Der US-Amerikaner Cain, der für die Recherchen seines Buches über Samsung mit über 100 Managern des Unternehmens gesprochen hat, glaubt, dass das Chaebol-System die jetzige Krise überdauern wird.
Suche nach Verbündeten
Die politischen Lager in Südkorea sind zutiefst darüber gespalten, wie der Staat mit den Mischkonzernen umgehen soll. Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Hong, dessen Freiheitspartei die zweitmeisten Sitze im Parlament innehat, vertritt die Ansicht, die Regierung solle die "Chaebols nicht wie Kriminelle behandeln". Auch wenn der 62-Jährige keine Chancen auf den Wahlsieg hatte, kann seine Fraktion Gesetzesvorschläge der künftigen liberalen Regierung blockieren. Höchstwahrscheinlich wird die südkoreanische Politik auch weiterhin an dem lähmenden Stillstand der letzten Jahre leiden.
Dennoch wird der künftige Präsident Moon sein Land weitaus volksnäher und transparenter führen als die öffenlichkeitsscheue Park. Moon hat bereits angekündigt, sich nicht hinter den hohen Mauern des Präsidentenhauses abzuschotten, sondern seine Amtsgeschäfte direkt am Gwanghwamun-Platz zu verrichten - jenem historischen Ort, an dem jedem Samstag hunderttausende Demonstranten mit brennenden Kerzen für den Rücktritt von Park demonstriert haben. Noch am Wahlabend kündigte er in einer versöhnlichen Geste an die linke Zivilgesellschaft an, die Angehörigen der Unglücksfähre Sewol zu besuchen. Gleichzeitig versprach er, sein Kabinett mit Politikern aus dem gesamten politischen Spektrum zu besetzen.
Umstrittene Nordkorea-Politik
Im Ausland wird vor allem Moons Nordkorea-Politik mit Argusaugen betrachtet: Der Sohn eines nordkoreanischen Flüchtlings möchte die Wiederaufnahme der Sonnenschein-Politik, die er einst als Stabschef des liberalen Präsidenten Roh Moo Hyun während der Nullerjahre mitgeprägt hat. Die Sonderwirtschaftszone Kaesong und ein Tourismusressort in Nordkorea sollen wiedereröffnet werden, auch ein Gipfeltreffen mit Machthaber Kim Jong Un hält Moon für denkbar. Dies wird unweigerlich zur Abkühlung der Allianz mit Washington führen, schließlich konterkariert es die Sanktions- und Isolationspolitik von US-Präsident Donald Trump.