Die Terror-Agentur
21. Juli 2016Einen knappen Tag brauchte es, bis das Bekenner-Video des Attentäters von Würzburg online ging. Rund 20 Stunden nach der Tat war es im Internet sichtbar, gab dem Terroristen ein Gesicht und ein Motiv. 20 Stunden: Nach allem, was man über die Medientechnik der Terrororganisation "Islamischer Staat" weiß, könnte die Zeitspanne durchaus kalkuliert gewesen sein. Das Video erschien zu einem Zeitpunkt, als die Nachricht über die Messerattacke in dem Zug sich - nicht nur - in Deutschland hinreichend verbreitet hatte und man annehmen konnte, dass die Öffentlichkeit darauf brannte, die Identität des Täters zu erfahren - und zudem auch sehen wollte, wie er aussähe.
Beide Bedürfnisse erfüllte die dem IS nahestehende Medienagentur Amaq Agency. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Spannung um die Identität des Täters ihren Höhepunkt erreicht hatte.
Propaganda der Tat
Der IS betreibe eine "Propaganda der Tat", schreibt das Magazin The Atlantic; zu dieser Propaganda gehöre es auch, die Tat möglichst effektiv zu verbreiten - auch im Hinblick auf den Zeitpunkt entsprechender Veröffentlichungen. Noch ist unbekannt, wann genau Amaq das Video erhielt, das Riaz Khan Ahmadzai - so nannte sich der Würzburger Terrorist - im Vorfeld der Tat aufgenommen hatte.
Zu vermuten ist, dass die Agentur den Zeitpunkt der Veröffentlichung selbst bestimmt hat. Offen ist derzeit noch, wie Amaq in den Besitz des Videos kam. Vermutet wird, dass der Attentäter es über eine verschlüsselte App selbst an die Agentur weiterleitete. Entsprechende Dienste wie etwa der "Telegram Messenger Service", dessen sich die Dschiahdisten wiederholt bedienten, sind im Internet frei verfügbar.
Sprachrohr der Dschihadisten
Erstmals tauchte der Name der Agentur im Zusammenhang mit der Schlacht von Kobane im Herbst 2014 auf. Damals veröffentlichte sie aktuelle Nachrichten um die Kämpfe zwischen den Dschihadisten, die die Stadt erobert hatten, und den Kurden und Amerikanern, die sie nach Wochen zurückeroberten, zu dokumentieren. Bereits damals habe sich Amaq vor allem durch eines ausgezeichnet, heißt es auf der Webseite der "Site Intelligence Group", die sich auf die Beobachtung dschihadistischer Gruppen spezialisiert hat: "Ihr Anspruch ist ein Maximum an Realitätsgehalt. Wenn der IS verliert, ziehen sie es meist vor, zu schweigen. Aber sie geben keine falschen Informationen heraus, denn nur so erhalten sie ihre Glaubwürdigkeit."
Glaubwürdigkeit und zeitliche Präzision: Das sind die Instrumente, mit denen Amaq Aufmerksamkeit zu gewinnen versucht. So berichtete die Agentur als eine der ersten Quellen über das Attentat in San Bernardino Anfang Dezember 2015. Damals erschoss ein Dschihadisten-Paar 14 Menschen in einer gemeinnützigen Einrichtung. Auch über den Anschlag auf den Schwulenclub "Pulse" in Orlando informierte Amaq sehr früh. Vor allem gab sie bekannt, dass der IS sich zu dem Anschlag bekannte. Ebenso teilte er über Amaq die Verantwortung für den Anschlag auf ein Restaurant in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka Anfang Juli mit.
Damit ihre Nachrichten von einem möglichst breiten Publikum wahrgenommen werden, erscheinen zumindest die wichtigsten Mitteilungen in gleich vier Sprachen: Arabisch, Englisch, Französisch und Russisch.
Die Aufgaben der Agentur
Amaq leistet für den IS zweierlei: Zunächst verbreitet die Agentur Informationen von exakt jenem Inhalt, den der IS haben will. Bringt sie diese Informationen etwa nach einem Anschlag als eine der ersten in die Welt, kann sie erheblich dazu beitragen, dass die vom IS gewünschte Deutung der Anschläge von einem oft globalen Publikum wahrgenommen wird. "Amaq passt sich der propagandistischen Infrastruktur des IS an", sagt Charlie Winter, Forscher an der "Transcultural Conflict and Violence Initiative" an der Georgia State University, gegenüber der New York Times. "Es ist das wichtigste Publikationsorgan geworden, wenn es darum geht, für eine Tat die Verantwortung zu übernehmen – wenn auch nicht ausnahmslos in jedem Fall."
Zweitens soll die Amaq dem IS zu einem Anschein von Legitimität verhelfen. Dies tut sie, indem sie etwa von den IS-Terroristen nicht als "Kämpfern" und von den Opfern nicht als "Kreuzfahrern" spricht, sondern sie neutral als "Soldaten" und "Angehörige fremder Staaten" bezeichnet. Eine solche Wortwahl soll dabei helfen, den IS als regulären "Staat" zu inszenieren, der, wie jeder andere Staat auch, außenpolitische Konflikte zu bestehen hat. Ziel einer solchen Sprache ist es, den IS politisch zu legitimieren.
Bei der Berichterstattung trennt Amaq zwischen der eigenen redaktionellen Arbeit und den Aussagen derer, über die sie berichtet. So erläuterte Riaz Khan Ahmadzai, der Attentäter von Würzburg, gut zwei Minuten lang seine Motive. Freilich lässt sich mit guten Gründen auch von einer Pseudo-Objektivität sprechen. Denn das eigentliche Anliegen des Beitrags sind die Äußerungen des Attentäters selbst.
Dass diese von der großen Öffentlichkeit mit Empörung zurückgewiesen werden, hat Amaq von vornherein einkalkuliert. Denn Ahmadzais Erläuterungen vermögen ohnehin nur diejenigen zu überzeugen, die dem IS ohnehin bereits gegenüberstehen. Nur im Hinblick auf sie kann das Video sein eigentliches Ziel erreichen: nämlich propagandistische Wirkung zu entfalten.
Der Name als Botschaft
Während die Gruppe einerseits vorgibt, journalistische Standards einzuhalten, signalisiert sie bereits durch ihren Namen, wo sie steht: Amaq ist der Name einer in einer alten Prophezeiung erwähnten syrischen Stadt. Sie ist Ort eines apokalyptischen Sieges der "Gläubigen" über die "Ungläubigen".