"Die Unabhängigkeit führt uns nirgendwo hin"
29. Oktober 2017Die Sonne knallt herunter. Es ist wieder einer dieser sommerlichen Herbsttage in Barcelona. Eigentlich zu schön, um demonstrieren zu gehen, denke ich. Die Katalanen, die an diesem Mittag zu Hunderttausenden auf die Straße strömen, denken anders. Laut der Guardia Urbana, der städtischen Aufsicht, sollen es rund 300.000 gewesen sein. Aber kaum jemand hier erkennt diese Zahl als Tatsache an. Die Guardia Urbana steht den Mossos nahe, der katalanischen Polizei, und ist damit infiltriert von den Unabhängigkeitsbefürwortern – der gegnerischen Seite also. "Es sind sicher mehr!", sagt eine Frau.
Meritxell Gonzales und ihre Mutter Angeles (im Artikelbild oben) sind gleich mit mehreren Schildern ausgestattet. "Wir sind und bleiben Spanier", steht auf einem. Nicht ohne Grund hat Meritxell es auf katalanisch geschrieben. Sie will alle Katalanen ansprechen, auch die Separatisten. ″Wir sind in Spanien geboren, und auch wenn die illegal die Unabhängigkeit erklärt haben, wir wollen in Zukunft auch Spanier bleiben."
Sie selbst versteht sich als Katalanin, die Barcelona und ganz Katalonien liebt. "Ich trage stolz einen katalanischen Namen", sagt Meritxell. Es gebe aber einen bedeutenden Unterschied zwischen Patrioten und Separatisten. "Du kannst Katalonien ja lieben, aber du musst wissen: Die Unabhängigkeit führt uns nirgendwo hin. Wir müssen mit Spanien vereint bleiben." Die Abspaltung bringe ihnen nur wirtschaftliche Schwierigkeiten, ist sie überzeugt.
Ihre Mutter Angeles stimmt ihr zu. "Meine größte Angst ist, dass Katalonien sich abspaltet und arm wird, sie uns unsere Renten nicht mehr zahlen oder die Steuern erhöhen. Von der EU können wir dann sicher keine Hilfe erwarten."
Mehr Katalanin als sonst irgendwas
Angeles ist zwar nicht in Katalonien geboren, aber hat fast ihr ganzes Leben in Barcelona verbracht, erzählt die 75-Jährige. Sie sei mehr Katalanin, als sonst irgendwas. Nicht grundlos hat sie diesen Namen für ihre Tochter gewählt. Es ärgert sie, wenn die Unabhängigkeitsbefürworter ihr fehlenden Patriotismus vorwerfen. "Wir wollen nicht in Konfrontation mit denen leben, die die Unabhängigkeit erklärt haben. Wir wollen vereint leben. Wir sind Spanier. Und wir sind Katalanen." Die Separatisten dürften gar nicht so viel Macht haben. "Die sind ja nur eine Minderheit", sagt die Rentnerin.
Das Geräusch von Rotorblättern unterbricht sie. Ein Hubschrauber überfliegt die Menge tief, die fängt sofort laut an zu buhen. Warum?, frage ich einen Mann neben mir. "Die Leute sind gegen die Mossos, die fliegen zur Kontrolle hier rüber." Er finde das Ausbuhen aber albern, setzt er noch nach, fast schon entschuldigend.
Spätestens seit dem Tag des Referendums gelten die Mossos als Freunde der Separatistenbewegung. Sie hatten sich dem Willen der Menschen gefügt, die vor den Schulen ausharrten um ihre Stimme für Kataloniens Unabhängigkeit abzugeben - bevor die spanische Nationalpolizei zum Teil gewaltsam eingriff und damit den Hass vieler Katalanen und Rest-Spanier auf sich zog.
Nicht so hier: Wenige Minuten später fliegt wieder ein Hubschrauber über die Massen. Dieses Mal der spanischen Nationalpolizei. Dieses Mal klatschen die Demonstranten laut und rufen euphorisch, spanische Fahnen schwenkend.
Eine von ihnen ist Carmen Jordi. Als ich sie frage, warum sie die Nationalpolizei so feiert, guckt sie misstrauisch. "Es geht nicht darum, nur die Nationalpolizei zu unterstützen. Wir unterstützen alle Polizisten", sagt sie schließlich. "Wir haben Freunde, die sowohl bei den Mossos, als auch bei der spanischen Polizei arbeiten. Man muss sie gegen Kritik verteidigen."
Wenn Politik isoliert
Bei der letzten Demo hat Meritxell ihr Gesicht noch versteckt, weil sie nicht wollte, dass sie in den Medien zu erkennen ist, erzählt sie. "Die Separatisten haben eine große Spaltung in der Gesellschaft geschaffen. Bei der Arbeit sind diejenigen, die nicht für die Unabhängigkeit sind, isoliert." Auch innerhalb von Familien und Freunden spüre sie das. "In WhatsApp-Gruppen sprechen wir nicht über Politik. Zwischen verschiedenen Familien ist es sogar so weit gekommen, dass wir überhaupt nicht mehr miteinander reden."
Heute zeigt sie aber ihr Gesicht. "Ich habe keine Angst mehr", sagt sie.