Die Verzweiflung der Angehörigen
21. Juli 2014Die Flaggen wehen im ganzen Land auf Halbmast. 189 der 298 Todesopfer des Unglücksflugs waren Niederländer. "Viele tausende Menschen in unserem Land und anderswo trauern über den Verlust von Angehörigen, Freunden, Kollegen, Klassenkameraden und Bekannten. In unseren Gedanken sind wir bei ihnen. Mit allen Getroffenen fühlen wir sehr mit", schrieb König Willem-Alexander in die Kondolenzliste. Der Vorsitzende der Niederländischen Bischofskonferenz, Erzbischof Wim Eijk, sagte, dass vor allem die Hinterbliebenen nun so viel Unterstützung wie möglich bräuchten.
Kurz nach den ersten Meldungen über den Absturz der Maschine am Donnerstagnachmittag (17.07.2014) waren Angehörige der Passagiere zum Flughafen Schiphol nach Amsterdam geeilt, um aus erster Hand Informationen über das Schicksal ihrer Freunde und Verwandten zu erhalten. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit wurden sie mit Bussen in ein nahegelegenes Hotel gebracht, um dort weiter betreut zu werden.
Schnelle Hilfe gefragt
Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) nennen Fachleute die Maßnahmen, die getroffen werden, wenn Menschen durch plötzlich eintretende Unglücksfälle Freunde und Angehörige verlieren. "Informationen bereitzustellen, Orientierung zu geben, Sicherheit zu vermitteln, zu beruhigen und Betroffene miteinander in Kontakt zu bringen", nennt Michael Steil, Bundesbeauftragter des Deutschen Roten Kreuzes für PSNV, als wichtigste Sofortmaßnahmen in solchen Situationen.
Durchgeführt wird die PSNV von Helfern unterschiedlichster Disziplinen. "Da sind Psychologen dabei, Sozialarbeiter und Seelsorger, die einen speziellen beruflichen Hintergrund haben, aber vielfach auch Laienhelfer, die speziell für diese Aufgabe qualifiziert wurden", so Steil. Die meisten dieser Einsätze fänden im häuslichen Umfeld statt. "Das sind Fälle, wo der Vater am Frühstückstisch umgekippt ist, vergeblich reanimiert wird und jetzt auf einmal die Ehefrau alleine zurückbleibt. Da sind wir dann unmittelbar in der Betreuung vor Ort." Große Unglücke mit vielen Toten seien auch für die Helfer Ausnahmesituationen.
Seelsorge am Flughafen
Detlev Toonen arbeitet als Airport-Seelsorger am Flughafen in Düsseldorf. Der evangelische Theologe ist speziell für die Betreuung Flugreisender und deren Angehöriger zuständig. Obwohl es im unmittelbaren Zusammenhang mit dem drittgrößten deutschen Airport noch keine Abstürze gegeben hat, so musste er dennoch auch in Düsseldorf schon Betroffene von Flugzeugkatastrophen betreuen. "Als eine Maschine der Air France von Rio de Janeiro nach Paris 2009 über dem Atlantik abstürzte, sollten sieben dieser Passagiere nach Transit in Paris hier in Düsseldorf landen." Die Angehörigen hätten sich dann natürlich an den Flughafen Düsseldorf gewandt. Noch mehr Betroffene gab es in Düsseldorf 2010 nach dem Absturz einer Passagiermaschine nahe Tripolis. Dutzende Todesopfer dieses Fluges waren Niederländer, die einen Weiterflug von Tripolis nach Düsseldorf gebucht hatten.
Das Abschotten der Angehörigen - wie aktuell in Amsterdam - hält Toonen für eine richtige Maßnahme: "Diese Menschen sind erst einmal traurig, schockiert, traumatisiert und man muss versuchen, diesen Menschen in einer ruhigen und entspannten Atmosphäre gegenüberzutreten." Das sei vor allem auch eine Schutzmaßnahme gegenüber den Medien. "Man darf die Menschen nicht der Sensationsgier mancher Pressevertreter aussetzen. Das kann man mit diesen Menschen nicht machen, das wäre noch einmal Gewalt, die man ihnen antut."
"Trauer braucht einen Ort"
Als besonders schlimm für die Angehörigen schätzt Toonen die Tatsache ein, dass sie den Unglücksort nicht selbst aufsuchen können: "Jede Trauer braucht einen Ort. Wenn ich keinen Ort habe, an dem ich trauern kann und an dem ich einen spirituellen Bezug zu dem Verstorbenen habe, ist die Trauer um so schlimmer." Besonders unerträglich sei es aber, so Toonen, dass die Leichen noch immer nicht zu ihren Angehörigen in die Heimat gebracht wurden.
Nach dem Absturz der Air France-Maschine 2009 habe die Fluggesellschaft zum Jahrestag Fahrten zur Unglücksstelle organisiert. "Dort fährt man mit Schiffen hin und streut Blumen auf den Atlantik, um der Trauer einen Ort zu geben. Das ist ein ganz wichtiges Ritual."