Die vielen Gesichter Gaddafis
1. September 2009"Die Welt teilt sich in jene, die mich verstehen, und in jene, die meine wahre Persönlichkeit nicht kennen. Wir betreiben keine Politik der Stärke, sondern eine Politik des Rechts." (in einem «Spiegel»-Interview, Januar 1972)
Am 01. September 1969 ruft Oberst Muammar al-Gaddafi die arabische Republik Libyen aus. König Idris wird abgesetzt, die Monarchie beendet. Gaddafi will Korruption und Vetternwirtschaft beenden, den Staatsapparat effektiver gestalten. Banken, Versicherungen - auch die Niederlassungen ausländischer Institute - werden verstaatlicht. Ebenso die bedeutende Ölindustrie. Die Verfassung wird geändert, Kritik an der Revolution mit der Todesstrafe bedroht.
"Wir haben sicherlich Fehler gemacht. Aber generell gesehen, vor allem Fortschritte. Wir hatten zu Beginn der Revolution extreme Positionen. Wir haben nicht immer unterschieden zwischen Terroraktionen und Befreiungsaktivitäten." (auf die Frage nach den Gründen für sein schlechtes Image in der Welt, Interview mit dem «Stern», Juli 1984)
Zehntausende Italiener und Juden müssen Libyen verlassen, ihr Besitz wird enteignet. Amerikanische und britische Luftwaffenstützpunkte werden geschlossen. Auch außenpolitisch steht Gaddafi für Radikalität: Doch die 1971 mit Syrien und Ägypten geschlossene Föderation Arabischer Republiken scheitert ebenso wie die 1975 gegründete Arabische Islamische Republik mit Tunesien.
"Es ist notwendig, den jüdischen Staat vom Nahen Osten zu eliminieren, indem ein demokratischer palästinensischer Staat für alle geschaffen wird." (nach tödlichen Ausschreitungen zwischen Arabern und Israelis auf dem Tempelberg in Jerusalem, Oktober 1990)
In den 80er und bis in die 90er Jahre hinein unterstützt Libyen angeblich terroristische Aktivitäten gegen die USA und Israel. Im April 1986 explodiert in der hauptsächlich von US-Soldaten besuchten Westberliner Diskothek La Belle eine Bombe, zwei Menschen sterben, über 30 werden schwer verletzt. 1988 explodiert ein Passagierflugzeug der PanAm über der Ortschaft Lockerbie in Schottland. Insgesamt sterben 270 Menschen. Hinter beiden Anschlägen soll der libysche Geheimdienst stecken.
"Derjenige, der unsere politische Sache unterstützt, wird von allen unseren Projekten profitieren. Derjenige, der sich gegen uns stellt, wird nichts bekommen." (nachdem sich Frankreich, die USA und Großbritannien für ein Embargo gegen Libyen starkgemacht hatten, um die Auslieferung mutmaßlicher Lockerbie-Attentäter zu bewirken, März 1992)
Schon 1984 beginnt die libysche Regierung, das Land für eine vom Erdölexport unabhängige Zukunft zu rüsten. Mit dem Great Man Made River Projekt soll das eiszeitliche Süßwasservorkommen in der Sahara ausgebeutet und Libyen zu einem Agrarexporteur gemacht werden. In den späten 90ern wird Libyen nach der offiziellen Abkehr vom Terrorismus auch als Wirtschaftspartner für den Westen immer interessanter.
"Ich bin hier am heutigen Tag, weil Italien sich entschuldigt hat. Denn der materielle Wert der italienischen Entschädigungszahlungen würde niemals dem entsprechen, was Italien am libyschen Volk verbrochen hat.“ (Gaddafi nach einem Treffen mit dem italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano im Jahr 2009.)
Schon Ende 2007 vereinbaren Frankreich und Libyen einen Milliardendeal über den Bau eines Atomkraftwerkes, Waffen- und Flugzeuglieferungen. Ausgerechnet am Tag der Menschenrechte war Gaddafi in Paris empfangen worden, wo er in einem Beduinenzelt wohnt. Mit Italien schließt Libyen 2008 einen Freundschaftsvertrag ab, der Zahlungen von 5 Milliarden Euro an Libyen als Wiedergutmachung für die Kolonialzeit vorsieht. Das Geld fließt in Bauvorhaben in Libyen, die von italienischen Firmen angeführt werden.
"Wenn dieser afrikanische Gipfel als der Gipfel von Sirte in die Geschichte eingehen soll, dann müssen wir hier unseren Willen zu einer Einheit Afrikas bekräftigen und den Weg zur Gründung der Vereinigten Staaten von Afrika einschlagen." (Im Juli 2009 vor Delegierten beim AU-Gipfel)
Nach dem Scheitern seiner pan-arabischen Träume konzentriert sich Gaddafi auf sein Projekt der Vereinigten Staaten von Afrika. Die afrikanischen Staats- und Regierungschefs sehen seine Pläne zwar kritisch, aber: "Inzwischen hat er soviel Geld in Afrika investiert, dass wir uns verpflichtet sehen, seine Pläne aufzugreifen", erklärt verschämt ein AU-Delegierter beim Treffen im libyschen Sirte.
Autor: Dirk Bathe