Würde der Kinder im Internet
3. Oktober 2017DW: Um die Dimension des Problems zu begreifen - können Sie Zahlen nennen, wie viele Kinder und Jugendliche im Internet von sexueller Belästigung, Verfolgung bis hin zu Gewaltakten betroffen sind?
Hans Zollner: Die Zahlen sind sicherlich sehr viel größer, als wir uns das vorstellen. Es gibt keine verlässlichen Zahlen dazu, aber Schätzungen. Die EU hat dazu eine Kampagne gestartet, die heißt "One in Five" - also ein Kind und Jugendlicher in Europa unter achtzehn Jahren wird sexuell belästigt oder ist sexuell missbraucht worden. Darunter ist eine steigende Zahl von Jugendlichen, die online missbraucht werden, indem man Fotos oder Filme ins Netz stellt oder sogar vor laufender Kamera sexuelle Akte durchgeführt werden. Es gibt das Phänomen, das sich weltweit ausbreitet, des so genannten Sexting. Das heißt, dass sich Kinder und Jugendliche auch schon untereinander sexuell gefärbte Botschaften schicken oder über soziale Medien austauschen. Sie sind sich dann nicht des Risikos bewusst, dass das außerhalb ihrer Kontrolle ist und bleibt.
"Child Dignity in the Digital World" heißt der Kongress in Rom an der Päpstlichen Universität Gregoriana, der an diesem Dienstag beginnt. Für mehrere Tage kommen viele Fachleute auch in Workshops zusammen. Was würden Sie sich wünschen, das nach diesem Kongress auf den Weg gebracht oder zumindest angeschoben worden ist?
Dieser Kongress ist in seiner Zusammensetzung einzigartig. Leute von Regierungen, aus der Wissenschaft, von großen Internetfirmen, von den großen internationalen Organisationen wie Unicef und Vertreter von verschiedenen Religionen werden zusammengebracht. Die werden miteinander reden. Sie werden sich das Phänomen und wie sie damit umgehen, gegenseitig beschreiben. Ich hoffe, dass das sektoriale Vorgehen, wo jeder seine Suppe kocht, aufgehoben wird.
Dann soll eine Erklärung erarbeitet werden, die wir dem Papst in einer Audienz vorstellen. Darin sollen einige direkt machbare und einige in die Zukunft weisende Punkte benannt werden, wie Regierungen mit wichtigen Partnern vorgehen wollen, sodass Kinder und Jugendliche in einer sichereren Internet-Welt aufwachsen können. Wir werden auch die Wissenschaft auffordern, sich mit diesem Thema intensiver auseinanderzusetzen.
Auf wen von all den Beteiligten kommt es denn jetzt ganz besonders an?
Natürlich auf die Internetbetreiber und auf die großen sozialen Medienfirmen wie Facebook, Google und alle Plattformbetreiber wie Twitter. Die alle sind gefordert. Hier und da agieren sie schon mal nach ihren Richtlinien, aber das ist alles so lückenhaft. Wenn ein Unternehmen wie Facebook rund zwei Milliarden Menschen erreicht, haben Regierungen kaum eine Chance, diese Konzerne auf Verbote zu verpflichten. Wenn der Server in einem anderen Land steht, wird es schon schwierig, sie zu belangen. Der Dialog zwischen den Regierungen und den Konzernen wird sehr wichtig sein.
Wie können Sie da Druck ausüben?
Der Druck kann nur moralisch und legislativ sein. Wir haben die größte moralische Autorität, die von vielen Menschen anerkannt wird, mit dem Papst auf unserer Seite. Daher hoffen wir, dass es internationale Einigungen geben wird und dass man weltweit dieselben Leitlinien einfordert.
Wenn man so viele Teilnehmer zusammen bringt, die sich mit Missbrauch von Kindern im Internet beschäftigen, dann lernt man doch sicher auch viele "Best-Practice"-Beispiele kennen, wo schon Erfolge für Kinder und Jugendschutz erreicht werden konnten. Wer liegt denn da in welchem Land vorne?
Es gibt zum Beispiel die internationale Hilfsorganisation ECPAT. Natürlich sind Länder wie die USA, Großbritannien, die Schweiz und Deutschland sehr weit vorne. Aber das sind nur etwa fünfzehn Prozent aller Länder dieser Welt. Es wird schon auch effektive Hilfe geleistet. Doch bei den Anstrengungen gibt es viele Lücken. Zum Beispiel gibt es ja auch Sicherheitsprogramme für Computer, die die Eltern zum Schutz kaufen. Aber schon sehr kleine Kinder sind unter Umständen viel gewiefter und tricksen diese Mechanismen aus. Viele Eltern und Lehrer fühlen sich überfordert. Aber auch daran wird gearbeitet. Es sind tolle Programme und Initiativen unterwegs, aber die werden leider nicht von einem zum anderen Land weiter gegeben.
Werden in Rom denn auch Betroffene eingeladen sein?
Wir haben uns gegen direkt Betroffene entschieden, um das Risiko der Re-Traumatisierung zu vermeiden. Aber es kommen junge Erwachsene von verschiedenen Universtäten aus diversen Erdteilen, die mit den Gefahren des Internets aufgewachsen sind. Die sollen ständig als Stimme der jungen Generation, der "Digital Natives" dabei sein und mitsprechen. Es geht bei allem immer um einen gemeinsames Vorgehen, das nur von vielen Mitspielern gewährleistet werden kann. Deshalb sind wir sehr froh, dass alle, die wir aus allen Teilen der Welt angefragt haben, sofort zugesagt haben.
Immer wieder sind in der Vergangenheit Bemühungen um einen verbesserten Jugendschutz im Internet auch gescheitert. Was macht Sie zuversichtlich, mit Ihrem Kongress doch positive Signale setzen zu können?
Die Leute werden merken, dass sie nicht alleine sind in ihrem Kampf für besseren Schutz, für die Durchführung von Gesetzen und bessere Erziehungsmethoden. Außerdem: Wenn wir das Thema so hoch in die Öffentlichkeit setzen, merkt man auch, dass das Thema sehr viel mehr Menschen umtreibt, als das sonst wahrgenommen wird. Wir hoffen, dass der Kongress nicht ein 'Einzeltropfen' bleibt, sondern sich weiter entwickelt.
Hans Zollner leitet das Institut für Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Der Jesuit ist Theologe und Psychologe. Seit 2014 ist er Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen.
Das Interview führte Wolfgang Dick.