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Die WM 2023 als Chance für die indigene Bevölkerung?

Matt Pearson aus Australien
12. August 2023

Die Frauenfußball-WM begeistert die australische Öffentlichkeit. Für die indigenen Völker des Landes könnte das Turnier auch eine Chance für eine Entwicklung sein, die erst vor wenigen Jahren begonnen hat.

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Zwei Menschen mit indigener Herkunft stehen auf dem Fußballplatz bei einer traditionellen Zeremonie
Jedes Spiel der Fußball-WM wurde mit einer traditionellen indigenen Zeremonie begonnenBild: Noe Llamas/SPP/ATP/picture alliance

Auf dem trockenen Rasen der kleinen Goldküstenstadt Runaway Bay wird ein Feuer entzündet, das eines Tages eine Revolution entfachen könnte. Edith Bowie und Eleanor Faye passen, jonglieren und lachen mit einem Ball, während ihr neuer Trainer, Lann Levigne, von Außen zuschaut.

Für viele Mädchen und Jungen in Australien ist das eine ganz normale Szene. Der Unterschied ist aber, dass Bowie und Faye aus indigenen Gemeinschaften (Aborigines und Torres Strait Islander) des Landes stammen. "Man gehörte einfach nicht dazu", berichtet Bowie der DW von ihren Erfahrungen, die sie als Kind beim Spielen gemacht hat. "Man wusste immer, dass man anders war und nicht wirklich gleich behandelt wurde."

Mangrove Jack, eine kürzlich gegründete geschlechts- und altersgemischte Fußball-Mannschaft, ist ein seltenes Beispiel für einen Fußballverein, der versucht, die Unterrepräsentation der indigenen Bevölkerung, insbesondere von Mädchen, zu durchbrechen. Trainer Levigne erklärt, dass der Klub aus der Überlegung heraus entstand, dass die Kosten des Fußballs im australischen System (der Sport wird viel weniger subventioniert als andere) und der mangelnde Zugang zum Fußball in Gebieten mit einem hohen Anteil an First-Nations-Bevölkerung dazu führten, dass Talente übersehen und Chancen verpasst wurden.

Gefühl der Zugehörigkeit

"Man hat das Gefühl, dass sie unter ihresgleichen sind und sich wohl fühlen. Sie sind nicht die Minderheit in der Gruppe. Und all ihre Persönlichkeiten kommen zum Vorschein, was sehr wichtig ist", sagt Levigne und ergänzt: "Mit Mangrove Jack ziehen wir durch unsere Zuschüsse und Sponsoring Spieler an, die keinem Verein angehören. Und wir bezahlen für sie. Wenn sie [andere Vereine und staatliche und nationale Verbände] das auch täten, hätten viel mehr Kinder Interesse am Spielen."

Edith Bowie (l.) und Eleanor Faye beim Training mit Mangrove Jacks. Eleanor schießt einen Ball
Edith Bowie (l.) und Eleanor Faye beim Training mit Mangrove JacksBild: Tom Gennoy/DW

Für Bowie, Faye und ihre Teamkolleginnen hat die Weltmeisterschaft in ihrem Heimatland das erste echte Interesse am Fußball geweckt. Doch der Sport hat noch viel Nachholbedarf. In Australiens Kader stehen nur zwei Spielerinnen mit indigener Herkunft: Kyah Simon und Lydia Williams, von denen keine bisher eine Minute gespielt hat. Bei den australischen Männern sieht es ähnlich aus.

Verpasste Chance?

Etwas mehr als drei Prozent der australischen Bevölkerung, also ungefähr 800.000 Menschen, sind australische Ureinwohner und Torres-Strait-Insulaner, wobei Queensland und das Northern Territory die bevölkerungsmäßig am stärksten überrepräsentierten Bundesstaaten sind.

Zwischen der indigenen und der nicht-indigenen Bevölkerung bestehen nach wie vor enorme Defizite in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kriminalität und auch im Fußball. Bowie hofft, dass die Fußball-WM dazu beitragen wird, die Lücke in der Beteiligung indigener Frauen am Fußball zu schließen. "Ich kann nicht wirklich sagen, dass es so sein wird. Aber ich hoffe es wirklich. Für viele Kinder könnte es sie aus dunklen Gegenden herausholen", so die 20-Jährige.

Die Flaggen der Aborigines und der Torres-Strait-Insulaner hängen zusammen mit denen des Gastgebers unter einem Stadiondach in Australien
Bei dieser Weltmeisterschaft wurden die Flaggen der Aborigines und der Torres-Strait-Insulaner zusammen mit denen des Gastgebers gehisstBild: Noe Llamas/SPP/ATP/picture alliance

Die Diskriminierung indigener Völker und die daraus resultierende soziale und wirtschaftliche Benachteiligung ist in Australien seit langem ein bekanntes Problem. Die Dominanz europäischer Siedlerwerte trägt in den Augen vieler Menschen wesentlich zur Schwächung der traditionellen indigenen Werte bei.

Bei dieser Weltmeisterschaft wurde jedes Spiel mit einer traditionellen "Willkommen im Land"-Zeremonie begonnen, bei der die Flaggen der Aborigines und der Torres-Strait-Insulaner zusammen mit denen des Gastgebers gehisst wurden. Eine solche Anerkennung ist relativ neu. Für die Angehörigen von Levignes Generation war ihre Kultur etwas, das aus Angst vor Repressalien oder Stigmatisierung versteckt werden musste.

Die verlorene Generation

"Als ich als kleiner Junge hier in Runaway Bay aufwuchs und auf der anderen Straßenseite zur Schule ging, wusste ich nicht einmal, dass ich ein Aborigine war, denn das war ein gut gehütetes Geheimnis", erinnert sich der Trainer. "Es wurde nicht darüber gesprochen. Wir haben nie unsere Sprache gesprochen. Wir haben nicht über Kultur gesprochen. Und erst vor etwa fünf oder sechs Jahren habe ich angefangen, mich richtig mit meiner Kultur zu beschäftigen."

Fußball Frauen | Australien | Kyah Simon
Kyah Simon ist nur eine von zwei Spielerinnen in Australiens Nationalmannschaft mit indigener HerkunftBild: Nigel Owen/Action Plus/picture alliance

Ein Großteil des politischen Diskurses in Australien dreht sich derzeit um ein Referendum im Laufe dieses Jahres über die "Australian Indigenous Voice". Dabei geht es um eine Änderung der australischen Verfassung, mit der ein Gremium namens "Aboriginal and Torres Strait Islander Voice" geschaffen wird, das diese Gemeinschaften auf höchster Ebene vertritt. Erst 2008 entschuldigte sich der damalige Premierminister Kevin Rudd im Namen Australiens offiziell für die gewaltsame Trennung indigener Kinder von ihren Familien.

Hoffnung auf Veränderung

Bis in die 1970er Jahre hinein wurde Schätzungen zufolge jedes dritte Kind von den Regierungen der Bundesstaaten und der Kirchen mit der Begründung aus der Familie genommen, dass es dort, wo es war, in gewisser Weise gefährdet sei. Die Narben sitzen tief, aber es gibt Anzeichen für einen Wandel. "Es ist gut, dass ich weiß, woher ich komme und aus welcher Kultur ich stamme", sagt Bowie.

"Und jetzt werden wir dorthin gebracht, wo wir herkommen, und werden wieder mit dem Land vereint." Vor allem der Fußball soll dabei helfen. Die Hoffnung ist, dass diese Weltmeisterschaft den Funken, der in Orten wie Runaway Bay entzündet wurde, in ein Feuer verwandeln kann.

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.