Die Zeit nach Assad
4. September 2012Das Auswärtige Amt hatte die Syrien-Arbeitsgruppe "Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung" ins Leben gerufen. An dem ersten Treffen am Dienstag in Berlin nahmen rund 60 Regierungsdelegationen aus aller Welt zusammen mit syrischen Oppositionellen im Exil teil. Beraten wurde über die Flüchtlingsproblematik, wirtschaftliche Soforthilfe, die Koordination der internationalen Aufbaumittel und die zukünftige Wirtschaftspolitik. Den Vorsitz in der Syrien-Arbeitsgruppe teilt sich Deutschland mit den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Planungen für die Zeit nach Assad
Außenminister Guido Westerwelle warnte bei der Eröffnung der internationalen Tagung vor einem Zusammenbruch der Grundversorgung: "Wir müssen jetzt handeln, (… ) wir müssen alles Mögliche unternehmen, um einen Kollaps der Infrastruktur und der Grundversorgung zu vermeiden." In Gebieten, die unter Kontrolle der Rebellen seien, könne schon jetzt geholfen werden, sagte der Minister. Die internationale Gemeinschaft müsse sich zudem auf schnelle Hilfe für die Zeit nach dem absehbaren Sturz des Assad-Regimes vorbereiten. "Es kann keinen Zweifel daran geben: Die Tage des Regimes sind gezählt", betonte Westerwelle.
Der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates, der einflussreichsten Oppositionsbewegung des Landes, Abdelbaset Sieda, betonte, wie dringlich das syrische Volk mit Wasser, Nahrungsmitteln, Wohnraum und Energie versorgt werden müsse. Zudem benötigten die Syrer eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive: "Ohne umfassende Entwicklung werden wir es ermöglichen, dass sich alle Arten von Extremismus in der Region ausbreiten", warnte Sieda. Er forderte in Anbetracht der Zerstörungen "ein Wiederaufbaukonzept wie den Marshall-Plan".
Bassma Kodmani vom Syrischen Geschäftsforum ergänzte, dass es ohne einen solchen Plan keine politische Stabilität geben werde. Grundlegend sei außerdem der Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur im Land. "Wir brauchen eine UN-Friedenstruppe, um die Sicherheit nach Assad zu gewährleisten", forderte Kodmani für die Übergangszeit.
Westerwelle mahnte die Opposition, sich schnell auf eine an Demokratie und Pluralismus orientierte Übergangsregierung zu einigen. Das Volk brauche eine rechtsstaatliche Alternative zu Assads Unrechtsregime.
Streit über Aufnahme von Flüchtlingen
Erstmals ließ die Bundesregierung die grundsätzliche Bereitschaft erkennen, syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen. "Aber Priorität hat derzeit die Hilfe vor Ort", sagte Westerwelle und fügte hinzu, dass Hilfe auch den syrischen Flüchtlingen in den Nachbarländern Türkei, Jordanien und Libanon zukommen müsse. Bislang hatte die Regierung stets die Auffassung vertreten, dass sich die Frage nicht stelle. SPD und Grüne erneuerten derweil ihre Appelle, Syrien-Flüchtlingen Zuflucht in Deutschland zu gewähren.
Binnen eines Monats fliehen 100.000 Syrer
Das syrische Flüchtlingsdrama hat eine neue Dimension erreicht: Vor der eskalierenden Gewalt zwischen Rebellen und den Truppen von Präsident Baschar al Assad sind im August so viele Menschen geflohen wie noch nie seit Beginn des Konflikts innerhalb eines Monats. Mehr als 100.000 Menschen hätten aus Angst vor der Gewalt das Land verlassen, erklärte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Genf. Die Zahl der offiziell registrierten Flüchtlinge in der Türkei, Jordanien, dem Libanon und dem Irak sei auf insgesamt 234.368 gestiegen, sagte UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming vor Journalisten. Sowohl die UN-Unterorganisation als auch der Syrische Rote Halbmond forderten die Staatengemeinschaft auf, Asyl suchende Syrer aufzunehmen.
Aleppo weiter hart umkämpft
Aus ganz Syrien werden weiter heftige Gefechte zwischen Aufständischen und Truppen des Assad-Regimes gemeldet. Im Kampf um die Wirtschaftsmetropole Aleppo können die Rebellen nach eigenen Angaben deutliche Geländegewinne verzeichnen. 70 Prozent der größten Stadt des Landes sollen sich demnach unter ihrer Kontrolle befinden, überprüfen lassen sich die Angaben allerdings nicht.
qu/se (dpa, dapd)