Digitales Freibier?
21. März 2012Das Internet ist, zumindest in Industrienationen, das zentrale Kommunikationsmittel der Gegenwart - und mittlerweile auch das Unterhaltungsmedium Nummer eins: Die neuesten Popsongs, Romane und Hollywoodfilme sind nur einen Klick weit entfernt; der Zugang zum weltweiten Datennetz ist die Eintrittskarte in ein digitales Schlaraffenland, in einen gigantischen, globalen Selbstbedienungsladen mit den Sparten Musik, Film, Buch und nicht zuletzt Pornografie.
Alles sofort – und auch noch gratis?
In vielen, wahrscheinlich in den meisten Köpfen heißt dabei "freier Zugang zu Netzinhalten" zunächst einmal: kostenloser Zugang. Oder zumindest sehr, sehr billiger Zugang. Und das erscheint auf den ersten Blick auch völlig plausibel. Zumindest rein technisch gesehen umschifft die digitale Kopie von Texten, Bildern und Videos praktisch alle Probleme, die in der realen Welt zu Knappheiten, zu Verteilungskämpfen, zu Unterschieden zwischen Arm und Reich, zwischen Unglücklich und Glücklich führen: Sie ist im Gegensatz zu physischen Gütern problemlos, blitzschnell und fast zum Nulltarif herstellbar, und das in quasi beliebiger Menge. Dabei entspricht die digitale Kopie in der Qualität exakt dem Original. Alles, sofort - und dann auch noch gratis: Das ist zu schön, um wahr zu sein. Denn auch dem eifrigsten Daten-Sauger dämmert nach etwas Nachdenken, dass in der Rechnung noch etwas fehlt.
Von nichts kommt nichts
Irgendjemand muss die heiß geliebte Musik auch komponieren und aufführen, irgendjemand muss die Bücher schreiben, irgendjemand die Filme drehen. Und all die Autoren, Komponisten, Sängerinnen und Schauspieler, die Begleitbands, die Kameraleute, die Tontechniker und Kabelträger - sie machen das Ganze nicht nur aus Spaß, sondern professionell, als Beruf also, um ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen. Mal mit sehr viel, mal mit weniger Erfolg; die Spanne bei Medienschaffenden reicht vom Multimillionär bis hin zum armen Schlucker. Und noch jemand sitzt bei praktisch allen umfangreicheren Projekten mit im Boot: die Produzenten oder Verleger, die für die Organisation und Finanzierung sorgen und logischerweise im Gegenzug auch wieder etwas verdienen wollen.
Content-Mafia und Raubkopierer
Die Musik- und Filmindustrie, die nicht selbst kreativ tätig ist, sondern Inhalte nur verbreitet und vermarktet, ist für Netzpiraten eine ausbeuterische "Content-Mafia", die die Ware Unterhaltung künstlich verknappt und zu überhöhten Preisen an den Kunden herausgibt. Und so weicht man eben auf alternative Angebote wie die sogenannten Tauschbörsen oder Filesharing-Netzwerke aus. Die Gegenseite klagt über Umsatzeinbrüche oder multipliziert schon einmal gern die geschätzte Anzahl der raubkopierten Werke mit dem offiziellen Verkaufspreis oder dem Kinoeintritt. Da kommen dann schnell riesige Milliardensummen zusammen - der hochgerechnete Schaden ist aber zu einem nicht geringen Teil rein fiktiv; schließlich ist das Budget eines zahlenden Konsumenten begrenzt.
Zahlungsbereitschaft ist vorhanden
Während die Inhalteanbieter, also Plattenfirmen, Filmverleiher und Verlage mit Kampagnen wie "Raubkopierer sind Verbrecher" und natürlich auch mit juristischen Aktionen das digitale "geistige Eigentum" mit den Mitteln der bestehenden Gesetze verteidigen, scheint es den Computernutzern schlechthin an Unrechtsbewusstsein zu mangeln. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Anscheinend sind nämlich sehr viele Menschen sehr wohl bereit, für ihren digitalen Medienkonsum Geld zu bezahlen; das zeigt am deutlichsten der Erfolg von "iTunes", dem Online-Kaufhaus für Musik und Filme des US-Konzerns Apple. Wer sich für ein legales Angebot entscheidet, für den spielt Bequemlichkeit eine Rolle, der Umfang des verfügbaren Titelangebots, die attraktive Aufbereitung. Und dann aber wohl auch - bei einer als "angemessen" empfundenen Preisgestaltung - das gute Gefühl, sich fair verhalten zu haben.
Eine Frage des Preises
Eine oft vorgeschlagene Lösung der Frage, wie man die Wünsche von Mediennutzern mit den finanziellen Bedürfnissen der Urheber und Produzenten in Einklang bringen könnte, ist die sogenannte Kultur-Flatrate - die Zahlung eines pauschalen Betrages für den unbegrenzten Zugang zu Medieninhalten. Zumindest für den Musikbereich ist der einstige Wunschtraum nun quasi Realität: Bei den sogenannten Streaming-Anbietern wie Rdio, Simfy oder Spotify, die in diesen Wochen in Deutschland auf den Markt gekommen sind, können Kunden sich für fünf Euro pro Monat am Computer das nahezu komplette Angebot aus Pop, Jazz oder Klassik anhören, für zehn Euro lassen sich Einzeltitel oder komplette Alben auch auf Mobilgeräte herunterladen. Das fühlt und hört sich dann genauso an, als hätte man die Mediendateien "gekauft" - der feine Unterschied ist aber, dass sich die Musik vom Smartphone zumindest mit normalen technischen Mitteln nicht digital weiterkopieren lässt, betont Pressesprecher Peter Hempel von der Verwertungsgesellschaft GEMA.
Centbeträge, die sich summieren können
Streaminganbieter mit einem kostenpflichtigen Abonnement-Modell auch für Mobilgeräte zahlen nach dem geltenden Tarif 10,25 Prozent der Umsätze oder mindestens 1,25 Euro pro Monat und Kunde an die GEMA. Die leitet das Geld dann an die Urheber weiter, und zwar genau abhängig von den Nutzungsdaten - je häufiger ein bestimmtes Stück angehört wurde, umso mehr bekommt der geistige Schöpfer schließlich auch ausgezahlt. Wie viel bei der Musikhör-Flatrate für die Urheber am Ende herauskommt, bleibt erst einmal abzuwarten - ebenso, ob sich das Ganze für die Streaminganbieter rechnen wird.
Auch für ein Film-Abonnement zu angemessenen Preisen würden sich die Kunden erwärmen, das zeigt nicht zuletzt die mittlerweile stillgelegte Plattform kino.to: Ein sogenannter Premiumzugang mit Komfortfunktionen kostete dort nämlich auch rund zehn Euro pro Monat, ähnlich sah die Preisgestaltung beim ebenfalls vom Netz genommenen Betreiber Megaupload aus. Bei kino.to und Konsorten landet das Geld allerdings ungeschmälert in den Taschen der Betreiber - die Urheber gehen leer aus.
Filmwirtschaft bleibt zögerlich
Ein legales Angebot mit einem wirklich umfassenden und aktuellen Titelkatalog ist in Deutschland noch nicht in Sicht: Vorhandene Online-Videotheken verlangen ihren Kunden mit allerlei technischen Hürden wie Kopierschutz und zeitlichen Begrenzungen einiges ab, während die Preise mit denen herkömmlicher Videotheken vergleichbar sind. Über kurz oder lang werden sich die Urheber und Produzenten auch hier die Frage stellen müssen, wie sie mit den Realitäten einer veränderten Mediennutzung umgehen wollen. Die Filmwirtschaft ist nämlich mit etwas Verspätung nun ebenso vom "Raubkopierproblem" betroffen wie die Musikindustrie schon seit langem - billige Computerfestplatten mit Riesenkapazität und schnelle Internetleitungen machen es möglich.
Vielleicht braucht es noch einen Generationswechsel in den Führungsetagen der Branche, mutmaßt eine Insiderin, um auch hier neue Wege und Verwertungsmöglichkeiten auszuprobieren - die Digital Natives sind bislang noch nicht in den Chefsesseln angekommen.