Diplomat im Dienst der Geiseln
18. August 2003Jürgen Chrobog wirkt im Stillen. Das Auftreten des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt ist alles andere als dröhnend laut. Diese Art des 63-Jährigen verhalf ihm im Drama um die in der Sahara verschleppten Touristen jetzt offenbar zum Erfolg. Am Sonntag (17.8.2003) flog er erneut nach Mali, diesmal mit einem großen Flugzeug, um die Geiseln - neun Deutsche, vier Schweizer und ein Holländer - nach Hause zu holen.
Diplomat der alten Schule
Jürgen Chrobog wurde am 28. Februar 1940 in Berlin als Sohn eines Ministerialbeamten geboren. Der studierte Jurist verbrachte praktisch sein gesamtes Berufsleben als Diplomat. Schon kurz nach seinem Eintreten in den Auswärtigen Dienst 1972 wurde er an die deutsche Vertretung bei der UNO in New York entsandt. Ab 1974 arbeitete er im Büro des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP). Er galt als engster Berater Genschers, dessen Stil eine ganze Generation deutscher Diplomaten geprägt hat.
Die 80er-Jahre hindurch versah Chrobog erst in Brüssel und dann in Bonn die heikle Aufgabe eines Pressesprechers, der eigentlich nichts sagen darf, Journalisten aber trotzdem so weit informieren will, dass sie aus seiner Sicht nichts Falsches berichten. Dabei beeindruckte er mit seiner breiten Kenntnis komplexer internationaler Zusammenhänge wie der europäischen Kooperation und der transatlantischen Beziehungen. 1991 wurde er Politischer Direktor, in einer Zeit, die vom Jugoslawien-Konflikt dominiert war. 1995 krönte er seine Botschafterkarriere mit dem prestigeträchtigen Posten in Washington.
Zäher Verhandlungspartner
In die USA eilte Chrobog der Ruf als zäher Unterhändler voraus. Bei den schwierigen Gesprächen über die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter saß er indes hinter den Sonderbeauftragten von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nur in der zweiten Reihe. Sein Verhältnis zu den Vereinigten Staaten war stets ein gespaltenes, und im kleinen Kreis sparte er nicht mit Kritik. Die von ihm diagnostizierten kulturellen Unterschiede zwischen Europa und Amerika wurden in seiner Arbeit allzu oft deutlich - etwa bei seinem vergeblichen Kampf um die Begnadigung der deutschen Todeskandidaten Karl und Walter LaGrand oder bei den Auseinandersetzungen um den Umgang mit der in den USA als Kirche anerkannten, in Deutschland aber als Sekte kritisierten Scientology-Organisation.
Ein Tiefpunkt für Chrobog war zweifellos die Protokollaffäre: Im Mai 2001 gelangte seine Zusammenfassung eines Kanzlerbesuchs im Weißen Haus an die Öffentlichkeit. Der Text enthielt von Kanzlerberater Michael Steiner und US-Außenminister Colin Powell geäußerte Einschätzungen ausländischer Politiker. Wer für die Indiskretion verantwortlich war, blieb offiziell ungeklärt. Der Makel, den allein der Verdacht hinterließ, muss Chrobog auf Dauer gezeichnet haben. Ende Juni 2001 wurde er in Washington abgelöst. Seither ist er als beamteter Staatssekretär im Auswärtigen Amt für heikle Missionen wie die Bemühungen um die Freilassung der entführten Touristen zuständig.
"In großer Sorge um die Geiseln"
Seit April leitet der Spitzendiplomat den Krisenstab, den die Bundesregierung zu den Sahara-Entführungen einrichtete. Bei seiner Arbeit wahrte er strikte Diskretion. Nur vereinzelt war er im Fernsehen zu sehen, wie im Mai, als er die erste Gruppe von Freigelassenen nach Deutschland begleiten konnte. Dies sei nur ein Teilerfolg, sagte er damals: "Wir sind in großer Sorge, was die zweite Gruppe von Geiseln betrifft."
Unermüdlich setzte Chrobog seine Bemühungen fort. Die Lösegeldforderungen der Geiselnehmer seien kein Hindernis für die Verhandlungen mehr, hieß es kurz nach der Rückkehr von seiner vorletzten Reise in die Region. Diesmal scheint das Ziel erreicht. (afp)