Diplomaten verzweifeln an Syrien
29. Mai 2012Kofi Annan, der UN-Gesandte für Syrien, wäre kein Diplomat, wenn er nicht noch einmal nach Damaskus geflogen wäre, um von seinem Friedensplan zu retten, was noch zu retten ist. Allein "mutige Schritte", teilte er Machthaber Baschar al-Assad mit, könnten dem Friedensplan noch zum Erfolg verhelfen. Dass das syrische Regime diese Schritte geht, nehmen derzeit aber offenbar immer weniger westliche Staaten an.
In Reaktion auf das Massaker in Hula vom vergangenen Freitag, bei dem mindestens 108 Menschen getötet wurden, hat Außenminister Guido Westerwelle am Dienstag den syrischen Botschafter in Deutschland ausgewiesen. Auch Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Kanada erklärten die jeweiligen syrischen Spitzendiplomaten zu unerwünschten Personen. "Wir setzen darauf, dass unsere unmissverständliche Botschaft in Damaskus nicht auf taube Ohren stößt", erklärte Westerwelle.
Das Massaker, dessen Opfer nach Worten des Sprechers des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, in zwei getrennten "Sammelhinrichtungen" ermordet wurden, hat die Geduld zahlreicher westlicher Diplomaten erschöpft. Außenminister Westerwelle wählte deutliche Worte: "Nicht erst seit Hula ist klar: Syrien hat unter Assad keine Zukunft. Er muss den Weg für einen friedlichen Wandel in Syrien freimachen."
"Die Bevölkerung wird massakriert"
Der Syrische Nationalrat (SNC) sieht seine Position bestätigt. Nun sei klar, dass der Annan-Plan sein wesentliches Anliegen, den Schutz der syrischen Bevölkerung vor der Gewalt der Staatsmacht, verfehle, erklärt ein Vertreter des SNC im Gespräch mit der DW.
"Die UN-Beobachter", sagte der Sprecher, der aus Sicherheitsgründen nicht beim Namen genannt werden will, "beobachten keinen Waffenstillstand mehr - sie zählen die Toten." Durch das Massaker, erklärte er weiter, werde offenbar, dass die Syrer auf eine andere Lösung setzen müssten. "Die Bevölkerung muss sich verteidigen. Und das geht nur über das Militär, über die Freie Syrische Armee. Sie besteht aus ehemaligen Offizieren und Soldaten der Armee. Darum hat sie die Pflicht, die syrische Bevölkerung zu verteidigen. Denn die Zeit der bloßen Diktatur oder Tyrannei ist vorbei. Die syrische Bevölkerung nimmt zur Kenntnis, dass sie massakriert wird."
Schwierigkeiten einer "jemenitischen Lösung"
Angesichts der sich verhärtenden Positionen hat es auch die von US-Präsident Barack Obama ins Spiel gebrachte "jemenitische Lösung" zunehmend schwerer. Im Jemen hatte der damalige Präsident Ali Abdullah Saleh die Amtsgeschäfte an seinen Stellvertreter Abdurabbo Mansur Hadi abgegeben, der dann auch zum neuen Präsidenten seines Landes gewählt worden war. Einer solchen Lösung, so die Hoffnung westlicher Diplomaten, könnte auch Russland zustimmen, dass einen Regierungswechsel "durch Gewalt" bislang abgelehnt hatte.
Dass es zu einer gewaltfreien Lösung kommen wird, hält der Vertreter des SNC allerdings für unwahrscheinlich. "Das Regime in Damaskus wird nur dann stürzen, und die Massaker werden nur dann aufhören, wenn die Internationale Gemeinschaft einschreitet. Erst, wenn das Regime die Nato-Flugzeuge am Himmel sieht, wird es die Macht aus den Händen geben und abdanken."
Ein internationaler Konflikt
Wenig optimistisch ist auch der libanesische Historiker und Publizist Georges Corm. Seit geraumer Zeit schon befinde sich Syrien im Bürgerkrieg, erklärt er im Gespräch mit der DW. Allerdings macht der Autor zahlreicher Bücher über Geschichte und Gegenwart des Nahen Ostens gerade die Versuche internationaler Einflussnahme dafür verantwortlich, dass der Konflikt nicht beigelegt werde. "In Gang gehalten wird er vor allem durch massive ausländische Intervention gegen das syrische Regime. Natürlich kann man verstehen, dass das Regime wechseln und neuen Kräften Platz machen muss. Aber die ausländischen Kräfte, etwa Saudi-Arabien und Katar, aber auch die Türkei haben mit ihrer massiven Intervention Russland und China zu nicht minder entschlossenen Positionen provoziert. Darum geht die Gewalt in Syrien weit über einen rein regionalen Konflikt hinaus."
Damit ist das Dilemma umrissen, in dem das Regime von Assad sich befindet: Es argwöhnt, dass es mit einem bloßen Austausch an der Staats- und Regierungsspitze nicht getan ist. Als Verbündeter Irans und mit zumindest bislang engen Beziehungen zur libanesischen Hisbollah spielt das Land im schiitischen Machtblock der Region eine zentrale Rolle. Dessen sunnitische Konkurrenten, angeführt von Saudi-Arabien und Katar, dürften mehr wollen als nur einen Personalwechsel an der Spitze des syrischen Staates. Auch der Westen, so der Vorbehalt des Assad-Regimes, wird mehr als eine "jemenitische" Lösung wünschen. Die westlichen Staaten, argwöhnt man in Damaskus, würden die gegenwärtige Krise vor allem zu einem nutzen: ein Regime auszuschalten, das für Israel, ihren verlässlichsten Verbündeten in der Region, immer eine Gefahr dargestellt habe.
Darum, so der Verdacht der Regierung Assad, komme eine "kleine", eine "jemenitische Lösung" für sie kaum in Frage. Der Sturz des Regimes sei vielmehr die Voraussetzung für das grundlegende westliche Anliegen einer Neuordnung des Nahen Ostens.
Eine zunehmend antiwestliche Stimmung
Darum, erklärt Georges Corm, sei das syrische Regime durchaus bereit, mit der Opposition zu sprechen - "allerdings nur mit der Opposition innerhalb des Landes, die nicht von den Vereinigten Staaten, Frankreich oder der Türkei beeinflusst ist".
Derzeit aber fährt das Regime einen Kurs der Gewalt, der den Interessen einiger Oppositioneller letztlich entgegen kommen könnte. Denn die fortgesetzte Brutalität erzeugt eine Stimmung für den bewaffneten Kampf, sagt der Vertreter des Syrischen Nationalrats. "Die Leute sagen: 'Warum hilft uns der Westen nicht, wenn er der Hort der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte ist?'" Eine Lösung rückt dadurch in immer größere Ferne - auch die jemenitische.