7. Juni 2017
Eva: Ich fragte im Pekinger Fake Studio an, ob ich nach Ai Weiweis Ankunft in Berlin einen Beitrag über ihn drehen könne. Es hieß, dass Ai Weiwei erst einmal Ruhe brauche. Sobald er sich in Berlin eingewöhnt habe, könne ich aber sogar einen längeren Film drehen. Ich kannte Ai Weiwei bereits. Als freie Journalistin hatte ich ein paar Jahre in Peking gelebt und seit 2007 mehrfach über ihn berichtet.
Bettina: Eva fragte, ob ich mit ihr eine Dokumentation über Ai Weiwei in Berlin drehen wolle. Die Idee: Wir begleiten ihn ein Jahr lang. Wie hat ihn die Zeit in der Haft geprägt? Wie verändert ihn die Stadt? Zu diesem Zeitpunkt hatten wir keine Ahnung, was in diesem Jahr passieren würde. Nur eines war schnell klar: Ai Weiweis großes Thema ist die Flüchtlingskrise. Ich habe zugesagt. 2007 habe ich ihn bei der documenta in Kassel gesehen, fand ihn spannend, aber auch ein Enigma. Ich war neugierig.
Eva: Im November 2015 begannen wir zu drehen, Ai Weiwei als Einstein-Gastprofessor an der Universität der Künste. Im Dezember reisten wir mit ihm nach Lesbos. Seine erste Begegnung mit Flüchtlingen, die in Schlauchbooten aus der Türkei über die Ägäis kamen. Ai Weiwei wollte raus aufs Meer, in einem Motorboot, Flüchtlinge bei der Überfahrt finden. Verstehen, was passiert. Plötzlich tauchte etwas am Horizont auf, ein Boot, leer, aufgegeben, die Flüchtlinge wurden schon von der Küstenwache gerettet. Ai Weiwei stieg in das Schlauchboot – wir filmten. Er wollte nachempfinden, was die Flüchtlinge fühlen. Er trieb allein weit hinaus – obwohl er nicht schwimmen kann. Wir machten uns Sorgen.
Bettina: Wenn man Ai Weiwei auf den Fersen bleiben will, muss man schnell sein. Mit einer Kamera in der Hand und der Technik auf dem Rücken eine Herausforderung. Der Künstler läuft immer schnellen Schrittes, ohne dabei in Eile zu wirken. Für uns stand fest: Wir drehen zu zweit, mit kleiner Kamera. Und wir brauchen gute Schuhe. Ai Weiwei zu begleiten, heißt nicht nur schnell, sondern auch flexibel zu sein. Im Handumdrehen ändert der Meister seine Route, seinen Plan. Ein Tross von Mitarbeitern folgt ihm wie von Zauberhand.
Eva: Für uns stand im Mittelpunkt: Warum macht er die Flüchtlingskrise zu seinem großen Thema und was hat das mit seiner eigenen Biografie zu tun? In diesem letzten Jahr war Ai Weiwei viel unterwegs – zu den Hotspots der globalen Flüchtlingskrise – Dreharbeiten für seinen Dokumentarfilm „Human Flow“. Er hat uns die Tür weit geöffnet. An etliche Orte konnten wir ihm gar nicht folgen. 24/7 passiert etwas, Ai Weiwei ist rastlos, voller Tatendrang, täglich auf Achse und ständig auf Reisen. Die Dokumentation: ein Drahtseilakt. Wo fahren wir mit, was lassen wir aus? Alles geht ja nicht. Kenia, Türkei, Libanon, die großen Ausstellungen in Wien, Florenz, Prag, Amsterdam haben wir beiseite gelassen. Stattdessen sind wir mit nach Idomeni, vor der Räumung des wilden Flüchtlingscamps. Wo tausende in ihren Zelten bei Regen im Matsch auf eine Grenzöffnung zwischen Griechenland und Mazedonien hofften. Ausgangspunkt der Balkanroute. Oder nach Gaza und mit Ai Weiwei auf den Spuren seiner Vergangenheit nach Paris oder New York – dort stellte er auch seine Kunst aus. Besonders in Erinnerung bleibt Ai Weiweis Besuch bei seiner Mutter in Peking. Einblicke in die Familiengeschichte.
Bettina: Und Ai Weiweis Kochkünste. Die Jiaozi, die chinesichen Dumplings, die er für Familie und Freunde kochte, durften wir auch probieren. Sie waren sehr lecker. Und ich habe nebenbei etwas Chinesisch gelernt: Nanmin de yifu (Kleider von Flüchtlingen). Für mich ist Ai Weiwei immer noch ein wenig das Enigma, auch wenn er betont: „Ich bin genau der, den ihr seht.“
Bettina und Eva: Ob Ai Weiwei Kunst oder Kommerz bediene, was denn der Unterschied zwischen dem Künstler Ai Weiwei, dem Aktivisten und der Privatperson wäre und warum sich Ai Weiwei in Berlin nicht mehr so kritisch zu China äußere – diese Fragen stellt man uns häufig. Die Erwartungen an den chinesischen Künstler in Berlin sind hoch. Wir versuchen es mit einem Perspektivwechsel. In der Zwischenzeit plant Ai Weiwei schon längst die nächsten Großprojekte. Er ist eben schnell.
Eva Mehl und Bettina Kolb