"Disneyland" Jerusalem
31. Mai 2017Der Ort war mit Bedacht gewählt: Im Tunnel unter der Klagemauer ließ Benjamin Netanjahu am vergangenen Sonntag seine Minister antreten für die wöchentliche Kabinettssitzung. Damit wollte die israelische Regierung den 50. Jahrestag der "Wiedervereinigung" Jerusalems feiern und die Eroberung der Jerusalemer Altstadt im Sechstagekieg 1967. Dabei hatte noch vor wenigen Tagen sogar US Präsident Trump es abgelehnt, von Netanjahu zur Klagemauer begleitet zu werden. Denn die internationale Weltgemeinschaft erkennt die Annektierung Ostjerusalems nicht an.
Während Israel dieser Tage in Feierlaune ist, um die Eroberungen des Sechstagekriegs von 1967 zu begehen, gedenken die Palästinenser 50 Jahren Militärbesatzung. Die Kabinettssitzung - eine Provokation, hieß denn auch von palästinensischer Seite. "Das Treffen im besetzten Ostjerusalem ist ein Versuch der israelischen Regierung, die Besatzung, Unterdrückung und Kolonisation zu normalisieren", sagte Saeb Erekat von der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO.
Streitpunkt Jerusalem
Der Status Jerusalems zählt zu den größten Streitpunkten im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Im Sechstagekrieg 1967 eroberte Israel Ostjerusalem und die Altstadt von Jordanien und besetzte das Gebiet, in dem die Stätten liegen, die Juden, Muslimen und Christen heilig sind. Später annektierte Israel den arabischen Ostteil der Stadt und erklärte Jerusalem 1980 zu seiner ungeteilten und ewigen Hauptstadt. Ein Schritt, der nie von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wurde. Palästinenser beanspruchen Ostjerusalem als Hauptstadt ihres zukünftigen Staates. Über den Status der Stadt soll bei Friedensverhandlungen entschieden werden.
Während der Sitzung unter Tage stimmte das Kabinett zudem der ersten Bauphase eines äußerst umstrittenen Projekts zu: Eine Seilbahn soll künftig Touristen an die Klagemauer in der Jerusalemer Altstadt bringen, um den Zugang zu dem für Juden heiligsten Ort zu erleichtern. Politisch ist das Projekt, das bereits vor über zehn Jahren erstmals auf den Tisch kam, äußerst heikel. Die Seilbahn würde von Westjerusalem ins besetzte Ostjerusalem verlaufen. Nach den Plänen soll die Bahn spätestens 2021 in Betrieb gehen und stündlich bis zu 3000 Menschen transportieren können – zum Preis von einem Busticket. Der Bau soll umgerechnet rund 50 Millionen Euro kosten. Es gäbe keinen "besseren Zeitpunkt als jetzt - 50 Jahre nach der "Wiedervereinigung Jerusalems" dieses "revolutionäre Projekt" an den Start zu bringen, sagte Tourismusminister Yariv Levin. "Die Seilbahn wird das Erscheinungsbild Jerusalems verändern."
Umstrittenes Bauvorhaben
Doch das Projekt ist höchst umstritten, nicht nur weil es über besetztes Gebiet läuft. Jede vermeintliche Veränderung im Umfeld des Tempelbergs, von den Palästinensern Haram Al-Scharif genannt, auf dem der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee stehen, könnte die ohnehin angespannte Lage rund um die für verschiedene Religionen heiligen Stätten eskalieren. Aber auch die lokale Bevölkerung sei betroffen. "Unsere Sorge gilt Jerusalem, das sich damit mehr und mehr wie ein Disneyland entwickelt", sagt Archäologe Yonathan Mizrahi der DW. "Man kann es auch als politischen Akt verstehen, das man mehr Leute, in dem Fall Israelis und Touristen, an Orte wie Silwan bringt."
Das palästinensische Viertel Silwan liegt direkt vor den Toren der Altstadt, dort könnte auch die Endhaltestelle der Seilbahn sein. Eine Siedlerorganisation betreibt dort bereits eine archäologische Grabungsstätte mit Besucherzentrum in der sogenannten David-Stadt. Auch die israelische Menschenrechtsorganisation Ir Amim warnte davor, dass mit dem sogenanntem "biblischem Tourismus" die Verbreitung von touristischen Siedlungsorten inmitten palästinensischer Viertel gefördert werde. Israelische Medien berichten auch davon, dass die dort aktiven Siedlerorganisationen möglicherweise an dem Seilbahnprojekt beteiligt sei.
Dass die Sondersitzung des Kabinetts nun ausgerechnet in den Tunneln der Klagemauer stattfand, werten einige israelische Kommentatoren auch als Demonstration eines gestärkten Premierministers. Es wäre kaum vorstellbar gewesen, dass jemand vor 20 Jahren vorgeschlagen hätte, "die 50-Jahr-Feiern zur 'Wiedervereinigung Jerusalems' in den Tunneln unter der Klagemauer abzuhalten", schrieb etwa der Journalist Anshel Pfeffer in der Tageszeitung Ha'aretz. Denn die Grabungen für die Tunnel hatten in der Vergangenheit für politische Spannungen gesorgt. 1996, in seiner ersten Amtszeit als Premierminister, gab Benjamin Netanjahu grünes Licht für eine Öffnung der Tunnel zur Via Dolorosa. Daraufhin brachen schwere Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis aus - es gab Tote und Verletzte. Genau in diesem Tunnel fand nun auch die Kabinettssitzung statt.