Documenta 14: Leiser Abschied aus Athen
16. Juli 2017"Ist schade, dass es das bald nicht mehr gibt", sagt die ältere Frau mit dem imposanten grauen Zopf. Und sie meint damit das kostenlose Essen in dem bunten Zeltpavillon auf dem Athener Rathausplatz. Dass es sich dabei um ein Kunstprojekt des Pakistaners Rasheed Araeen handelt, weiß sie wahrscheinlich nicht. Wäre ihr vielleicht auch egal. Sie hat hier ihren Stammplatz und mit ihr viele andere Bedürftige. Wen wundert's, angesichts der Armut in Athen. Es bedarf schon Mut, sich hier als Documenta-Interessierter unbefangen an die Tische zu setzen und denen, die es dringend brauchen, ihren Anteil "wegzuessen", so formuliert eine deutsche Besucherin ihr Unbehagen.
Die Stadt Athen lässt sich nicht abschütteln
"Von Athen lernen", so heißt das zigmal kommentierte und hinterfragte Motto der Documenta14. Und jetzt, kurz vor Ende, scheint es, dass immer noch keiner so genau eine Antwort geben kann, worum es dabei eigentlich geht. Viele hätten diesen Satz zu wörtlich genommen, meint Marina Fokidis, kuratorische Beraterin der Doppelschau. Man hätte nie eine "Lektion" im Kopf gehabt.
Für sie als Athenerin sei vor allem das voneinander Lernen in beiden Organisationsteams, das aufreibende Ringen um Kunst und Künstler wichtig gewesen. Ein Prozess, der immerhin schon 2014 begonnen hat, als Adam Szymczyk in ersten Gesprächen mit Künstlern und Institutionen seine Ideen in Athen zur Diskussion stellte. Die Kritik, die Documenta hätte Athen exotisiert, kann sie nicht nachvollziehen. "Wir wollten genau keine 'Poornografie', wir wollten nicht die Krise ausstellen und auch nicht die deutsch-griechischen Beziehungen", sagt sie geradezu empört. Und doch, beides ließ sich nicht abschütteln, warum auch.
Kunst verschmilzt in Athen mit dem Ort
Da ist die alte Fabrik, im Südwesten Athens, wo die Nazis 75 griechische Widerstandskämpfer ermordet hatten und die Schauplatz für ein Performance- und ein Filmprojekt mit Schülern aus dem Viertel wurde. Die Kunst hat in Athen, mehr als in Kassel, einen direkten Bezug zum Ort, zur historischen und aktuellen Situation. Umso mehr stellt sich die Frage, was bleibt von der Documenta?
Für den Choreograf Kostas Tsioukas ist klar, es geht weiter. Drei Monate lang, drei Tage die Woche hat er im archäologischen Museum in Piräus vor Säulen getanzt, sich an Skulpturen geschmiegt, auf dem Marmor meditiert. Sein Gemeinschaftsprojekt von Tänzern und Performern ist so gut angekommen, dass das Museum die Zusammenarbeit fortsetzen will. Für Athen ein Novum. Die Antike gilt immer noch als das eigentliche Kulturgut, zeitgenössische Kunst bleibt außen vor.
"Die Documenta hinterlässt ein großes Vakuum"
Das wird sich wohl nicht so schnell ändern, befürchtet Eleni Kountouri. Sie ist Direktorin von NEON, der neben Onassis und Niarchos, dritten großen Stiftung, die zeitgenössische Kunst in Griechenland unterstützt. "Die Documenta hinterlässt ein großes Vakuum", meint sie etwas ratlos. Klar, es gäbe diesen Athen-Hype, auch befördert durch die Documenta. Ständig bekäme sie Anfragen, die Kontakte suchen zu griechischen Künstlern, Galerien und den vielen jungen Initiativen vor Ort.
Doch dass dieser Hype eine Auswirkung auf die Künstlerausbildung oder Kunstförderung hat, bezweifelt sie. Das Kulturministerium habe kein Geld und sei in Sachen zeitgenössischer Kunst einfach ignorant.
Gewinn für zeitgenössische Kunst
Immerhin streitet man sich um die Documenta: in den sozialen Medien, in der Presse. "Das ist schon mal ein gutes Zeichen", meint Katerina Koskina etwas lakonisch. Die Leiterin des Nationalen Museums für Zeitgenössische Kunst (EMST) könnte als eigentliche "Gewinnerin" der Documenta gelten. Zum ersten Mal kann sie im Kasseler Fridericianum einen Teil ihrer Sammlung - vor allem griechische Kunst von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart - einem internationalen Publikum zeigen. Kein Sammelsurium, wie sie betont, sondern eine von ihr ausgearbeitete Konzeption entlang der Achsen Politik, Existenz und Grenzen. Die Sammlung konnte bislang mangels Geld und struktureller Probleme nicht im EMST präsentiert werden. Sie soll nach Kassel endlich auch in Athen zu sehen sein. Eine "Win-Win-Situation" für die Direktorin Katerina Koskina. Schließlich habe die Documenta drei Etagen in dem Gebäude belegen können.
Mehr als 300.000 Besucher, die genauen Zahlen sind noch nicht bekannt, waren allein im EMST. Ein Erfolg, zumal sich die Documenta mit ihrer Außendarstellung in Athen keinen Dienst erweisen hat. Plakatwerbung erst kurz vor der Eröffnung, mit kryptischen D14 Zeichen, die nur Insidern etwas sagten. Inzwischen wissen auch die Taxifahrer, dass es diese Kunstschau gibt und sie irgendwie wichtig ist. Kein Wunder, bei 40 Orten quer über die Stadt verteilt, die teils nur per Bus oder Taxi zu erreichen sind.
Künstler initiiert Nachbarschaftsprojekt im "Problemviertel"
Eines der Projekte, das auch nach dem Ende der Documenta noch angesteuert werden kann, ist das Nachbarschaftsprojekt am Victoria Platz. Die Gegend gilt als "Problemviertel", ist bekannt für Drogen und Kriminalität und war darüber hinaus bis ins vergangene Jahr das Zentrum für neuangekommene Flüchtlinge. Dort hat der US-Künstler Rick Lowe einen Laden gemietet. Eine Küche, ein paar Tische, Stühle, Wandtafeln und Stifte - die Grundausstattung für den Nachbarschaftstreffpunkt.
"Seitdem sind die Junkies, die vorher hier rumhingen weg, und das ist gut", sagt Marios Blido bestimmt. Er ist Albaner, wohnt dort seit 27 Jahren und hat von Anfang an mitangepackt bei der Einrichtung des Ladens. Inzwischen gibt es eine Zeitung, die Geschäftsinhaber rund um den Victoria Platz porträtiert, diverse Kursangebote für Kinder, und Architekturstudenten überlegen mit Anwohnern, was verbessert werden könnte. Bis April nächsten Jahres ist die Miete gesichert, dann soll das Zentrum, möglichst in Eigenregie und von der Stadt gefördert, weitermachen.
Der Kioskbesitzer an der Ecke ist irritiert. Klar, ist ja eine gute Sache, er wurde auch schon porträtiert, aber warum macht ein Ausländer das? Und wer bezahlt das? Und wieso sei das Kunst?
Kunst schafft Netzwerke ohne Geld
Eins dürfte sicher sein, diese Doppelschau hat nicht nur am Selbstverständnis der Institution Documenta grundlegend gerüttelt. Sie hat die Fragen, was Kunst will oder kann, jenseits von Verwertbarkeit des Marktes, noch einmal ausgeweitet.
"Wir haben anfangs überlegt, ob wir hier in Athen ein Gebäude schaffen, etwas Festes, was bleibt," erklärt die kuratorische Beraterin Marina Fokidis. Was wirklich bleiben wird, und davon ist sie überzeugt, sind die vielen Netzwerke, die auf einer anderen "Währung" beruhen als auf dem Euro. "Auch wenn sich das nach Hippie anhört, diese Netzwerke sind mit dem Herzen geschlossen, nicht mit Geld."
"Small is beautiful", dieses Motto stammt aus den 70ern, in denen alles so bunt war. Auch Athen ist durch die Documenta bunter geworden. Irritierende Performances auf den Straßen, merkwürdige Tänzer und Geräusche in den archäologischen Stätten, in Orten, die man sonst nie gesehen hätte und das Marmorzelt auf dem Hügel gegenüber des Parthenons - das alles ist jetzt weg. Schade.