documenta-Eklat spitzt sich zu
22. Juni 2022Einen Tag, nachdem die documenta ein umstrittenes Werk des indonesischen Kollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Elemente entfernen ließ, werden die Rufe nach Konsequenzen lauter. Die "Jüdische Allgemeine", die vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegeben wird, rief Kulturstaatsministerin Claudia Roth zum Amtsverzicht auf. Der neue Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, forderte den Rücktritt von documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann. Auch die Mitglieder des documenta-Kontrollgremiums unter Leitung des Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle sollten ihre Posten zur Verfügung stellen.
Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte gegenüber der "Jüdischen Allgemeinen", er werde in diesem Jahr die Kunstschau in Kassel nicht besuchen, auch wenn er "in den vergangenen 30 Jahren wohl keine documenta versäumt" habe. Eine Sprecherin erklärte den Angaben zufolge, der Bundeskanzler finde "die besagte Abbildung in Kassel abscheulich und hält es für völlig richtig und angemessen, dieses Plakat zu entfernen". In Deutschland sei "kein Platz für antisemitische Darstellungen, auch nicht auf einer Kunstausstellung".
Das Banner von Taring Padi ist abgebaut
Die Installation "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi hing nur drei Tage an einem Gerüst auf dem zentralen Friedrichsplatz, bis die antisemitische Bildsprache des Banners bemerkt und öffentlich scharf kritisiert wurde. Immer lauter wurden die Forderungen nach Konsequenzen. Am Dienstagabend bauten die Künstler ihr Werk schließlich ab, nachdem es zuvor verhüllt worden war.
Auch die bunten Pappaufsteller zu Füßen des Banners, die in unzähligen Workshops von Taring Padi mit hunderten Beteiligten entstanden, wurden entfernt. Rund 100 Menschen verfolgten das Geschehen. Es gab Pfiffe und Buhrufe. Andere klatschten Beifall. Nur das Gerüst für das Kunstwerk steht noch auf dem entleerten Platz zwischen Museum Fridericianum und documenta-Halle.
Den Abbau hatte unter anderem der Förderkreis "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" gefordert. Die Vorsitzende des Förderkreises, Lea Rosh, sprach in Bezug auf die documenta von "Antisemitismus mit langer Ansage". Zuvor hatten auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die hessische Kunststaatsministerin Angela Dorn die Entfernung des Wandbilds von Taring Padi verlangt und die documenta-Verantwortlichen zu Konsequenzen aufgefordert.
Ruf nach Aufarbeitung des Eklats immer lauter
Er und die Stadt fühlten sich durch die antisemitischen Motive beschämt, sagte Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, der von einem "immensen Schaden für Kassel" sprach. Trotz ihrer Bekenntnisse sei die künstlerische Leitung der documenta fifteen "ihrer Verantwortung nicht nachgekommen, dafür zu sorgen, dass Antisemitismus, Rassismus sowie jede Art von Diskriminierung keinen Raum hat".
Dem kuratierenden Kollektiv Ruangrupa war schon seit Monaten Antisemitismus vorgeworfen worden. Doch versicherten die Kuratoren, Antisemitismus, Rassismus oder Gewalt würden keinen Platz auf der documenta haben.
Unterdessen gibt es neue Vorwürfe gegen die documenta. Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, kritisierte "pro-palästinensische" Propagandafilme im Programm der documenta fifteen in Kassel. Die Filme aus den 1970er Jahren würden weitgehend unkommentiert gezeigt und die Herkunft und Verbindung der Filme zu der linksextremen und antisemitischen Terrorgruppe Japanische Rote Armee nicht problematisiert, sagte Claussen dem Evangelischen Pressedienst.
Zuvor hatte die Süddeutsche Zeitung über derartige Filme berichtet. Eine Stellungnahme der documenta steht noch aus.
Wie es nun weitergeht mit und auf der documenta, ist offen. Immer mehr Stimmen fordern die Aufarbeitung des Eklats. Kulturstaatsministerin Roth bezeichnete den Abbau des Taring Padi-Werkes "nur als ersten Schritt". Sie möchte geklärt wissen, wieso das umstrittene Werk so kurz vor der Eröffnung aufgehängt werden konnte, ohne dass seine antisemitische Bildsprache erkannt wurde. Der Deutsche Kulturrat erklärte, die documenta fifteen hänge "am seidenen Faden". Der Verband forderte eine "breite öffentlich geführte Debatte".
Zum Dialog mit den Künstlern rief das Internationale Auschwitz Komitee auf. "Es wird höchste Zeit, im Rahmen dieser documenta ein Gespräch zu beginnen, die Künstler zu hören, aus welcher Weltsicht diese Bilder so entstanden sind und seitens der documenta öffentlich zu erklären, warum diese Bilder hier auf Widerstand und Ablehnung stoßen", erklärte Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees.
sd/pg/suc (dpa/epd/kna)
Dieser Artikel wurde am 22.06.2022 zwei Mal aktualisiert.