Doha-Runde ohne Fortschritt
19. Mai 2008Was hatte man sich nicht alles von der Verhandlungsrunde versprochen, die unter den Namen Doha-Runde im Jahre 2001 bei der Welthandelsorganisation eingeleitet wurde. Eine Entwicklungsrunde sollte es werden – eine Runde, an deren Ende ein gerechter, die Interessen der Entwicklungsländer in besonderer Weise berücksichtigender Welthandel stehen sollte. Ein globaler Güter- und Dienstleistungsaustausch, von dem nicht länger hauptsächlich die Industrienationen, sondern auch die armen Länder profitieren sollten.
Indigene Proteste in Cancun
Doch schon zwei Jahre später, beim Ministertreffen der WTO im mexikanischen Urlaubseldorado Cancun platzte der Traum von einem raschen und harmonischen Abkommen zwischen Nord und Süd. Vor allem die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen und Kleinbauernvereinigungen weltweit machten gegen die WTO mobil. Denn nach ihrer Meinung hatte die WTO alles andere als die Interessen der Armen und Schwachen im Sinn. "Wir fordern, dass die WTO aus der Landwirtschaft aussteigt", hieß es auf einer Protestveranstaltung der indigenen Farmer am 8. September 2003 in Cancun: "Wir fordern, dass Ernährung, genauso wie Gesundheit und Bildung, nicht zum Gegenstand von Handelsabkommen werden. Denn davon profitieren nur einige transnationale Konzerne, während unsere Wirtschaft, das Leben und die Zukunft der indigenen Farmer und die familiäre kleinbäuerliche Struktur zerstört werden."
Nach Tagen heißer Debatten, nächtelanger Verhandlungsrunden und Großdemonstrationen auf den Straßen scheiterte die Konferenz von Cancun schließlich am Widerstand der Entwicklungsländer. Zwei Jahre später, beim nächsten Ministertreffen 2005 in Hong Kong, kam man auch nicht wesentlich voran. Zwar wurde ein offizieller Abbruch der Verhandlungen diesmal peinlichst vermieden, doch in wesentlichen Streitpunkten blieb das Abschlussdokument vage. Seither verharren die Gespräche "irgendwo zwischen Intensivstation und Krematorium" wie es der indische Handelsminister Kamal Nath einst ausdrückte.
Streitpunkt Agrarsubventionen
Dabei blieben die großen Stolpersteine eigentlich immer die gleichen: Die Entwicklungsländer fordern als erstes den Abbau der massiven Agrarsubventionen für europäische und US-amerikanische Bauern sowie einen besseren Zugang für ihre eigenen Produkte zu den Märkten der Industrieländer. Die reichen Nationen drängen auf die Senkung hoher Industrie- und Importzölle und eine weltweite Handelsliberalisierung, die zum Beispiel auch die Öffnung der Dienstleistungsmärkte im Süden erfasst.
Von einem gerechten Welthandelsabkommen, mit dem alle Seiten zufrieden sein könnten, scheint man so weit entfernt wie zuvor. Das zeigt sich besonders bei den Verhandlungen um NAMA (Non-Agricultural Market Access), also den Marktzugang für nicht-agrarische Industriegüter, sagt Michael Frein, Handelsexperte beim Evangelischen Entwicklungsdienst, eed: "Man wendet dort eine Zollsenkungsformel an, die dazu führt, dass insbesondere hohe Zölle sehr stark gesenkt werden sollten. Die Entwicklungsländer verfügen über die hohen Zölle, die Industrieländer haben bereits sehr viel niedrigere Zölle, so dass es sie nicht so treffen wird."
Zollsenkungen treffen Entwicklungsländer
Müssen hohe Zölle abgebaut werden, ist die Wirtschaft in Entwicklungsländern der Konkurrenz schutzlos ausgeliefert, erklärt Michael Frein: "Viele kleine Unternehmen in Entwicklungsländern sind überhaupt nicht in der Lage, mit den großen Konzernen auf einer Weltmarktebene erfolgreich zu konkurrieren."
Und deshalb müssten insbesondere die ärmeren Länder innerhalb der WTO bei der Senkung ihrer Zölle mehr Spielraum bekommen – einen Spielraum, der ihre jeweilige Situation berücksichtigt und ein schrittweises Vorgehen ermöglichen würde. Doch genau das ließen Industrieländer nicht zu. Auch im Agrarbereich geht es kaum voran, sagen die Nichtregierungsorganisationen. Denn immer noch werden die Märkte der Entwicklungsländer mit billigen, weil hoch subventionierten Lebensmittelimporten aus den Industrieländern überschwemmt. Die Folge: Die lokale Produktion bricht zusammen, unzählige Kleinbauern verlieren ihre Existenz.
Agrarsubventionen verzerren den Handel
Die Ankündigung der EU, ihre handelsverzerrenden Agrarsubventionen bis zum Jahre 2013 abzubauen, geht vielen Nichtregierungsorganisationen nicht weit genug. Und in die sogenannte Green Box, die eigentlich nur für Subventionen vorgesehen ist, die einem Bauern als Ausgleich für Landschaftspflege gezahlt werden, hätten sich doch wieder einige handelsverzerrende Stützzahlungen eingeschlichen, heißt es. Zudem widersetzen sich die Amerikaner seit Jahren einem drastischen Einschnitt bei den Subventionen für ihre Farmer.
Für Marita Wiggerthale, Agrarexpertin und Oxfam-Mitarbeiterin steht daher fest: "Die Öffnung der Agrarmärkte dient in erster Linie der Ernährungsindustrie und denjenigen Konzernen, die international im Handel tätig sind. Sie sind es auch, die sehr stark auf die Öffnung der Märkte drängen. Die bäuerlichen Produzenten im Norden und im Süden sind es, die immer wieder darauf hinweisen, was für negative Auswirkungen es für sie, für ihre Existenzgrundlagen hätte, von daher stehen die Profiteure auf der einen Seite und die möglichen Verlierer schon heute fest."
Auch Industrieländer fürchten Benachteiligung
Für den Generalsekretär des deutschen Bauernverbandes Helmut Born ist es dagegen gerade die EU, die mit ihrer tiefgreifenden Agrarreform vor vier Jahren den Weg für einen Abschluss der Runde frei gemacht hat. Wenn die Doha-Runde scheitere, sei das eher die Schuld von Ländern wie den USA, Brasilien oder Indien. Sie seien es, die als große Agrarexporteure Fortschritte verhinderten, kritisiert Born.
Auch in den Augen des Verbandes der deutschen Industrie, BDI, ist von Seiten der reichen Länder viel getan worden, um die Entwicklungsrunde voranzubringen. So müssten etwa die am wenigsten entwickelten und ärmsten Länder überhaupt keine Industriezölle abbauen, eine Senkung gelte nur für die aufstrebenden Schwellenländer. Beim BDI fürchtet man eher umgekehrt eine Benachteiligung der deutschen Wirtschaft, wenn durch zu viele Ausnahmeregelungen und Flexibilitäten zu Gunsten der ärmeren Länder der Zugang zu den Märkten dort erschwert werde.
Die WTO unter Rechtfertigungsdruck
So stehen sich die Positionen von Nord und Süd seit Jahren fast unverändert gegenüber – der häufig angekündigte Durchbruch lässt immer wieder neu auf sich warten. Viele Beobachter gehen überdies davon aus, dass die USA vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr ohnehin kein Abkommen mehr unterschreiben werden, weil der demokratisch dominierte Kongress einen solchen Erfolg dem konservativen Bush zum Ende seiner Amtszeit nicht mehr gönnt.
Dennoch wird WTO-Chef Pascal Lamy nicht müde, immer wieder von der "letzten Chance" zu sprechen, die die WTO-Vertragsstaaten nun endlich ergreifen müssten. Hinter dieser ständigen Wechselpolitik von Druck und Vertagung steckt auch Taktik, meint eed-Handelsexperte Frein. Die WTO wolle gegenüber der Welt, gegenüber den Regierungen zeigen, wie wichtig sie ist. Deswegen würden ständig Termine angekündigt, vermutet er. "Die Frage ist natürlich, ob ein solches Instrument auf Dauer erfolgreich ist, wenn die Termine dann doch nicht stattfinden, und wenn das staunende Publikum immer wieder erfährt, dass es leider doch nichts geworden ist, aber ganz bestimmt in den nächsten Wochen der Durchbruch gelingen wird."
Besser als bilaterale Vereinbarungen
Der Staatssekretär im deutschen Wirtschaftsministerium, Bernd Pfaffenbach, der seine Koffer für einen Ausflug nach Genf in dieser Woche schon gepackt hatte, ist jedoch zuversichtlich, dass er spätestens im Juni zum WTO-Ministertreffen in die Schweiz fahren kann. Und er hofft, dass die Staaten an der Idee eines multilateralen Handelsabkommens festhalten. Denn bilaterale Vereinbarungen, in denen ein starker Partner dem anderen die Bedingungen diktiert, die wären noch schlechter – auch und gerade für die Entwicklungsländer, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.