Gandhi des Getreides: Doku über Vandana Shiva
1. Dezember 2022Auf idyllische, nahezu unberührte Natur mit saftigem Grün folgt ein harter Schnitt: Trubel, Hektik, Menschenmassen. Die umtriebige Protagonistin lässt ihre Heimat zurück, ist auf dem Weg zur nächsten Konferenz, über die Hälfte ihres Lebens geht es schon so, unermüdlich.
Der Dokumentarfilm "Vandana Shiva - Ein Leben für die Erde" begleitet die indische Aktivistin und erzählt ihre Entwicklung zu einer der weltweit renommiertesten Akteurinnen für nachhaltige Landwirtschaft - von ersten lokalen Protesten über persönliche Schlachten bis hin zum globalen Einsatz gegen übermächtig wirkende Gegner.
Vandana Shiva, Jahrgang 1952, wächst in den Wäldern des Himalaya auf, als Kind begleitet sie häufig ihren Vater, der als Waldschützer arbeitet, läuft mit ihm 50 Kilometer am Tag. Der Wald sei ihr ein Lehrer fürs Leben gewesen, sagt sie im Film. Sie besucht eine Klosterschule, die ein traditionelles Frauenbild prägt. Vandana aber will Physik studieren, macht ihren Master, ehe sie Anfang der 1970er-Jahre in Kanada ein Philosophie-Studium anschließt und promoviert.
In den Semesterferien kehrt sie in ihre Heimat zurück, um die von Frauen aus kleinen Dörfern initiierte Chipko-Bewegung zu unterstützen, die erste indische Umweltbewegung: Aus Protest gegen die Rodung der Wälder und den daraus resultierenden Verlust des Lebensraums umarmen die Frauen die Bäume, um deren Fällung zu verhindern. Mit ihrem gewaltfreien Protest erreichen sie Jahre später ein Verbot der Abholzungen, die massive Folgen für die Umwelt haben: veränderte Wasserkreisläufe, Erdrutsche, Überschwemmungen.
"Vandana Shiva - Ein Leben für die Erde" ist auch eine Geschichte des Feminismus und der Selbstermächtigung in einem patriarchalen Umfeld - gesellschaftlich wie persönlich. Als ihrem Ehemann nach der Trennung nach damals gültigem Recht automatisch das Sorgerecht am Sohn zufällt, zieht Vandana Shiva vor den Obersten Gerichtshof. Sie bekommt Recht, erhält das Sorgerecht und sorgt für einen Präzedenzfall in Indien.
"Kraft eines Mandela oder Gandhi"
"Wir waren beeindruckt von ihrem Charisma und davon, wie sie die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Klima, der Umwelt und wichtigen sozialen Fragen für alle verständlich darstellt", sagt die Regisseurin der Doku, Camilla Becket, im DW-Gespräch.
Als Südafrikanerin, die während der Apartheid aufwuchs, habe sie erlebt, wie Nelson Mandela, Desmond Tutu oder Nadine Gordimer die Menschen zum Handeln und zum Wandel inspiriert hätten. "Als ich Vandana kennenlernte, dachte ich sofort, sie hätte die Kraft eines Mandela oder Gandhi."
Seit Mitte der 1980er-Jahre kämpft Vandana Shiva für nachhaltige Landwirtschaft. Im Zentrum des Films steht das 2018 vom deutschen Pharmakonzern Bayer aufgekaufte Chemieunternehmen Monsanto. "Wer echte Waffen verkauft, kontrolliert Armeen", sagt Vandana Shiva. "Wer Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Gesellschaft. Und wer das Saatgut kontrolliert, kontrolliert das Leben auf der Erde."
Monsanto drängt damals mit genverändertem und teurem Saatgut auf den indischen Markt, lockt die Bauern mit der Aussicht auf höhere Erträge, weil der Baumwolle ein Keim zugesetzt ist, der den Befall mit Schädlingen verhindern soll. Die traditionellen Anbauweisen stellen sie als primitiv dar, die neuen Technologien als Fortschritt. Als sich die Versprechen als falsch erweisen, müssen die Bauern mehr Pestizide sprühen, viele verschulden sich.
Vandana Shiva spricht von einer dramatisch erhöhten Suizidrate unter Kleinbauern als direkte Folge ihrer aussichtslosen Verschuldung. Es gibt Berichte, die diese Darstellung stützen, andere Untersuchungen widersprechen ihr.
Unstrittig ist heute, dass die sogenannte Grüne Revolution - die Einführung neuer Technologien in der Landwirtschaft von Entwicklungsländern - Monokulturen schafft, der Mensch durch Chemie und Maschinen ersetzt wird, sie in die Kreisläufe der Natur eingreift, Böden und Wasser vergiftet und zum Artensterben beiträgt.
"Wir wollen aufzeigen, dass die industrielle Lebensmittelproduktion in den Händen einiger weniger multinationaler Konzerne nicht nur einen großen Teil des Problems des Klimawandels ausmacht, sondern dass ökologische Landwirtschafts- und Lebensmittelpraktiken die Umwelt wieder herstellen, die Welt ernähren und tatsächlich Kohlenstoff in den Boden zurückführen können, wo er hingehört", sagt Camilla Becket.
Ernährung durch Vielfalt
Um Alternativen zu testen und Bauern zu schulen, gründet Vandana Shiva eine Stiftung, eine Schule und eine Farm für nachhaltiges Leben. In mehr als 40 Saatgutbibliotheken können Kleinbauern lernen, welche Samen sich anbauen lassen, wie ergiebig die Ernten, wie anpassungsfähig die Sorten sind.
Das Wissen trägt die Aktivistin auch in afrikanische und lateinamerikanische Länder. Sie wird angefeindet, manche Fachpublikationen sprechen ihr die Expertise ab. Vandana Shiva erzählt im Film auch von unverhohlenen Drohungen gegen sich und ihre Familie. Die würden halt nicht ausbleiben, wenn man sich mit einer Multimilliarden-Industrie anlege.
Von ihren Gegnern lasse sich Vandana Shiva nicht entmutigen, sie spornten sie sogar an, noch härter zu arbeiten, sagt Regisseurin Camilla Becket. "In dieser Hinsicht ist sie eine echte Kämpferin. Sie lässt sich von ihrer Liebe zum Planeten und zu den Menschen leiten." Egal, ob sie auf Politiker treffe, Regierungen berate oder mit Kleinbauern Saatgutbanken in den entlegensten Winkeln der Welt einrichte: "Sie ist immer dieselbe. Sie schenkt jedem die gleiche Aufmerksamkeit."