(Dr.) Annette Schavan - eine Chronologie der Plagiatsaffäre
9. Februar 2013Mehr als 30 Jahre lang interessierte sich niemand für die Dissertation von Annette Schavan - eine rund 350 Seiten lange Untersuchung zur Herausbildung des Gewissens. Ihre Promotionsarbeit will die Bundesbildungsministerin Ende der 1970er Jahre nach bestem Wissen und Gewissen verfasst haben, als sie katholische Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften studierte - der Beginn einer glänzenden Karriere in Wissenschaft und Politik.
Die Promotion war zugleich Schavans Studienabschluss an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, einen anderen hat die 57-jährige CDU-Politikerin nicht. Die Universität, die ihr 1980 den Doktortitel verlieh, hat ihr diesen nun wieder aberkannt: Sie habe systematisch und vorsätzlich abgeschrieben.
"Schavanplag" gibt den Anstoß
Den Stein ins Rollen gebracht hatten Plagiatsjäger, die wissenschaftliche Arbeiten unter die Lupe nehmen und kritikwürdige Stellen im Internet veröffentlichen. Das sind zumeist nicht gekennzeichnete Übernahmen aus anderen Arbeiten. Im mildesten Fall handelt es sich um Zitierfehler, im schlimmsten Fall um vorsätzliches Abschreiben, mithin um den Diebstahl geistigen Eigentums. Der bisher prominenteste Fall war der von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der im März 2011 zurücktrat, nachdem Teile seiner Doktorarbeit im Internet als Plagiat entlarvt worden waren.
Die Plagiatsjäger nehmen sich auch die Dissertation von Annette Schavan vor - und werden fündig. Im Frühjahr 2012 geht die Website "schavanplag" online, die Zitierfehler auflistet. Diesen Vorwurf will die Ministerin für Bildung und Forschung nicht auf sich sitzen lassen. Sie bittet die Universität Düsseldorf, ihre mit "sehr gut" benotete Arbeit zu überprüfen.
Im Herbst 2012 stellt der Promotionsausschuss in einem internen Bericht fest, Schavan habe systematisch abgeschrieben und spricht von einer "Täuschungsabsicht". Der vertrauliche Bericht gelangt in die Hände von Journalisten, die daraus zitieren. Die Ministerin ist empört, die Universität stellt Strafanzeige gegen Unbekannt wegen der Herausgabe der internen Informationen.
Aberkennung des Doktortitels
Annette Schavan räumt Flüchtigkeitsfehler ein, bestreitet aber in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der Universität, dass sie plagiiert oder getäuscht habe. Dessen ungeachtet leitet der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät ein Verfahren ein, das am 5. Februar 2013 zur Aberkennung des Doktortitels führt. Schavan habe "systematisch und vorsätzlich" gedankliche Leistungen vorgegeben, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht habe, urteilen zwölf der 15 Gutachter. Sie habe "in bedeutendem Umfang" fremde Texte wörtlich übernommen, ohne dies zu kennzeichnen.
Die Ministerin erfährt von dieser Entscheidung auf einer Dienstreise nach Südafrika. "Das werde ich nicht akzeptieren", erklärt sie in einer ersten Reaktion. Das Verfahren sei fehlerhaft gewesen, sie werde dagegen vor Gericht ziehen. Danach schweigt sie zu diesem Thema und führt ihre fünftägige Reise wie geplant zu Ende.
Während Bundeskanzlerin Angela Merkel ihrer engen Parteifreundin zunächst das Vertrauen ausspricht, legen Oppositionspolitiker ihr den Rücktritt nahe. Annette Schavan könne nicht Bildungsministerin bleiben, nachdem ihr wegen Abschreibens der Doktortitel entzogen wurde, ihr Ruf sei beschädigt. Schavan trifft sich nach ihrer Rückkehr aus Südafrika mit der Bundeskanzlerin zu einem Krisengespräch. Am Samstag, den 9. Februar, vier Tage nach der Aberkennung ihres Doktortitels durch die Universität Düsseldorf, tritt die 57-Jährige als Bundesbildungsministerin zurück.
"Das Amt darf nicht beschädigt werden", begründet Schavan ihren Rücktritt. Ihr Mandat als Bundestagsabgeordnete werde sie jedoch behalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt, sie hätte den Rücktritt "schweren Herzens" angenommen. Schavan stelle mit ihrer Entscheidung ihr eigenes Wohl hinter das Wohl des Ganzen. Zu den Plagiatsvorwürfen und der Aberkennung des Doktortitels äußert sich Merkel nicht.