Draghis riskante Aktion
5. Juli 2013"Wir legen uns vorab niemals fest" - das war eine Standardaussage des ehemaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet. Damit wollte sich die Notenbank Spielraum lassen und auch ihre Unabhängigkeit gegenüber der Politik bewahren. Doch am Donnerstag (04.07.2013) tat sein Nachfolger Mario Draghi genau das Gegenteil. Er kündigte an, der Leitzins werde "für einen längeren Zeitraum" niedrig bleiben oder sogar noch weiter sinken. Aktuell steht der Leitzins für die Eurozone bei 0,5 Prozent.
Draghis langfristige Festlegung ist ein Bruch mit einer alten Tradition der EZB, aber keine Revolution. "Das war das Eingeständnis der Machtlosigkeit" , sagt Andreas Freytag, Wirtschaftsprofessor an der Universität Jena. "Die EZB sieht ein, dass sich die Länder nicht reformieren wollen. Um einen Zusammenbruch des Euro-Systems zu vermeiden, muss sie jetzt langfristig diese Niedrigzinspolitik fahren."
Japanische Verhältnisse
Damit sei man im japanischen Szenario angekommen, meint Freytag. Das bedeutet: "mehrere Jahrzehnte keine Strukturreform, Niedrigzinsen, die es der Regierung erlauben, sich immer weiter zu verschulden und die Probleme in die Zukunft zu verlagern", sagt der Wissenschaftler gegenüber der Deutschen Welle.
Den Regierungen vor allem in Südeuropa dürfte auch gefallen, dass als Nebeneffekt der Draghi-Ankündigung der Euro unter Druck gerät. "Wenn jetzt die EZB eine expansivere Geldpolitik betreibt und in den USA eher über das Gegenteil nachgedacht wird, dann hat das natürlich ein Wirkung auf den Wechselkurs", sagt Tobias Basse, Währungsexperte von der NordLB. Wenn der Euro schwächelt, wird der Export der Eurozone begünstigt. Doch das Ganze hat auch eine Kehrseite: "Der schwächere Euro macht natürlich die importierten Rohstoffe, vor allem das Öl, teurer. Und das ist nicht unbedingt positiv für alle Industriezweige", so der Experte im Gespräch mit der DW.
Risiken und Nebenwirkungen
Ein anderes Risiko besteht darin, dass die EZB Gefangene ihrer eigenen Politik werden könnte. Wie ein Drogendealer züchtet sie an den Finanzmärkten immer mehr Niedrigzins-Abhängige heran - und macht sich dadurch selbst abhängig. "Weil man doch kein Interesse daran hat, die Finanzmarktpreise zu stark in Bewegung zu bringen und einen dramatischen Kursverfall auszulösen, der dann wiederum negative Effekte auf die Volkswirtschaft haben könnte", sagt Basse. Insofern mache man sich noch abhängiger von den Finanzmärkten.
Was Investoren in Ekstase versetzt, ist Gift für die Sparer. Denn sie erhalten für ihr Guthaben niedrigere Zinsen als die Inflation, was einer schleichenden Enteignung gleichkommt. Auch Banken hätten ein Problem mit der Niedrigzinspolitik, meint Wirtschaftswissenschaftler Freytag: "Denn Banken haben ja keine Gewinnmargen mehr. Wie wollen sie mit einem Kreditzins von drei Prozent noch eine große Gewinnmarge erzielen?"
Zombiebanken finanzieren Zombiefirmen
Und es könnte noch schlimmer kommen. "Die Banken können sich möglicherweise nicht mehr erlauben, Kredite abzuschreiben, die eigentlich notleidend sind. Und vor diesem Hintergrund werden sie versuchen, den schlechten, notleidenden Unternehmen ständig neue Kredite zu geben", sagt Andreas Freytag. Das wiederum sorge dafür, dass nur die schlechten Unternehmen Kredit bekommen würden und die guten nicht mehr.
Dabei will die EZB durch die unkonventionelle Aktion gerade die Banken dazu drängen, mehr Firmenkredite zu vergeben und Unternehmen zu mehr Investitionen ermutigen. Aber wie heißt es so schön: Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie selbst. Firmen investieren, nicht weil Zinsen niedrig sind, sondern weil die Rahmenbedingungen stimmen. Für die kann aber nur die Politik sorgen - durch Strukturreformen. "Die Strukturreformen werden in der Regel nur durchgeführt, wenn der Druck riesig ist. Und der Druck wird jetzt wieder genommen", so Freytag. Es werde also Zeit gekauft, die nicht genutzt wird. Dadurch würden sich die Probleme nur verschärfen.