Ein filmisches Triptychon
26. Juni 2011Am Anfang stand eine Kontroverse über Filmästhetik. Vor fünf Jahren stritten sich drei Regisseure über Filme und Stile, über Ästhetik und das Mainstreamkino. Der Austausch fand per eMail statt und ist heute noch nachzulesen auf den Online-Seiten der Filmzeitschrift "Revolver" - eine überaus interessante Diskussion über das Selbstverständnis dreier renommierter deutscher Regisseure.
Graf versus Petzold/Hochhäusler
Auf der einen Seite stand Dominik Graf, ein bereits erfahrener Film- und Fernsehregisseur, der sich vor allem mit ausgefeilten, durchaus populär angelegten Kriminalfilmen einen Namen gemacht hat, dabei häufig auf fremde Drehbücher zurückgreift. Auf der anderen Seite diskutierten die beiden jüngeren Regisseure Christoph Hochhäusler und Christian Petzold, Vertreter der sogenannten "Berliner Schule", die für einen häufig sehr zurückgenommenen, puristischen Filmstil steht.
Dominik Graf warf den Filmen der "Berliner Schule" einen leb- und seelenlosen Formalismus vor, Kino ohne Blut und Leben. Hochhäusler und Petzold versuchten sich in der Debatte zu rechtfertigen, indem sie sich vor allem gegen ein deutsches Kino verwehrten, dass Hollywood nachzuäffen versuche oder eine vorhersehbare Fernsehästhetik produziere. Bei allen Gegensätzen fußte die Debatte aber auf gegenseitigem Respekt und der Neugier auf die Argumente der Gegenseite.
Aus der Debatte werden drei Filme...
Doch Graf, Petzold und Hochhäusler beließen es nicht bei der Debatte. Jahre später mündete die Diskussion in einem einzigartigen Filmprojekt, zu dem jeder der Drei einen 90minütigen Spielfilm beisteuerte. Die waren nun - nach einer ersten Aufführung am Rande der Berlinale - beim Festival des Deutschen Films in Ludwigshafen zu sehen. "Dreileben" - so der Name des filmischen Triptychons - besteht also aus drei eigenständigen Spielfilmen, die allerdings miteinander verzahnt sind. Es gibt Figuren, die in allen drei Filmen auftauchen, bei dem einen nur am Rande, beim anderen dagegen als Hauptfigur. Zwischen den Filmemachern gab es während der Dreharbeiten nur einen losen Kontakt. Christian Petzold: "Wir haben uns während der Dreh- und Produktionsphase ganz bewusst nicht die Arbeit der anderen angesehen, um nicht in deren Projekte hineinzureden und sie auf diese Weise anzugleichen."
Die Filme spielen in einem kleinen Wintersportort im thüringischen Wald. Christian Petzold erzählt in der Auftaktepisode mit dem Titel "Etwas Besseres als den Tod" von der kurzen Liebe eines deutschen Zivildienstleistenden und eines polnische Zimmermädchens. Die beiden kommen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus, daran scheitert die Beziehung der beiden schließlich auch. Im Hintergrund wird eine zweite Geschichte erzählt - allerdings nur am Rande: ein flüchtiger Frauenmörder ist ausgebrochen und streift durch die Gegend.
Verzahnte Handlungsstränge
Dominik Grafs Teil "Komm mir nicht nach" stellt eine Psychologin, die bei der Suche nach dem Sexualstraftäter helfen soll, in den Mittelpunkt seines Films. Doch auch hier geht es nicht in erster Linie um die Kriminalhandlung. Die Psychologin übernachtet während ihres Einsatzes in der Kleinstadt bei einer ehemaligen Freundin und deren Lebenspartner. Zwischen den drei entspinnt sich ein spannungsreiches Verhältnis - Sehnsüchte, Vergangenes und Gegenwärtiges, Konkurrenz und Eifersucht beherrschen die Szenerie.
Christoph Hochhäuslers Abschluss "Eine Minute Dunkel" schließlich folgt dem entflohenen Straftäter durch die Wälder, zeigt seine Fluchtbewegungen, streift hingegen die Szenerien der ersten beiden Film nur beiläufig. Die einzelnen Filme werden also durch den gemeinsamen Schauplatz, einige Protagonisten, die Zeit und die Fluchtgeschichte verbunden. Es ergeben sich immer wieder Schnittpunkte, Sequenzen, an denen die drei eigenständigen Filme sich berühren. Man sollte "Dreileben" also am besten in der richtigen Reihenfolge und kompakt anschauen, doch auch als autonome Kunstwerke funktionieren die Teile. "Episodenfilme scheitern häufig", sagt Hochhäusler, "wir fanden es daher gut, dass jeder seine stilistische Selbstständigkeit behält".
Puzzlespiel für die Zuschauer
Worin liegt nun der Reitz des Projekts "Dreileben" - mal abgesehen davon, dass die einzelnen Teile spannungsreiche, dicht inszenierte und gut gemachte Filme sind? Zum einen sicher darin, dass der Zuschauer anfängt nach Bruchstellen, Anknüpfungspunkten, nach Überschneidungen und parallelen Handlungselementen zu suchen. Ein spannendes Puzzlespiel, bei dem es dem Betrachter überlassen bleibt, sich mehr auf die jeweilige Filmhandlung oder aber auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren.
Zum anderen aber wird etwas sichtbar, das an die eMail-Kontroverse aus dem Jahre 2006 anknüpft. Dominik Grafs Film erinnert an andere Werke dieses Regisseurs: "Komm mir nicht nach" zeigt Menschen in der Mitte ihres Lebens, emotional und voller Zweifel, aber auch voller Lebensfreude. Sprudelnde Dialoge, eine abwechslungsreiche Handlung mit vielen emotionalen Ausbrüchen - das ist Unterhaltung auf höchstem Niveau. So, wie man das von diesem Regisseur gewohnt ist.
Ästhetische Annäherungen
Überraschend hingegen sind die Filme von Hochhäusler und Petzold ausgefallen. Sie sind weniger statisch inszeniert als frühere Werke der beiden, die Figuren treten dem Zuschauer plastischer entgegen. Einen "für Hochhäusler ungewöhnlich expliziten psychologischen Unterbau" erkannte ein Kritiker im Film des jüngsten Regisseurs des Trios. So kann man konstatieren: Ein länger zurückliegender Diskurs über Filmtheorie hat zu einem äußerst fruchtbaren Ergebnis geführt und man kann sich Dominik Graf nur anschließen, der zum fertigen Gesamtprodukt "Dreileben" anmerkte: "Es ist am Ende tatsächlich ein Film geworden, so disparat die einzelnen Werke auch sein mögen." Ein Wermutstropfen allerdings bleibt: "Dreileben" soll nach den Aufführungen auf großer Leinwand in Berlin und Ludwigshafen nun im Herbst nur im Fernsehen zu sehen sein, an drei unterschiedlichen Tagen. Das nimmt dem einzigartigen Projekt einen Teil seiner überraschenden Wirkung.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Marlis Schaum