Drohende Eskalation, überraschende Gewinner
17. Februar 2016Zum Drama im syrischen Bürgerkrieg gehört von Anfang an, dass dort zu viele ausländische Akteure ihre sehr unterschiedlichen Interessen verfolgen. Als vor einer Woche in München das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurde, saßen die Vertreter von nicht weniger als 17 Staaten am Tisch - abwesend waren sowohl die syrische Regierung wie auch die Opposition.
Jetzt droht das Eingreifen der Türkei gegen syrische Kurden den Krieg weiter zu internationalisieren und zu eskalieren. Schon jetzt sind bei Aleppo russische Kampfflugzeuge am Himmel und machen bei ihren Angriffen wenig Unterschiede zwischen Kämpfern und Zivilisten. Am Boden kämpfen nicht nur die Soldaten der regulären Assad-Armee, sondern angeleitet von iranischen Beratern auch afghanische, irakische und libanesische Schiiten. Ihre Gegner sind eine Reihe verschieden stark religiös radikalisierter Rebellengruppen - unterstützt von den USA, der Türkei, Saudi-Arabien, Kuweit und Katar.
Partner von vielen: Kurden
Als wäre das noch nicht kompliziert genug, kommen jetzt noch kurdische Kämpfer der Volksbefreiungseinheiten YPG ins Bild: Die werden sowohl von den USA als auch von Russland unterstützt – und von Assad geschont. Unterstützt von russischen Kampflugzeugen versuchen sie, die kurdisch kontrollierten Gebiete an der türkischen Grenze auszudehnen. Das wiederum hat für die türkische Regierung das Fass zum Überlaufen gebracht: Seit letztem Wochenende beschießt die türkische Artillerie Stellungen der Kurden. Das hat Moskau zu scharfer Kritik und Drohungen veranlasst, hatte eine Mahnung des Weltsicherheitsrates an Ankara zur Folge sowie einen Apell der US-Administration an YPG und Türkei zur gegenseitigen Zurückhaltung. Die Türkei zeigt sich bislang unbeeindruckt.
Stattdessen wird in Ankara laut über den Einsatz von Bodentruppen nachgedacht, womöglich sogar unter Beteiligung Saudi Arabiens. Saudische Kampfflugzeuge wurden bereits auf die türkische Luftwaffenbasis Incirlik verlegt. Eine Bodenoffensive hält Can Kasapoglu angesichts der Risiken doch für unwahrscheinlich. Der Verteidigungsexperte beim Istanbuler Think Tank EDAM (Center for Economics and Foreign Policy Studies) erklärte im Gespräch mit der DW, "egal was die Politiker sagen: Die militärische Realität spricht gegen den Beginn einer massiven Invasion durch die Türkei und Saudi-Arabien."
Verzweiflungstat
Der Leiter der Heinrich Böll Stiftung "Türkei" sieht im türkischen Artilleriebeschuss denn auch eine Verzweiflungstat Ankaras. Kristian Brakel, erläutert im DW-Interview, die Türkei sehe - so wie Saudi-Arabien - ihre Interessen massiv gefährdet. Die YPG sind der bewaffnete Arm der kurdischen Partei der demokratischen Einheit. Die wiederum ist eine Gründung der in der Türkei als Terrororganisation verfolgten PKK in Syrien. Jetzt arbeiten die YPG sehr erfolgreich darauf hin, die drei von ihr kontrollierten Kantone an der türkischen Grenze miteinander zu verbinden. Für die türkische Regierung ein Albtraum: "Die Türkei will nicht, dass die YPG alle Grenzübergänge kontrolliert – und die Nachschubwege für die von der Türkei unterstützten Rebellen abschneidet", so Brakel.
Es scheint, als würden die syrischen Kurden als einzige Gruppe, als Gewinner aus dem türkischen Bürgerkriegschaos hervorgehen - so wie zuvor ihre irakischen Brüder vom Sturz Saddam Husseins profitiert hatten. Die Kurden haben von Beginn des syrischen Bürgerkriegs an ihre Interessen sehr geschickt vertreten, erläutert Kristian Brakel. Sie hätten sogar eine Art Nichtangriffspakt mit dem Assad Regime geschlossen: "Sie beteiligen sich nicht am Aufstand gegen Assad, dafür lässt sie das Regime mehr oder weniger in Ruhe gewähren".
Russland hatte mehr zu bieten
Gleichzeitig ist es den Kurden geglückt, sich als wichtigste militärische Kraft im Kampf gegen den IS zu profilieren. Das brachte die Unterstützung der USA. Zugleich kooperieren die YPG Kämpfer aber auch eng mit den Russen. Das Vorrücken der kurdischen Verbände im Norden Aleppos wird von russischen Kampfflugzeugen unterstützt. Es scheint, als seien Russland und Assad bereit, den Kurden weiter entgegen zu kommen als die USA. Die müssen Rücksicht auf ihren NATO-Partner Türkei nehmen - der ohnehin von der Unterstützung der YPG durch den Westen herzlich wenig hält. Kristian Brakel erinnert sich, es habe vor zwei Monaten den Versuch der YPG gegeben, von den USA mehr Unterstützung zu bekommen. Nicht nur in Form von Waffenlieferungen, sondern auch durch einen öffentlichen Schulterschluss. "Das haben sie damals nicht bekommen. Ein Resultat ist, dass sie sich Russland zugewandt haben", so Brakel. Mit dem Ergebnis, ihrem Ziel einer kurdischen Autonomie in Nordsyrien sehr viel näher gekommen zu sein.
Die Türkei möchte dem Verlust jeglichen Einflusses im Nachbarland nicht tatenlos zusehen. Die Türkei arbeite daran, Flugverbotszonen in Syrien einzurichten, betont Günther Seufert, Türkeiexperte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch die deutsche Bundeskanzlerin hat sich für Flugverbotszonen ausgesprochen. Damit aber, warnt Seufert, drohe die Konfrontation mit Russland, "weil Russland im Augenblick die absolute Lufthoheit in Syrien hat". Das meint auch Verteidigungsexperte Kasapoglu. Aus seiner Sicht hätte man solche Zonen vor dem Eingreifen Russlands einrichten müssen. Wenig überraschend hat Russland den Forderungen Merkels nach einer Flugverbotszone eine Absage erteilt.