Dunkle Zeiten für bulgarische Kohlearbeiter
30. Dezember 2018Georgi Terziski pflückt Weintrauben, die in seinem Hof wachsen. Sein ganzes Leben lang, seit 56 Jahren, lebt er in Golemo Selo, einem Dorf im Westen Bulgariens. Nur ein paar hundert Meter hinter dem Haus steht das kohlebefeuerte Kraftwerk Bobov Dol. Schon seit er denken kann, stoßen die zwei Schornsteine und drei Kühltürme des Werkes Rauch und Dampf aus.
Gebaut in den 1970er Jahren bot das Kraftwerk Arbeitsplätze für die meisten Familien hier. Auch für Terziskis Eltern. Bis vor kurzem war das Kraftwerk abhängig vom "schwarzen Gold" der Kohlenminen, darunter die nahegelegenen Stollen in Bobov Dol und Babino.
Bobov Dols Schwestermine, Babino, stellte den Betrieb vergangenes Jahr ein. 650 Arbeiter verloren ihre Arbeit. Wie in vielen kohle-produzierenden Regionen in Osteuropa schließen die Zechen, weil die Produktionskosten die Verkaufspreise übersteigen: Der Abbau von Kohle ist nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll, auch in wohlhabenderen westlichen Ländern nicht. In Deutschland endete kurz vor Weihnachten die Förderung im letzten Steinkohlebergwerk Prosper-Haniel.
Ohne Kohle brauchen die Betreiber des Bobov-Dol-Kraftwerkes alternative Energiequellen, um den Betrieb am laufen zu halten. "Sie verbrennen einfach alles, von Stroh bis Kohle." Terziski deutet auf seine Brust. "Wir atmen keine saubere Luft mehr."
Auf Papier gehört das Kohlewerk der "Vagledobiv Bobov Dol EOOD", aber hinter den Kulissen führt Hristo Kovachki, ein 56-jähriger Energie-Tycoon, die Zeche und die Anlagen. Kovachki gehört ein ganzes Imperium von Zechen, Kraftwerken und Heizanlagen in ganz Bulgarien, er ist einer der drei reichsten Menschen im ganzen Land.
Ein Dorf voller Asche
Aus der Ferne sieht man neben der Anlage gestapelte Strohballen und einen großen Haufen Kohle. Hier wird statt Kohle auch Biomasse, Benzin, Kunststoff und Müll verbrannt - in einem Kraftwerk das dafür nicht konstruiert ist.
Auf dem Spielplatz im Dorf Golemo Selo passt Violeta Dashkova auf ihren zweijährigen Sohn Moni auf. Er sei häufig krank, berichtet sie. "Im März war der ganze Spielplatz bedeckt von weißer Asche. Ich befürchte, das kam von der Anlage." Kraftwerke stoßen häufig Schwefeldioxid und Stickoxid aus. Die Kombination kann zu saurem Regen führen.
Dashkovas Ehemann arbeitet im Kraftwerk. Er verdient 325 Euro im Monat, hinzu kommen 50 Euro an Essensgutscheinen. Aber die Gutscheine kommen oft Monate zu spät. Hätten sie nicht ihren Gemüsegarten und ein paar Tiere, dann würde das Essen knapp werden.
Der Bürgermeister der Gemeinde, Vasil Vasev, hat sich gegen den mächtigen Kovachki positioniert. Vasev tritt dafür ein, dass die Gemeinde Steuereinnahmen aus dem Kraftwerk erhält. "Seit der Oligarch 2008 die Anlage gekauft hat, haben wir keinerlei Einnahmen mehr für den Unterhalt unserer Gemeinde bekommen", sagt Vasev. Dabei müssten Straßen und Abwasserleitungen dringend repariert werden.
Bergbau gibt es in der Region seit 1891. In den späten 1940er und frühen 50er Jahren schickte das kommunistische Regime sogenannte Staatsfeinde in Zwangsarbeitslager und von dort in die Minen. Nach dem Tod von Josef Stalin, des Diktators der auch in Bulgarien bestimmenden UdSSR, normalisierte sich die Lage wieder und normale Kumpel kehrten zurück an die Arbeit.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 wurden die Minen privatisiert. Die neuen Besitzer übernahmen die Betriebe oft für einen Kleckerbetrag und beuteten die Bergleute für einen höheren Profit aus. Anfang 2010 verdienten die Arbeiter im Schnitt 300 Euro im Monat. Oft wurden die Löhne zu spät oder gar nicht ausgezahlt.
2016 traten die Kumpel in der Zeche Babino in den Streik. Sie wollten damit erzwingen, dass sie nicht gezahlte Löhne und Essensgutscheine erhielten, bevor es zu massiven Entlassungen kam. Nach drei Tagen Streik, bei dem über 100 Kumpel unter Tage blieben, stellten die Betreiber die Ventilatoren ab und zwangen die Streikenden so zur Aufgabe.
Im Dorf Babino sitzen ein paar Ex-Kumpel vor dem Dorfladen und trinken Bier. Einige von ihnen sind schon mit 45 in Rente gegangen, andere wurden entlassen, bevor sie sich für die Rente qualifizieren konnten. Heutzutage sei das Leben hier im Dorf hart, sagt Yordan Yordanov, 46, der siebzehn Jahre lang in einem Instandhaltungstrupp unter Tage gearbeitet hat. "Es gibt keine Zukunft hier in der ganzen Gegend." Ohne Arbeit, sagt er, werde niemand hier bleiben, nur die Alten.
Yordanov hatte Glück: Er bekommt eine Rente und anders als sein früheres Gehalt kommt die sogar pünktlich. Aber das Bergwerk schuldet ihm immer noch Löhne in Höhe von 2000 bis 2500 Euro. "Von Hristo Kovachki krieg ich keinen Cent," sagt er. "Wenn du in seine Partei eintrittst,” schaltet sich ein Freund ein, "dann siehst du vielleicht doch noch was von deinem Geld."
Kaum Hoffnung für den Kohlebergbau
Bislang gibt es kaum Hoffnung für die Kohleregion, auch wenn Lokalpolitiker versuchen, neue Unternehmen anzulocken. "In unserem Land haben Politiker keine Visionen für die Entwicklung von Regionen wie dieser", sagt Elsa Velichkova, die Bürgermeisterin von Bobov Dol. Unter den verschiedenen Einrichtungen, die nach dem Ende des Bergbaus für einen Strukturwandel zuständig wären, gebe es keinen Dialog.
Vasev und Anton Iliev, der Chef der europäischen Projektbehörde für Bobov Dol, werben bei potentiellen Investoren mit den Alleinstellungsmerkmalen der Region: der Standort, kaum eine Stunde von der Hauptstadt Sofia entfernt, und die qualifizierten Arbeiter. Die Kosten für Land, Betriebsmittel und Löhne seien so niedrig wie kaum irgendwo anders in der Europäischen Union.
Kampf gegen den Untergang
Doch viele Junge sind schon gegangen. Selbst wenn sich noch ein neues Unternehmen ansiedeln würde, könnte es schon zu spät sein. Im vergangenen Jahr kamen in Golemo Selo nur noch sechs Kinder zur Welt.
Schon seit Beginn der 2000er Jahre gibt es ein paar Textilfabriken, die 300 bis 400 Frauen aus der Gegend beschäftigen. Doch die verdienen gerade einmal 200 Euro im Monat und die harten Bedingungen in der bulgarischen Textil-Industrie wurden schon mit denen in Kambodscha, Bangladesch oder der Türkei verglichen.
Beim letzten Klimagipfel in Polen hat Bürgermeisterin Velichkova darüber gesprochen, wie sehr das Ende des Kohlebergbaus ihre Gemeinde zurückgeworfen hat. "Die Region steht vor einer sozio-ökonomischen Katastrophe. Wir kämpfen gegen den Untergang und sind dabei ganz allein."