Durchweg Frauen gewinnen
5. Juli 2015Es war selten, womöglich nie so spannend in Klagenfurt beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Nichts ließ sich vorhersagen, zumindest nicht, wer am Ende siegen würde und wer mit den neben dem Hauptpreis zu vergebenen Auszeichnungen wieder nach Hause fahren durfte. Das lag daran, dass beim diesjährigen Wettbewerb außergewöhnlich gute Texte vorgestellt wurden und einfach kaum auszumachen war, welchem nun der Vorzug vor einem anderen gegeben werden sollte. Darin bestand das schlicht nicht aufzulösende Luxusproblem. Dies zeigte sich dann auch am knappen Abstimmungsergebnis der Jury.
Verdiente Preisträgerinnen
Die bislang vor allem als Lyrikerin bekannte Nora Gomringer ist trotzdem eine verdiente Siegerin für ihren "Recherche" überschriebenen und glänzend vorgetragenen Text, der von der Suche einer Autorin nach der Wahrheit erzählt. Ein 13-jähriger Junge ist tot, vom Balkon gestürzt. Die Autorin Nora Bossong – deren Name sich Nora Gomringer ausgeliehen hat, weil beide häufig miteinander verwechselt werden – befragt die Bewohner des Hauses und wird mit den Schicksalen und Sonderlichkeiten ganz unterschiedlicher Leute konfrontiert; getrieben von der Frage, wie es zu dem Unglück kommen konnte.
Valerie Fritsch erhielt ebenso nachvollziehbar den Kelag-Preis und zudem – dies allerdings durchaus überraschend – auch den Publikumspreis. Sie erzählt in ihrem schlicht mit "Das Bein" überschriebenen Beitrag auf dichte, bildhafte und beinah altmeisterliche Weise von einem alten Mann, dem nach einem Unfall ein Bein amputiert wurde und der nun zusehends verfällt. Es ist – man könnte nach ihrem Roman "Winters Garten" beinah sagen: erwartungsgemäß – eine Geschichte durchzogen von einem Grundton der Vergänglichkeit.
Die gebürtige Bukaresterin Dana Grigorcea führt in "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit" (einem Auszug aus einem Roman, der im Herbst erscheinen soll) mit satirischer Verve durch mehrere Jahre rumänischer Geschichte. Wir begegnen da einem der ersten Farbfernseher, dessen Bildschirm schlicht mit Farbfolie beklebt ist. Dafür gab es den 3sat-Preis.
Vortragskünstlerinnen
Unterstrichen wurde der gute Gesamteindruck des diesjährigen Wettbewerbs durch exzellente Vorträge. Auch die vorangestellten Filmporträts – die immer häufiger von Autoren selbst choreographiert werden und die manchmal eher verspielt als aussagekräftig erscheinen – erwiesen sich zuweilen als perfektes Intro zu den Vorträgen, etwa bei Teresa Präauer oder Monique Schwitter, die leider beide nicht ausgezeichnet wurden.
Während die eine sich eine Affenmaske überstülpte, wandelte die andere als Jägerin ausstaffiert durch einen Wald – beide Male nicht schwer zu entziffernde Verweise auf die gelesenen Texte. So wurden manche Auftritte zu einem Gesamtkunstwerk, das Jury wie Publikum überzeugte. "Die Lautlichkeit der Sprache ist mit neuem Selbstbewusstsein vorhanden", attestierte denn auch der neue und souveräne Juryvorsitzende Hubert Winkels.
Für Klagenfurt wird schon immer geprobt: Ist die Intonation klar und sitzt der Anzug? Die oft ausdrucksstarken Vorträge spiegeln nicht zuletzt auch eine gewandelte Auffassung vom Autorenberuf. Man will den eigenen Text auch gut präsentieren können, die Zeit des Nuschelns ist vorbei. Wenn zudem, wie in diesem Jahr Autorinnen auftreten, die im Hauptberuf einmal Schauspielerinnen waren wie Monique Schwitter oder bei verschiedenen Poetryslams aufgetreten sind wie Nora Gomringer, dann wird der Vortag selbst zum Ereignis und die Wirkung eines Text noch einmal gesteigert.
Die in Unterzahl angetretenen Männer sind zu recht allesamt durchgefallen. Ihre Beiträge weckten in der Jury allenfalls Erinnerungen an Kinderbuchprosa oder journalistische Übungen, denen jeglicher literarische Überschuss fehlt. Manche Beiträge von Autoren (immerhin waren ja auch sie von Juroren eingeladen) fielen in einem Maße ab, dass man sich nur wundern konnte. Die Kluft zu den guten und erst recht den besten Beiträgen war zuweilen riesig. Dennoch, der positive Eindruck überwog deutlich beim diesjährigen Wettlesen.
Werbung für den Wettbewerb
Dazu beigetragen hat auch der Eröffnungsredner Peter Wawerzinek. Seine sehr persönliche Bilanz zum Auftakt der Bachmanntage "Tinte kleckst nun einmal", die vom Werden des Schriftstellers Wawerzinek erzählt, war nicht zuletzt eine Klagenfurt-Lobpreisung; mit dem Sieg beim Wettlesen 2010 glückte dem in der Unsichtbarkeit verschwundenen Autor die Rückkehr auf die literarische Bühne. Am Rand des diesjährigen Wettlesens sah man den vormaligen Preisträger immer wieder im Gespräch mit anderen Autoren, Journalisten, Zuschauern oder auch einfach beim Plausch mit dem stattlich beleibten ORF-Kameramann. Wawerzinek Zuneigung zu Klagenfurt war allzeit spürbar und nach den Erfahrungen der vergangenen Tage wohl für viele Besucher nur zu gut nachzuvollziehen.
Der Bachmann-Wettbewerb jedenfalls hat – nach den Diskussionen darüber, ob er überhaupt fortgeführt werden sollte, die zum Glück wieder beendet sind und dem eher bescheidenen Niveau des Vorjahres – nun aufs Beste Werbung für sich gemacht.