Rainer Werner Fassbinder
30. September 2011Die Filme von Rainer Werner Fassbinder wiedersehen, heißt immer auch: einen verstörenden Blick in die bundesrepublikanische Vergangenheit wagen. Vor allem die zeitgenössischen Stoffe Fassbinders rauben einem schier den Atem. Sie gewähren schockierende, weil ungeschönte Einblicke in die Bundesrepublik der 1970er Jahre - wie die gerade auf DVD erschienene Fernseharbeit Fassbinders "Ich will doch nur, dass ihr mich liebt".
Für eine ganz andere künstlerische Orientierung steht die Nabokov-Verfilmung "Despair - Eine Reise ins Licht", die knapp anderthalb Jahre später vom Regisseur mit großem Aufwand und einem Millionenbudget gedreht wurde. In der kurzen Zwischenzeit hatte der Regieberserker Fassbinder nicht weniger als vier andere Filme gedreht - nach heutigen, aber auch nach damaligen Gesichtspunkten, eine eigentlich unfassbare Arbeitsgeschwindigkeit. "Despair" und "Ich will doch nur, dass ihr mich liebt" wurden jüngst restauriert und erscheinen jetzt auf DVD.
"Ich will doch nur, dass ihr mich liebt" (1975/76)
Eine einfache Geschichte: Ein junger Mann löst sich erst spät von seinen übermächtigen, klammernden Eltern, für die er kurz zuvor auch noch ein neues Heim gebaut hat. Seiner eigenen jungen Frau will er ein bürgerliches Leben ermöglichen, verliert aber seine Arbeit und gerät durch die verschiedenen Ansprüche, die an ihn gestellt werden, immer mehr unter Druck. In einem Akt der Verzweiflung erschlägt er am Ende einen Brauhauswirt, der ihn rein äußerlich an seinen Vater erinnert. Im Gefängnis versucht eine Psychologin Motive der Tat des Verzweifelten herauszubekommen.
Der Film entstand für den WDR und wurde mit einem schmalen Budget gedreht. Doch diese scheinbare Nebenarbeit Fassbinders berührt noch heute durch ihre Intensität. Der von gesellschaftlichen und persönlichen Zwängen in die Enge getriebene junge Mann erscheint wie eine Vorwegnahme heutiger Hartz IV-Schicksale. Psychologisch stimmig, tritt Fassbinders Gespür für die Geschlagenen und Außenseiter der Gesellschaft deutlich zu Tage. Trotz der typischen Manierismen des Regisseurs fesselt die Geschichte ungemein.
"Despair - Eine Reise ins Licht" (1977)
Nur kurze Zeit, aber vier Filme später, sollte die 6 Millionen DM-Produktion "Despair" den internationalen Durchbruch für den Regisseur bringen. Fassbinder holte die Stars Dirk Bogarde und Andrea Ferréol vor die Kamera, ließ mit großem Aufwand eine 30er Jahre-Szenerie an verschiedenen Drehorten nachbauen und setzte den literarischen Stoff mit üppigem Dekor in Szene. "Despair" wurde mit vielen Vorschußlorbeeren in den Wettbewerb nach Cannes eingeladen - und fiel krachend durch.
Trotz allen Aufwandes und des überzeugenden Auftritts Dirk Bogardes fehlt dem Film auch heute noch die tiefe emotionale Wucht, die andere Filme des Regisseurs auszeichnete. Die Geschichte des getriebenen Schokoladenfabrikbesitzers, der Eheprobleme hat, die Nationalsozialisten im Nacken, und auf die wahnwitzige Idee kommt eine fremde Identität anzunehmen, wird von der teuren Ausstattung des Films in den Hintergrund gedrückt. Die unendlich vielen Spiegel, die Fassbinders Kameramann Michael Ballhaus immer wieder abbildet und umkreist, werden zum Selbstzweck. Der Film wirkt über weite Strecke künstlich und manieriert. Natürlich ist "Despair" virtuos gemacht, handwerklich professionell in Szene gesetzt. Und er verdient auch ein Wiedersehen, weil er eine wichtige Wegmarke innerhalb der Karriere Fassbinders darstellt. Den internationalen Durchbruch gab´s dann übrigens kurze Zeit später - mit dem Film "Die Ehe der Maria Braun".
Rainer Werner Fassbinder: "Ich will doch nur, dass ihr mich liebt" (D. 1975/76), "Despair - Eine Reise ins Licht" (D1977), beide Filme sind in restaurierter Form als DVD und BluRay beim Anbieter Eurovideo erschienen.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Klaus Gehrke