Ehrenbürger Adolf Hitler - wie sich Bad Honnef dagegen wehrt
7. September 2024In einer Geschichtsstunde auf dem Siebengebirgs-Gymnasium (SIBI) in Bad Honnef reift bei einer zehnten Schulklasse vor einigen Monaten die Idee, selbst Geschichte zu schreiben. Mit einem Antrag will die Klasse dafür sorgen, dass sich die 25.000-Einwohner-Stadt in der Nähe von Bonn auch offiziell lossagt von ihrem nationalsozialistischen Ehrenbürger, dem NS-Diktator Adolf Hitler.
Kathi, Lilly, Ronja, Mia und Selin, fünf Schülerinnen, die stellvertretend für die Klasse sprechen, wollen zusammen mit ihrem Lehrer Thomas Rott ein deutliches Statement gegen rechtes Gedankengut setzen: "Wir wohnen in dieser Stadt, deswegen beschäftigt uns ihre Geschichte natürlich auch. Und dann haben wir uns gefragt, ob wir heute noch mit unserem Einfluss etwas an der Geschichte und der Ehrenbürgerschaft für Hitler ändern können. Auch durch unseren Lehrer sind wir auf das Thema angesprungen. Und jeder von uns hat dann einfach mal eine E-Mail an den Bürgermeister geschrieben."
Ihre Initiative mündet in einen Antrag, den am Ende mehr als 1363 Menschen unterschreiben - fünf Prozent der Bad Honnefer und damit die notwendige Zahl, damit der Stadtrat über die Initiative abstimmen muss. Für die Schülerinnen und Schüler ein riesiger Erfolg. Sie haben dafür Unterschriften gesammelt, an Haustüren geklingelt, Aufklärungsarbeit geleistet.
Die Sprecherinnen der Klasse schildern ihre Erfahrungen: "Die meisten Leute, mit denen wir gesprochen haben, wussten gar nichts von der Ehrenbürgerschaft Hitlers, viele haben sofort unterschrieben. Wenn uns jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass wir als kleine Schulklasse so etwas Großes erreichen können, hätten wir es nicht geglaubt. Aber: Vor allem in den sozialen Medien sind immer mehr Rechtsextreme unterwegs und dagegen muss man kämpfen."
4000 deutsche Städte rühmten sich mit Ehrenbürger Hitler
Bad Honnef machte Adolf Hitler am 5. April 1933 zum Ehrenbürger - einen Monat nach dem Sieg der Nazi-Partei NSDAP bei der Reichstagswahl. Die Kleinstadt gehörte damit zu den ersten Städten und Kommunen, bis 1934 vollzogen insgesamt 4000 diesen Schritt.
Die Ehrenbürgerwürde des NS-Diktators erlosch zwar automatisch mit seinem Suizid am 30. April 1945, Bad Honnef hat diese aber bis heute nicht nachträglich widerrufen. Lehrer Thomas Rott sagt der DW: "Wir sind bei unseren Recherchen neben dem Dankschreiben Hitlers auf ein Protokoll einer Stadtratssitzung von 1983 gestoßen. Die grüne Wählergemeinschaft hatte im Stadtrat von Bad Honnef einen Antrag gestellt, der nicht zur Abstimmung gestellt wurde. Das war der Auslöser dafür, dass wir gesagt haben, da müssen wir dranbleiben."
Bei der Stadt rennen die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Antrag offene Türen ein. Stadtarchivar Jens Kremb durchforstet die Unterlagen und macht Dokumente wie Hitlers Dankschreiben ausfindig - obwohl die US-Amerikaner bei der Einnahme der Stadt im März 1945 vieles verbrannt hatten. Die Schulklasse trifft sich im Rathaus mit Bürgermeister Otto Neuhoff.
Er freut sich sichtlich über deren Engagement: "Wir sind stolz auf die Schülerinnen und Schüler, es ist eine tolle Initiative. Weil ihnen auch vermittelt wurde, dass Selbstwirksamkeit in der Politik möglich ist. Und weil sie gelernt haben, gerade mit Blick auf die Landtagswahlen im Osten, dass man in der Demokratie kein Opfer von irgendetwas ist, sondern dass man mitmachen und sich einbringen kann und auch die entsprechenden Möglichkeiten in der Gemeindeverordnung hat."
Distanzierung von Ehrenbürger Hitler in drei Etappen
Den Schritt, sich von Adolf Hitler als Ehrenbürger zu distanzieren, gehen in den vergangenen Jahren viele Gemeinden - vor allem als Signal gegen einen gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck. Dabei verlaufe diese Aufarbeitung der Geschichte in Deutschland in einer Art Wellenbewegung, sagt der Historiker Thomas Schlemmer vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Die erste Welle beginnt direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Kiel zum Beispiel widerruft Hitlers Ehrenbürgerwürde bereits im Dezember 1945.
Schlemmer analysiert: "In den Jahren 1945 und 1946 haben wir es mit einem politischen Systembruch zu tun, der wiederum mit den Alliierten zu tun hat, aber auch mit einem verbreiteten Bedürfnis der politischen Eliten. Damit einher geht auch die Umbenennung von Straßen und Plätzen, es gibt ja kaum eine Gemeinde ohne Adolf-Hitler-Straße oder -Platz. Doch dieser anti-nationalsozialistische Impuls in der unmittelbaren Nachkriegszeit erlischt in den Jahren 1948 bis 1950 mehr oder weniger rasch."
Dann, so Schlemmer, komme es in Deutschland zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Die vielen Verantwortlichen der Nazi-Gräuel sehen sich plötzlich als unschuldige Verführte, die von einer kleinen Clique von nationalsozialistischen Verbrechern rund um Hitler dazu gebracht worden seien, Dinge zu tun, die sie eigentlich gar nicht wollten.
Deutschland lässt die Aufarbeitung der eigenen Geschichte erst einmal für Jahrzehnte ruhen. "Die formalrechtliche Antwort der 1970er und 1980er Jahre lautet: Hitlers Ehrenbürgerschaft ist mit seinem Selbstmord erloschen, die Frage stellt sich gar nicht mehr", erläutert der Historiker. "Doch gleichzeitig bekommt die Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit im Januar 1979 mit der Ausstrahlung der US-Serie Holocaust einen neuen Impuls, man nennt es auch die neue Geschichtsbewegung. Eine Verbindung aus akademisch ausgebildeten Historikern und vielen Laien wie Schülern oder Lehrern wollen plötzlich wissen, wie die NS-Zeit bei uns verlaufen ist."
Wichtiger symbolischer Schritt als Anfang
In diese Zeit vor 40 Jahren fällt auch der erste vergebliche Versuch Bad Honnefs, sich vom Ehrenbürger Adolf Hitler zu distanzieren. Nun, gut 91 Jahre nach der Ernennung, will die Stadt dieses unrühmliche Kapitel endgültig beenden. Für den Historiker Thomas Schlemmer ein überfälliger Schritt mit hohem symbolischem Wert - und Ausdruck eines Prozesses, der deutschlandweit im Gange sei.
Noch wichtiger sei aber, was daraus mit Blick auf die Gegenwart folgt: "Was genau hat damals dazu geführt, dass die Demokratie zerstört worden ist? Welche Lehren kann man daraus ziehen, wenn wir heute wieder die Demokratie verteidigen müssen? Solche Akte symbolischer Distanzierung sind eine große Chance, sich jenseits der Frage Ehrenbürgerschaft für Adolf Hitler mit der Geschichte der eigenen Kommune zwischen 1930 und 1950 intensiver zu beschäftigen."