Auszeichnung in Locarno
9. August 2013"Werner Herzog steht als Autor und Produzent und vor allem als Regisseur in hohem Maße für das Kino, das auf dem Festival in Locarno seine Heimstatt hat". Für den neuen künstlerischen Leiter des größten Filmfestivals der Schweiz, Carlo Chatrian, ist es eine Ehre, Herzog den Preis zu verleihen. Locarno (7. bis 17. August) pflegt seit jeher den unabhängigen, künstlerischen Film. Die Auszeichnung für das Lebenswerk dieses niemals angepassten Künstlers trifft also den Richtigen.
Ausgezeichneter Ruf in den USA
Ausgerechnet der in der bayerischen Provinz aufgewachsene Herzog hat in den vergangenen Jahren sogar in Hollywood Fuß fassen können. Sieht man einmal vom kommerziell orientierten Roland Emmerich ab, dürfte Herzog der in den USA inzwischen bekannteste deutsche Filmemacher sein. Herzog arbeitet mit Stars wie Eva Mendes und Nicholas Cage, Willem Dafoe und Christian Bale zusammen. Dass der Regisseur Millionenprojekte mit den Superstars Hollywoods stemmt, ohne sich dabei dem traditionellen Studiosystem der US-Filmindustrie zu beugen, gehört zu den größten Mysterien des internationalen Kinos.
Doch irgendwie passt dieser Erfolg auch wieder zu seiner von Überraschungen gepflasterten Karriere. Herzog ist neben Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders der bekannteste Regisseur der Generation des Neuen Deutschen Films. Die hatte in den 1960er Jahren begonnen, den verkrusteten und künstlerisch armseligen deutschen Film umzukrempeln. Herzog war auch damals schon ein Individualist, keiner, der sich irgendeiner Gruppe unterordnete. Er war niemals ausschließlich Cineast.
Eindrücke vom Krieg
Noch heute verweist Werner Herzog darauf, dass ihn Kindheitserlebnisse wesentlich mehr geprägt hätten als das Kino als Kunstform. So erzählt er gerne, dass ihn als Kleinkind das von Bomben getroffene, brennende Rosenheim zutiefst beeindruckt hat. Dass es Filme und das Kino gab, habe er hingegen erst als Jugendlicher erfahren.
Herzog ist ein Autodidakt, der mit Kurzfilmen begann und mit jungen Jahren seinen ersten langen Spielfilm drehte. Schon "Lebenszeichen" (1968), die Geschichte dreier Wehrmachtssoldaten auf einer griechischen Insel, verwies auf typische Themen seiner späteren Werke. Menschen in Ausnahmesituationen, die Nähe seiner Protagonisten zum Wahnsinn, der Einfluss der Natur auf die Seelenkonstellation der Figuren. Auch seine Kasper-Hauser-Verfilmung "Jeder für sich und Gott gegen alle" (1974) griff diese Motive auf.
Legendäre Zusammenarbeit mit Klaus Kinski
Einem größeren Publikum bekannt wurde der Regisseur dann durch seine Zusammenarbeit mit dem exzentrischen Schauspieler Klaus Kinski. Mit ihm drehte er fünf Filme, unter anderem das Remake der Vampir-Saga "Nosferatu" und die Georg Büchner-Adaption "Woyzeck". Mit Kinski reiste er für "Aguirre, der Zorn Gottes" und "Fitzcarraldo" nach Südamerika und erzählte dort Geschichten von Eroberern, Soldaten und am Rande des Wahnsinns agierenden Kolonialisten.
Legendär waren stets auch die Berichte von den Dreharbeiten, die in seine deutsche Heimat drangen. Nicht nur die heftigen Auseinandersetzungen mit seinem Star Klaus Kinski, auch die von Unfällen und millionenschweren Verzögerungen geprägten Arbeiten am Set regten die Phantasie der Kritik und der Zuschauer an. Für "Fitzcarraldo" ließ er ein historisches Schiff nachbauen und es von Menschenhand über eine Bergkuppe ziehen. Auch das ein Ausdruck seines Regiestils: Werner Herzog war nie ein Mann des Studios, sondern ein Regisseur, der seine Themen vor Ort exzessiv durchlebte.
Jedes Jahr ein Film
Nach dem Tod Kinskis wurde es zunächst stiller um Herzog. In Deutschland erlahmte das Interesse an seinen Arbeiten. Herzog tauchte in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch auf - auch weil er für einige Jahre keine Spielfilme mehr drehte, sich auf Operninszenierung konzentrierte. Dabei verging auch in den 1990ern fast kein Jahr, in dem der gebürtige Münchner nicht zumindest einen Film machte - vor allem Dokumentationen über Landschaften oder skurrile Charaktere. Herzog hatte immer die Gabe, seinen ganz eigenen Blick auf Geschehnisse am Rande der Gesellschaft und der zivilisierten Welt zu richten.
Herzogs Filme dieser Zeit waren jedoch alles andere als klassische, "realistische" Dokumentationen. Schon die Titel - "Glocken aus der Tiefe", "Echos aus einem düsteren Reich" oder "Lektionen in Finsternis" - deuteten an, worum es ihm ging. Herzog reiste um die Welt und nahm seine Kameras mit, um unter der Erde zu filmen, in Höhlen, unter dem ewigen Eis, auf brennenden Ölfeldern, in der Wüste, im Hochgebirge. Das eröffnete ihm ganz neue Räume und Blicke - auf Menschen und auf unsere Welt.
Arbeit mit Top-Stars
Ebenso überraschend wie sein Pendeln zwischen den verschiedenen Stil- und Genreformen des Kinos war dann sein Engagement in Hollywood. Dass ausgerechnet der manchmal verschroben auftretende Individualist Herzog einmal in der kommerziell geprägten Filmnation USA drehen sollte, damit hatte niemand gerechnet. Zwar entstanden seine Produktionen außerhalb der großen Studios, doch auch sie wurden mit großen Budgets, vielen Millionen Dollar und bekannten Hollywood-Größen realisiert.
In Hollywood gelang Herzog eine kaum für möglich gehaltene Gratwanderung. Er produzierte klassische Genreunterhaltung mit individueller Note ("Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen") ebenso wie schockierende Dokumentationen über schwierige Themen ("Death Row", Interviews mit Todeskandidaten). Auch das dürfte das Filmfestival in Locarno davon überzeugt haben, dass hier ein großer Individualist des Kinos beharrlich an seinen künstlerischen Visionen arbeitet - und deshalb den Ehren-Leoparden verdient hat.
In der aktuellen DW-Fernsehsendung KINO (vom 02.08.2013) geht es unter anderem auch um Werner Herzog. Deutsche Regisseure wie Herzog oder Roland Emmerich feiern seit Jahren Erfolge in den USA. Darüber berichtet KINO in seiner jüngsten Ausgabe. Außerdem: "Griechische Filmemacher und die Krise".