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"Eile ist angesagt, bevor es zu spät ist"

19. Juli 2006

Die eskalierende Situation im Nahen Osten nehmen die arabische, israelische, europäische und US-amerikanische Presse auch am Mittwoch (19.7.2006) wieder unter die Lupe.

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Arabische Stimmen

Mohammed Al-Rimihi kritisiert in der transarabischen Zeitung "al-Hayat" das Vorgehen Hisbollahs:

"Im Libanon leben vier Millionen Menschen. Weitere zehn Millionen Libanesen sind auf allen Kontinenten der Erde verteilt. Mit dem Privileg, über Krieg oder Frieden alleine zu entscheiden, haben sich manche Akteure im Libanon die Vertreibung der restlichen libanesischen Bevölkerung zum Ziel gesetzt. Anders als die Israelis bringen manche Libanesen und Araber ihre Bürger bewusst in Gefahr, ohne über die Folgen ihrer Taten nachzudenken. Das angeblich offenkundige Motiv für die Verschleppung der beiden israelischen Soldaten durch Hisbollah ist, Israel zu erpressen, damit libanesische Gefangene freigelassen werden. Aber manche Libanesen deuten nicht nur an, sondern sagen in aller Offenheit, dass die Verschleppung der beiden Soldaten von Außen angeordnet worden sei. Jeder, der politisch wachsam und verantwortungsvoll handelt, wiegt sowohl die Chancen als auch die Risiken seiner politischen Aktivitäten ab. Wenn wir uns aber die verheerenden Folgen der bisherigen Entwicklungen vor Augen führen, wird der Verlust, den die Libanesen wegen unüberlegter Aktionen Hisbollahs erleiden müssen, deutlich."

Der Kommentator der auflagenreichen jordanischen Tageszeitung "al-Rai" schreibt:

"Die andauernde israelische Libanon-Offensive hat die ganze Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen. Darüber ist die verheerende Lage in anderen Staaten des Nahen Ostens wie Irak oder Palästina in Vergessenheit geraten. Die militärischen Aktionen Israels im Libanon dienen somit den Interessen der großen politischen Akteure im Nahen Osten, insbesondere denen der US-Administration. Ohne Hemmungen setzt Israel seine Libanon-Offensive fort, nachdem die israelischen Politiker die internationalen Organisationen in ihrem Sinne mobilisieren konnten. Deswegen steht den Israelis nichts mehr im Wege, ihren umfassenden Krieg gegen den ganzen Libanon und dessen Infrastruktur weiter zu führen - und das trotz der Behauptung, die militärischen Aktionen richteten sich lediglich gegen Hisbollah. (…) Nach wie vor ignorieren die Israelis und die internationalen Staatengemeinschaft die legitimen Forderungen Hisbollahs: Die Freilassung der seit langem inhaftierten libanesischen und arabischen Gefangenen und den vollständigen israelischen Abzug aus dem Süd-Libanon. Darüber hinaus nimmt man nicht zur Kenntnis, dass die Auseinsetzungen im Libanon einen Teil des arabisch-israelischen Konflikts darstellen und dass kein Frieden im Nahen Osten herrschen wird, ohne die Rechte der Palästinenser anzuerkennen und einen unabhängigen palästinensischen Staat zu errichten."

Israelische Stimmen

Die israelische Zeitung "The Jerusalem Post" meint:

"Es waren Jahrhunderte schwerer Arbeit, bis 1993 Israel den vorsichtigen Respekt seiner Feinde gewonnen hat. Demgegenüber bringt das episodische Auslegen von Macht keinen Nutzen. Wenn Israel den normalen Betrieb von Beschwichtigungspolitik und Rückzug fortsetzt, wird sich der derzeitige Kampf als eine Sommer-Windbö herausstellen: eine nutzlose Handgreiflichkeit. Schon jetzt wissen Israels Feinde, dass sie sich nur für ein paar Tage oder Wochen zu verstecken brauchen und die Dinge wieder ihren normalen Lauf nehmen werden: die israelische Linke in Quertreiber-Manier, die Regierung, die bald Geschenke anbietet, Terroristen verfolgt und dennoch wieder territorialen Rückzug betreibt.

Abschreckung kann sich nicht in einer Woche wieder einstellen, durch einen Angriff, eine Blockade oder eine Runde Krieg. Sie verlangt eine standhafte Entschlossenheit, die über Jahrhunderte ausgedrückt wird. Damit die jetzigen Handlungen Israel über die emotionale Linderung hinaus etwas bringen, müssen sie einen tiefen Wandel in der Ausrichtung ankündigen. Sie müssen ein großes Umdenken der israelischen Außenpolitik veranlassen und ein Abkopplung-Denkmuster zugunsten einer Abschreckungspolitik, die zum Sieg führt.

Europäische Stimmen

Die linksliberale britische Zeitung "The Guardian" schreibt über die Folgen des Irak-Krieges für den Nahen Osten:

"Die Gewalt im Irak hat die gesamte Region destabilisiert. Eine der wichtigsten Folgen ist die Feindseligkeit gegenüber den USA, die immer mehr an Einfluss und Glaubwürdigkeit verlieren. Bush hängte alles an den Sturz von Saddam Hussein, bei der Suche nach einer Lösung des Nahost-Konflikts zeigt er jedoch nicht das gleiche Durchhaltevermögen. Bush hat das Interesse an der arabischen Welt verloren, nachdem ärgerliche Palästinenser für die islamistische Hamas stimmten. (...) Die Lage in Nahost hat sich gefährlich zugespitzt. Der sektierische Krieg im Irak und der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis haben unterschiedliche Wurzeln. In beiden Fällen muss es dringend Fortschritte geben, denn die Situation im Libanon zeigt, dass andere in den Konflikt mit hineingezogen werden."

Die römische Zeitung "Il Messaggero" schreibt:

"Eile ist angesagt. Eile ist angesagt, um den Krieg zwischen Israel und den Hisbollah (...) abzuschwächen, bevor es zu spät ist. Allerdings ist dies eine schwierige Angelegenheit, und zwar aus vielerlei Gründen. Die erste Schwierigkeit sind die beiden Seiten, die gegeneinander kämpfen: Israel hat kein Interesse daran, jetzt seine Offensive zu beenden und antwortet auf eine Reihe von Angriffen, die von zu vielen unterschätzt werden. Und jetzt, wo Israel einmal begonnen hat, etwas zu unternehmen, soll die Hisbollah (...) ernsthaft geschwächt werden, so dass sie für lange Zeit nichts mehr anrichten kann. (...) Ihrerseits setzt die Hisbollah auf einen Kampf, der beweist, dass sie die einzige Macht ist, die den feindlichen Streitmächten etwas entgegensetzen kann - genauso wie im Jahr 2000, als Israel, unter anderem auch auf Druck der Hisbollah, den südlichen Libanon verlassen hatte."

Der Wiener "Kurier" schreibt zu den Chancen internationaler Friedenspläne in Nahost:

"Unter welchem Namen all die internationalen Friedenspläne für die Region auch präsentiert werden, auf Dauer werden die Konflikte und gesellschaftlichen Verwerfungen sie alle wie Fassaden abbröckeln lassen. Denn zu den konsequenten politischen Abrissarbeiten, die notwendig wären, um im Nahen Osten wirklich stabile staatliche Gebäude und einen ebenso stabilen Frieden zu errichten, ist niemand bereit. Da müssten die USA endlich ernsthafte Bedingungen an ihre Unterstützung für Israel knüpfen. Die Gier nach Öl dürfte nicht mehr die Liebdienerei für diverse Despoten bedingen. Die über Jahrzehnte von arabischen Regimen nur zum Schein betriebene soziale und gesellschaftliche Entwicklung müsste endlich vorangetrieben und vom Westen auch gefördert werden. Nur so könnte der Islamismus, die in Wahrheit einzige dynamische Massenbewegung im Nahen Osten, gestoppt werden. Sonst droht er das nächste Kapitel in der Geschichte des Nahen Ostens zu schreiben - und das wird erneut ein blutiges."

Die französische Regionalzeitung "La République des Pyrénées" sieht die Hauptschuld für die Lage im Nahen Osten bei US-Präsident George W. Bush:

"Das Schlimmste an der Zuspitzung der Gewalt im Nahen Osten, an der Entfesselung der Gewalt, ist es, dass jeder weiß, was er tut. Aber diese immer unverhältnismäßigere Verkettung von Gewalt und Zerstörung könnte sich wie immer gegen Israel wenden, indem dadurch alle Schichten der arabischen Bevölkerung im Hass und in einem wieder belebten Ressentiment auf Grund des Leidens unschuldiger Opfer geeint werden. (...) Die Hauptschuld trifft George Bush, dessen gesamte Außenpolitik, vom Irak über die Palästinenserfrage bis hin zum Iran, ständig das Lager der Fundamentalisten stärkt."

Amerikanische Stimmen

Die amerikanische Zeitung "The New York Times" äußert sich zu vertanen Chancen auf dem G-8-Treffen:

"Die Führer der acht größten Energieverbraucher-Staaten hätten mit frischen Ideen für eine Welt aufkommen sollen, in der Öl zunehmend nachgefragt und zunehmend teuer ist. Sie könnten viel mehr machen, um dringende Bedürfnisse anzusprechen. (…)

Was den Nahen Osten betrifft, äußerten die G-8-Staaten die bekannten Plattitüden und zeigten die geläufigen Unterschiede zwischen Washington und Europa. Was sie aus diesem bekannten Muster hätte aufrütteln sollen, war die alarmierende Fähigkeit, internationale Konflikte auszulösen, die radikale islamistische Gruppierungen wie Hisbollah und Hamas jetzt gezeigt haben. Es wird mehr erforderlich sein als nur das Feuer einzustellen, um diese Bedrohung einzudämmen. Es wird ein konzertiertes diplomatisches und wirtschaftliches Muskelspiel erfordern." (mia)