Ein Abitur für alle
6. September 2012Ob ein Schüler in Bayern oder in Bremen sein Abitur gemacht hat, sollte eigentlich egal sein. Denn Abitur ist Abitur. Nicht aber in Deutschland. Hier entscheidet jedes der 16 Bundesländer für sich, was ein Abiturient wissen muss. Folglich variiert das Niveau. Und so sind die Abiturprüfungen in Bayern meistens deutlich schwieriger als in Bremen. Doch das soll sich in fünf Jahren endlich ändern. Was weltweit längst üblich ist, wird es dann auch in Deutschland geben: Ein einheitliches Abitur für alle Schüler.
Für die Reform hat sich besonders der Hamburger Schulsenator Ties Rabe stark gemacht. Er ist zugleich Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), in der alle zuständigen Bildungsminister der Länder zusammengeschlossen sind. Gerne spricht er nun von einem "historischen Schritt" und einem "Meilenstein", den Deutschland mit dem Einheitsabitur macht.
Schluss mit den Eitelkeiten
"Wir haben uns auf einheitliche Abiturprüfungen verständigt, die in Deutschland seit fünfzig Jahren diskutiert und als dringlich empfunden werden", sagte er und kritisierte damit indirekt, dass das Vorhaben bisher immer wieder an Eitelkeiten einzelner Bundesländer scheiterte. Denn in Deutschland ist Bildungspolitik Ländersache und damit alles andere als einheitlich und unkompliziert.
Das Einheitsabitur wird denn auch nicht sofort in allen Bundesländern eingeführt. Den Anfang machen zunächst Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Bayern. In diesen sechs Ländern sollen Schülerinnen und Schüler schon 2014 in Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch einheitliche Abituraufgaben erhalten. Die restlichen Länder folgen dann 2017.
Gleiche Standards für alle
Zwar ist es eine zögerliche Reform, aber immerhin tut sich nun endlich etwas in Sachen Abitur, meint Ties Rabe. "Wir brauchen endlich klare Leistungsstandards, an denen sich Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer orientieren können." Denn bisher fehlen für das Abitur in ganz Deutschland genau solche Standards, sagt Petra Stanat vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen in Berlin.
Ihr Institut hat die Aufgabe, nun Abituraufgaben für alle deutschen Schulen zu entwickeln und einen sogenannten Pool zu schaffen, aus dem sich die einzelnen Bundesländer bedienen können. Denn anders als zum Beispiel in Frankreich, werden nicht alle deutschen Schüler am selben Tag ihre Abiturprüfungen schreiben. Das bedeutet, es müssen unterschiedliche Prüfungsaufgaben entwickelt werden, die aber den gleichen Schwierigkeitsgrad haben sollen.
Dabei gehe es in erster Linie um die Kompetenzen, die ein Jugendlicher am Ende seiner Schullaufbahn erworben haben soll, erklärt Stanat. Zum Beispiel im Unterrichtsfach Deutsch. Die Institutsleiterin blättert in einem dicken Hefter und zitiiert daraus: "Hier heißt es: Informierend schreiben und sprachlich-stylistische Merkmale eines Textes selbständig, fachgerecht beschreiben."
Sorge um die Profiloberstufe
An den Schulen wird das Einheitsabitur keineswegs so begeistert aufgenommen, wie sich das viele Bildungspolitiker gewünscht haben. Margarete Eisele-Becker etwa, die das Margaretha-Rothe-Gymasium in Hamburg leitet, ist skeptisch. Sie fürchtet, dass mit dem Einheitsabitur die Vielfalt verloren geht, die deutsche Schulen ihren Schülern bislang bieten.
Das könne man jetzt schon im Fach Deutsch sehen, erklärt sie. Hier gibt es im Bundesland Hamburg bereits ein Zentralabitur, bei dem alle Schüler am selben Tag geprüft werden. Jedes Jahr legt die zuständige Behörde ein Thema fest, das der Lehrer dann unterrichten und prüfen muss. "Es könnte also sein, dass alle Schüler Goethes Roman 'Die Leiden des jungen Werther' lesen müssen", ärgert sich die Direktorin.
Einheit statt Vielfalt
Einheit statt Vielfalt wird das Motto sein, glaubt auch der 17 Jahre alte Schüler David. Der Abiturient hat ein sogenanntes "interkulturelles Medienprofil" aus Geschichte, Religion und Kunst belegt. In einem Halbjahr haben die Schüler einen Bildband entworfen, im nächsten einen Radiobeitrag über verschiedene Religionen produziert. David schätzt die Auswahl an Themen. Gerade das wecke doch das Interesse bei Schülern. Sich für die Abiturprüfung nur noch auf ein Thema konzentrieren zu müssen, das alle deutschen Schüler abhandeln, findet er langweilig.
Leonie und Benedict, die in ihrem naturwissenschaftlichen Profil sogar ein kleines Flugzeug entworfen haben, sehen das allerdings anders. "Es ist fairer, weil dann nicht gesagt werden kann, dass die Schüler in Bayern viel schlauer sind, weil sie ein schwierigeres Abitur haben“, meint Leonie. Auch Benedict findet mehr Wettbewerb sinnvoll. "Es mag dann zwar für einige Länder schwerer sein, aber insgesamt finde ich es schon sehr gut.“
Manche Lehrer hingegen werden sich freuen, glaubt Schulleiterin Eisele-Becker. "Sie haben bisher viel Arbeit und Zeit in die fächerübergreifenden Profilkurse gesteckt, das entfällt mit dem Einheitsabitur.“