"Ein dorniges Feld"
31. Januar 2013DW: Herr Professor Bielefeldt, wie definieren Sie den Begriff "Religionsfreiheit"?
Heiner Bielefeldt: Der Begriff Religionsfreiheit ist eine Kurzformel für die Gedankenfreiheit, Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Weltanschauungsfreiheit. Es geht um die Freiheit jedes Menschen, seinen Glauben zu äußern, seinen Glauben vielleicht auch zu ändern, seinen Glauben zu kommunizieren, sich mit anderen zusammenzuschließen,
Sie sind Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, was ist Ihre Aufgabe?
Es geht um drei Schwerpunkte: Ich mache Einzelfallarbeit. Ich führe Recherchereisen durch. Und ich leiste Themenberichterstattung in internationalen Konferenzen, zum Beispiel in der Generalversammlung der UNO oder im Menschenrechtsrat.
Können Sie diese Arbeiten beschreiben?
In der Einzelfallarbeit befasse ich mich mit Beschwerden, Anfragen oder Klagen zu einzelnen Situationen. Das geschieht auf diplomatischem Wege, ich recherchiere dazu und stelle zum Beispiel Anfragen an staatliche Stellen. Recherchereisen führen mich in einzelne Länder, um sich dort mit der Situation der Religionsfreiheit insgesamt zu befassen. Ich führe normalerweise zwei solche Reisen pro Jahr durch. Mehr kann ich ehrenamtlich nicht leisten. Wir führen dabei intensive Gespräche mit staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen und Einzelpersonen durch. Ich habe den Eindruck, dass wir tiefe und oft überraschende Einblicke erhalten.
Was sind Themen der internationalen Konferenzen?
Im Oktober habe ich an der Generalversammlung der UNO in New York teilgenommen und einen Bericht zum Thema Glaubenswechsel vorgetragen, also über den Wechsel von einer in eine andere Religion. Die so genannte Konversion ist in einigen Regionen zwischen Christen und Muslimen sehr problematisch. In machen Staaten ist die Konversion sogar per Gesetz verboten oder wird administrativ massiv behindert. Auch über die Möglichkeiten und Grenzen von Missionstätigkeit müssen wir beraten, da es immer wieder zu Konflikten kommt. Klar ist aber, dass Missionstätigkeit generell von der Religionsfreiheit umfasst ist.
Woher beziehen Sie Ihre Informationen?
Eine wichtige Quelle sind Kontakte. Organisationen und Gruppen aus aller Welt melden sich und suchen das Gespräch, an meinem Arbeitsplatz in der Universität genauso wie am Sitz der UN in Genf oder in New York. Hilfreich sind auch die Recherchen des amerikanischen State Departments.
Welche Zahlen legen Sie zugrunde, wenn Sie die Situation bedrängter und verfolgter Christen beschreiben?
Mit Zahlen bin ich generell vorsichtig, aber es sind zweifellos viele Menschen weltweit, auch viele Millionen von Christen, betroffen von Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit.
Was sind die Gründe für die Einschränkung?
Die Gründe sind vielfältig: sei es, dass der Staat seine eigene Ideologie durchsetzen will, dass er kontrollieren will und Sorge vor dem Eigenleben von Religionsgemeinschaften hat, oder dass eine Religion vor einer anderen bevorzugt werden soll. Das chinesische Regime hat heute einen weniger ideologisch durchgreifenden Anspruch als vielmehr einen kontrollpolitischen Anspruch und setzt Mechanismen von Überwachung und Repression bis hin zu Arbeitslagern in Gang.
Schränkt nur der Staat die Religionsfreiheit ein?
Nein. Wir haben ganz unterschiedliche Formen von Verletzung der Religionsfreiheit zu beklagen, das geht bis hin zu Tötungsdelikten. Solche Gewalt wird häufig von nicht-staatlichen Gruppen verübt. Es gibt Terrorgruppen wie Boko Haram in Nigeria, wir kennen selbst ernannte Wächtergruppen, salafistische Gruppen, die Kirchen in Ägypten anzünden.
Wie bewerten Sie diese Einschränkungen von Freiheit?
In Ländern, in denen Christen bedrängt, diskriminiert oder verfolgt werden, werden meistens auch andere verfolgt, das sollte man immer im Blick haben. Meistens hat das damit zu tun, dass ein Klima herrscht, das misstrauisch gegenüber Minderheiten ist. Dramatisch wird es, wenn Gruppen zur Projektionsfläche für Hass gegenüber den Westen werden, wie beispielsweise im Irak, wo das Trauma des Irakkriegs auch an den Christen abreagiert wird.
Wie kann Veränderung stattfinden? Was ist zu tun?
In manchen Ländern geht es darum, überhaupt erst einmal rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen. An dieser Stelle nur einige Schlagworte: Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, von menschenrechtlicher Infrastruktur, von Zivilgesellschaft, von nationalen Menschenrechtsinstitutionen. Es geht meistens nicht allein um Religionsfreiheit, es geht auch um ein offenes Bildungssystem, um private und öffentliche Schulen, um religiösen Pluralismus im Schulsystem, um wirksame Antidiskriminierungspolitik, um Öffnung sozialer Räume, bis hin zum Pluralismus im Arbeitsmarkt. Religionsfreiheit ist ein Querschnittsthema und betrifft alle Politikbereiche. Der entscheidende Wandel geht übrigens immer vom Inneren einer Gesellschaft aus, er muss von innen getragen werden; internationale Begleitung von außen kann aber eine konstruktive Rolle spielen.
Gibt es auch Themen, die Sie in Deutschland sorgenvoll wahrnehmen?
Insgesamt sieht es in Deutschland in Sachen der Religionsfreiheit recht gut aus. Erschreckt hat mich aber die Heftigkeit in der Debatte über die Beschneidung. Die religiöse Sozialisation von Kindern wurde als barbarischer Akt diskreditiert. Die Wucht, die Aggression, spricht nicht für ein offenes, religionsfreundliches Klima. Ich gewinne den Eindruck, dass für viele Menschen Religion nicht in eine aufgeklärte Gesellschaft passt.
Professor Heiner Bielefeld ist Theologe, Philosoph und Historiker. Seit 2009 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Friedrich-Alexander-Universität-Erlangen-Nürnberg. Seit 2010 arbeitet Bielefeldt ehrenamtlich als Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats.
(Das Interview führte Jobst Rüthers, Chefredakteur des Missionsmagazins kontinente)