Vor 40 Jahren: Olympische Winterspiele in Sarajevo
8. Februar 2024Es herrschte Volksfeststimmung an diesem Mittwoch, den 8. Februar 1984, in Sarajevo. Monatelang hatte man sich mit großem Eifer auf diesen Tag vorbereitet, überall in der Stadt wurde gebaut, aufgeräumt und geputzt. Und nun war es so weit: 60.000 Zuschauer im Stadion Kosevo und Millionen vor den Fernsehern im ganzen Land verfolgten begeistert die Eröffnungszeremonie der XIV. Olympischen Winterspiele. Sarajevo, die Hauptstadt der damaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowina, stand im Rampenlicht und auf der sportlichen Weltbühne.
Überall im damaligen Jugoslawien herrschte Euphorie. Auch heute noch, vierzig Jahre danach, erinnern sich diejenigen, die damals dabei waren, an die besondere Atmosphäre in der Stadt. "Ich denke, Sarajevo war damals das Zentrum der Welt. Wir haben uns alle gefreut, wir waren alle begeistert, es war wunderschön. Die ganze Welt damals in Sarajevo zu sehen, das ist eines der sehr schönen Ereignisse, an das wir uns alle erinnern", erzählt eine Bewohnerin der Stadt.
"Und dann fing es an zu schneien"
"Wir waren alle sehr froh und sehr erleichtert, als die Spiele begannen", erinnert sich Zdravko Lipovac, ein bekannter Sportreporter aus Sarajevo, der damals von den Spielen berichtete. "In den Tagen davor waren wir sehr besorgt, weil es keinen Schnee gab. Zu dieser Jahreszeit gibt es sonst immer Schnee in Sarajevo und in der umliegenden Bergen, nur dieses Jahr: nichts. Und dann, in der Nacht vor dem Beginn der Spiele, fing es an zu schneien, ein Meter Schnee ist gefallen. Das war optimal", berichtet Lipovac.
Am nächsten Morgen zeigte sich dann, was diese Spiele für die Bewohner der Stadt bedeuteten, wie sehr sie sich mit ihnen identifizierten: Schon früh kamen die Menschen überall aus ihren Häusern und begannen, den Schnee von den Straßen und Bürgersteigen zu räumen. Alles sollte zugänglich und schön sein für die Gäste aus aller Welt, sie sollten sich in der Stadt wohl und willkommen fühlen. Gastfreundschaft wurde und wird in Sarajevo traditionell sehr hochgehalten.
Ein Ort der internationalen Begegnung
Diese Olympischen Winterspiele waren aber nicht nur für Sarajevo wichtig, sondern für das ganze damalige Jugoslawien. Sie fanden vier Jahre nach dem Tod des Staatspräsidenten und Chefs der herrschenden Kommunistischen Partei, Josip Broz Tito, statt. Er hatte im Zweiten Weltkrieg als Partisanenführer gegen die Nazis und ihre Helfer gekämpft und nach dem Krieg das sozialistische Jugoslawien gegründet. 1981 hatte es die ersten großen Demonstrationen der Studenten in Kosovo gegeben. Sie forderten mehr Selbstständigkeit für die damalige serbische Provinz - für viele eine Blaupause für den späteren Krieg.
Titos Nachfolger wollten die Einigkeit des Landes demonstrieren und beschwören und gleichzeitig ihre eigene Fähigkeit unter Beweis stellen, in die Fußstapfen des großen Präsidenten zu treten. Also scheuten sie keine Mühe, weder organisatorisch noch finanziell, um das sportliche Großereignis vorbildlich durchzuführen.
Aber auch international fanden die Spiele in Sarajevo große Beachtung. Vier Jahre davor hatten die USA und die meisten westlichen Staaten die Olympischen Sommerspiele in Moskau wegen des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan boykottiert. Daraufhin hatten die Sowjetunion und die Ostblockstaaten angekündigt, den Sommerspielen 1984 in Los Angeles ebenfalls fern zu bleiben.
Jugoslawien als blockfreier Staat war zu dieser Zeit der einzige Ort, wo sich der Westen und der Osten in sportlichen Wettkämpfen begegnen konnten. So war Sarajevo für zwölf Tage, ganz im Sinne der olympischen Maxime, der Ort des sportlichen Wettbewerbs, der internationaler Begegnungen und der Freude.
Und als der Slowene Jure Franko die Silbermedaille im Riesenslalom gewann - die einzige Medaille überhaupt für Jugoslawien - kannte die Begeisterung keine Grenzen. "Ich war dabei, als es für Jure Franko in der Stadt einen Empfang gab. Das ist etwas, woran man sich immer erinnert", sagt ein Bewohner Sarajevos, der damals noch ein Junge war.
Der Krieg verschlang alles
Einige Jahre später war von dieser Begeisterung und Freude nichts mehr zu spüren. Im damaligen Jugoslawien herrschte ein brutaler Krieg (1991 – 1999). Nach dem Fall des Kommunismus brach Jugoslawien auseinander. Nationalisten verschiedener Couleur zerstörten und zerstückelten das Land, und die Armee der bosnischen Serben umzingelte und belagerte Sarajevo.
Von den Bergen, wo man für die Winterspiele zahlreiche Sportstätten und Hotels gebaut hatte, beschossen serbische Einheiten die im Tal liegende Stadt. "Leider wurde alles zerstört. Auf dem Berg Trebevic zerstörten sie die Bobbahn, das war die teuerste Sportstätte überhaupt. Und auch die große Sporthalle Zetra in der Stadt, die eigens für die Eishockey- und Eiskunstlauf-Wettbewerbe der Olympischen Spiele gebaut worden war, wurde getroffen und verschwand in den Flammen", erinnert sich der Sportjournalist Lipovac. "Dort hatte die damalige DDR-Eiskunstläuferin Katarina Witt die Goldmedaille gewonnen und dort begann ihre Weltkarriere."
Am schlimmsten wurde Sarajevo vom Berg Trebevic aus beschossen. "Von dort hatten sie die Stadt wie auf dem Präsentierteller", sagt der frühere Reporter. Auch seine Wohnung, die im ehemaligen Olympiadorf im Stadtteil Dobrinja lag, wurde durch eine Granate getroffen und verwüstet.
Neue Hoffnung
Nach dem Krieg gab es für Sarajevo und ganz Bosnien und Herzegowina - inzwischen einer der unabhängigen Nachfolgestaaten Jugoslawiens - zunächst andere Prioritäten als den Wiederaufbau der zerstörten Wintersportinfrastruktur.
Aber mit der Zeit besann man sich auf die hervorragenden Bedingungen für den Wintersport rund um Sarajevo: Die Seilbahn nach Trebevic wurde wieder instand gesetzt, es wurden Skipisten und einige Skilifte wieder eröffnet, neue Hotels gebaut und sogar eine Schlittenpiste gibt es wieder. Auch die Eissporthalle Zetra wurde mit internationaler Finanzhilfe wieder aufgebaut.
Heute, vier Jahrzehnte nach den Olympischen Winterspielen, erinnert man sich im wirtschaftlich schwachen und politisch geteilten Bosnien und Herzegowina mit Sehnsucht und Nostalgie an die Zeiten von damals, als eine ganze Stadt zusammenstand, den Schnee räumte und mit Freude die Gäste aus aller Welt beherbergte. Viele Bosnier sagen, das seien die letzten glückliche Tage im damaligen Jugoslawien gewesen. Und in der Stadt erinnert bis heute die Olympiastraße an die Winterspiele von Sarajevo 1984.