"Ein guter Tag für das Europa-Parlament"
28. Oktober 2004"Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass es, wenn wir jetzt abstimmen würden, ein negatives Ergebnis für die europäischen Institutionen geben würde. Deshalb habe ich mich entschlossen, ihnen heute keinen Vorschlag für eine Kommission vorzulegen." Mit diesen Worten begründete José Manuel Barroso die Rücknahme seines Vorschlags zur Besetzung der EU-Kommission.
Nach der teilweisen turbulenten Plenarsitzung betonte Barroso in einer Pressekonferenz, er wolle sich jetzt an die Staats- und Regierungschefs wenden. Die haben nämlich nach den Regeln der EU das Recht, die Kandidaten für die Kommission zu benennen. Ob der umstrittene italienische Kommissar Rocco Buttiglione abgezogen wird oder auch andere Kommissare, die ebenfalls kritisiert worden waren, ausgetauscht werden, darauf wollte sich Barroso nicht festlegen. Er werde so wenig wie möglich, aber soviel wie nötig verändern, bis die Zustimmung des Parlaments sichergestellt sei, sagte er.
Normalität statt Krise
Am Freitag (29.10.) nimmt Barroso an der Unterzeichnung der EU-Verfassung in Rom teil, wo er Gelegenheit hat, mit den versammelten Staats- und Regierungschef zu sprechen. Einen formellen Krisengipfel solle es in Rom nicht geben, gab die niederländische Ratspräsidentschaft bekannt.
José Manuel Barroso und Parlamentspräsident Josep Borrell betonten, es handele sich bei diesem bislang einmaligen Machtkampf zwischen designierter Kommission und Parlament um einen normalen Vorgang in einer Demokratie, nicht um eine Krise. Seinen eigenen Rücktritt schloss Barroso aus: "Ich sehe meine Autorität nicht geschwächt, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Ich sehe sie gestärkt. Das war die Botschaft aller großen politischen Kräfte im Parlament."
Prodi-Kommission weiter im Amt
So schnell wie möglich will Barroso einen zweiten Anlauf nehmen. Man stehe aber nicht unter Zeitdruck, sagte er. Die alte EU-Kommission unter Romano Prodi bleibt über den 1. November hinaus treuhänderisch im Amt.
Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und einige extreme Rechte hatten sich in Probeabstimmungen am Abend zuvor gegen Barrosos Kommission ausgesprochen, nur die Konservativen stützten ihn. Der Vorsitzende der Sozialisten, Martin Schulz, sagte, Barroso hätte nicht stur bleiben und früher auf die Bedenken des Parlaments eingehen sollen. "Das hätte man alles früher haben können. Ich habe ihm das sehr früh schon vorgeschlagen, aber ich glaube, er hat im richtigen Augenblick, die richtige Entscheidung jetzt getroffen. Ganz klar hat er sie unter dem Druck der Parlamentarier getroffen. Als Parlamentarier will ich sagen: Ein guter Tag für das Europa-Parlament."
Machtbeweis des Parlaments
Der Chef der konservativen Fraktion, Hans-Gert Pöttering, hatte seinen Parteifreund Barroso bis zum Schluss verteidigt. Er forderte die Staats- und Regierungschefs auf, den Kommissionspräsidenten jetzt zu unterstützen und geeignetes, kompetentes Personal zu benennen. Es sei zwar eine Niederlage für Barroso, aber ein Gewinn für Europa. "Dieses ist sicher ein sehr bedeutender Tag für das Europäische Parlament, weil das Europäische Parlament bewiesen hat, dass es Macht hat. Ich wünsche mir, dass die öffentliche Wahrnehmung, die das Europäische Parlament heute bekommt, dass das andauert, auch wenn es in Zukunft weniger dramatisch ist."
Günter Verheugen, der in der neuen Barroso-Kommission unumstritten war und das Ressort Industriepolitik übernehmen sollte, bleibt jetzt erst einmal auf seinem alten Posten als Erweiterungskommissar. "Ich kann darüber noch nicht einmal besonders unglücklich sein, weil ich ja ein Anhänger bin eines parlamentarischen Systems innerhalb der europäischen Union", sagte er. "Ich habe immer vertreten, dass die Kommissare aus dem Parlament hervorgehen sollten und nicht wie jetzt durch Nominierungen durch die Mitgliedsstaaten."
Verheugen setzt auf breite Unterstützung
Ihm sei, so Verheugen, an einer breiten Unterstützung durch das Parlament gelegen. Als Sozialdemokrat hätte er sich nur ungern mit den Stimmen von Euroskeptikern oder Rechtsradikalen ins Amt heben lassen, wenn es doch zu einer Abstimmung gekommen wäre.