Ein Integrationsministerium für Deutschland?
9. Oktober 2013"Wenn man jemandem, dessen Familie seit drei Generationen in Deutschland lebt, sagt: Nun integrieren Sie sich mal schön, dann ist das eine glatte Beleidigung", sagt der Berliner Migrationsforscher Klaus Bade. Spätestens seit in den 50er Jahren Gastarbeiter aus Italien, Spanien oder der Türkei hierher kamen und blieben, ist Deutschland ein Einwanderungsland. Etwa jeder fünfte Deutsche hat einen Migrationshintergrund. Und trotzdem: dem Begriff Integration haftet etwas Negatives an. Integration, das klingt nach Problemen, nach nicht zu lösenden Widersprüchen, nach einem "Ja, aber".
Der schlechte Ruf hängt möglicherweise damit zusammen, dass die Integrationspolitik vor allem beim Bundesinnenministerium angesiedelt ist. Dort kümmert man sich eigentlich um Sicherheits- und Ordnungsbelange, um die Bekämpfung von linken, rechten und islamistischen Gefahren. Es geht ihnen weniger darum, Menschen mit Migrationshintergrund qualifiziert auszubilden, ihnen gute Jobs zu ermöglichen und sie am sozialen und kulturellen Leben mitwirken zu lassen.
Das muss sich ändern, fordert Klaus Bade. "Integrationspolitik ist heute nicht mehr Sozialtherapie für Menschen mit Migrationshintergrund, sondern teilhabeorientierte Gesellschaftspolitik für alle", sagt er. In einem offenen Brief ruft er gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern des Rates für Migration die künftige Bundesregierung zu einem Neuanfang in der Integrationspolitik auf.
Kompetenz-Wirrwarr in der Integrationspolitik
Oberste Priorität hat bei ihnen eine Reform der zuständigen Behörden. Allen voran fordern sie ein eigenes Ministerium für Integration, ressortübergreifend zuständig für Bevölkerung, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Denn in Deutschland herrsche "Kompetenz-Wirrwarr" in Integrationsbelangen. Für Integrationskurse ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig, für Arbeitsmigration das Arbeitsministerium, für Visavergabe der Außenminister. Und dann gibt es noch die Integrationsbeauftragte mit Sitz im Bundeskanzleramt, ein eher symbolischer Posten.
"Die Bemühungen reichen längst nicht mehr aus", sagt auch Mehmet Tanriverdi, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände. Mit den bisherigen Institutionen und Gesetzen könne man dem demografischen Wandel und dem Auftrag einer modernen Einwanderergesellschaft nicht gerecht werden.
Auf Länderebene bereits Integrationsministerien
Neu ist die Idee eines eigenen Integrationsministeriums nicht. Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer setzt sich schon lange dafür ein. Doch bei den Koalitionsverhandlungen 2009 zwischen CDU/CSU und FDP hieß es Nein zu diesem Wunsch. Vor allem die FDP stellte sich quer, vermuten Migrantenverbände. Bei der Bundestagswahl im September 2013 erhielt die Partei nicht mehr genug Stimmen und wird deshalb nicht mehr Teil einer neuen Regierung sein. Gute Chancen sieht Tanriverdi daher für ein eigenes Integrationsministerium, da SPD und Grüne die Idee unterstützten.
Mehrere Bundesländer machen bereits vor, dass Integration nichts mit angstbesetzter Abwehrpolitik zu tun haben muss. Baden-Württemberg hat ein eigenes Integrationsministerium. In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz gibt es Querschnittsministerien, die sich auch um Integration kümmern. So etwas wäre auf Bundesebene ebenfalls denkbar.
Ein Ministerium löst noch keine Probleme
Ein Bundesintegrationsminister könne ein wichtiges Signal sein - und er müsse nicht zwangsweise einen Migrationshintergrund haben, sagt Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. "Wichtig ist, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit, insbesondere in der Mehrheitsgesellschaft, besser kommuniziert wird." Ginge es nach seinem Verband, hieße eine solche Behörde "Ministerium für Partizipation und Migration". Kolat würde den Begriff Integration gleich mit reformieren und stattdessen das Wort Partizipation verwenden, das die gesellschaftliche Teilhabe in allen Bereichen bezeichnet. Das sei viel treffender als das problembehaftete Wort Integration.
Damit Integration vom Problemthema zum Chancenthema wird, braucht es jedoch mehr als Reformen auf politischer Ebene. "Man soll sich keine Illusionen machen. Mit neuen Institutionen schafft man nicht gleich neue Politik", sagt Migrationsforscher Klaus Bade. Es gehe um ein anderes Klima, um eine Willkommenskultur, darum, dass alle Menschen gleichermaßen dieses Land mitgestalten könnten. Bade nennt es knapp "mehr Realitätsbezug". Also weder Multikultiromantik noch Schönwetterreden, sondern eine Reform in den Köpfen der Politiker.
Denn eines ist klar: Deutschland braucht Zuwanderer und ausländische Fachkräfte, wenn es den demografischen Wandel in den Griff kriegen will. Schon jetzt werden fleißig Pflegekräfte und Ingenieure aus den Euro-Krisenländern angeworben. Anders als ihre Großväter kommen diese jedoch mit Diplomen und einem globalen Selbstverständnis in der Tasche. Ob sie gerne bleiben? Das wird auch vom Imagewandel der Integrationspolitik abhängen.