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Glaube

Ein Investment in die Zukunft

22. April 2023

Am 22. April wird weltweit der „Earth Day“ begangen. Er stellt die Frage an alle: Wie wollen wir morgen leben?

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Mond Erde
Bild: YAY Images/imago images

Ich erinnere mich noch an die Mitte der 90er Jahre. Wer ein Handy hatte und damit auf der Straße telefonierte, der wurde beargwöhnt oder es wurde über ihn gelästert. Wenn mir, dem Studenten, damals eine Prophetin oder ein Prophet gesagt hätte, dass ich schon Ende der 90er selbst ein Handy kaufen würde; und dass ich ab etwa 2010 alle zwei Jahre einen neuen kleinen Computer in der Hosentasche mit mir herumtragen würde, für den ich jedes Mal gerne zurückgerechnet weit über 2.000 Deutsche Mark hinblättern würde: Ich hätte mir wohl an die Stirn getippt. Zumal, wenn der Prophet oder die Prophetin geweissagt hätte, dass dieses Gerät nicht nur die Telefonzelle, sondern auch das Festnetz-Telefon ersetzen wird, ebenso die Stereoanlage, den Fotoapparat und das Fotoalbum, die ausgedruckte Tageszeitung, zu einem guten Teil auch den Fernseher und das Radio, den Autoatlas, den Fahrkartenschalter, das Wörterbuch im Urlaub und die Wettervorhersage. Die meisten, die die 90er erlebt haben, haben eine echte Revolution miterlebt, von der sie nichts geahnt hatten. Das Smartphone hat unser Leben verändert. Aber das Handy ist auch hungrig: Auf Strom. Unser modernes Leben von 2023 benötigt viel Energie für all die Smartphones, die Server, Funkmasten, die Daten, die pausenlos fließen. Und dieser Strom könnte heute sauberer sein.

 

Verzicht – nein danke!

Wenn mir in den 90ern eine Prophetin oder ein Prophet gesagt hätte, dass ich 25 Jahre später statt eines 50-PS-Autos, wie sie damals völlig normal waren, einen Diesel mit 4- oder 5-mal mehr Leistung fahren würde - es wäre mir absurd vorgekommen. Aber bis vor kurzem war das normal. Der technische Fortschritt im Autobau ist mehr in Leistung, Komfort, Geschwindigkeit geflossen - nicht in eine Verbrauchsreduktion. Die wenigen Modelle, die nur um die 3 Liter Sprit brauchten, sind alle gefloppt. Nur wenige Käuferinnen und Käufer haben da zugegriffen. Auf Verzicht hatten wir fast alle keinen Bock. Auch wenn immer die eine oder die andere prophetische Stimme leise gemahnt hatte.

 

Die Revolution einpreisen

Heute, in den 2020er Jahren, sehen wir anders in die Zukunft. Die technischen Revolutionen, die wir erlebt und auch genossen haben, haben dem Planeten sehr geschadet. Das Klima spielt verrückt, weil der Ausstoß an Treibhausgasen gerade seit den 1990er Jahren extrem angestiegen ist. Das haben wir vergleichsweise wenigen Leute aus den reicheren Ländern verursacht, nicht die Milliarden armen Menschen im globalen Süden. Unser Wohlstand hat für die Klimakrise gesorgt. Ganze Industrieanlagen, die jahrelange Kohleverstromung, aber eben auch zu einem kleinen Teil jedes Handy und alle unsere Autos. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Emissionen wieder sinken. Die 2050er Jahre sind so weit entfernt wie die 1990er: Werden wir es schaffen, unser Leben auf der Erde noch einmal so radikal zu ändern, wie in den vergangenen Jahrzehnten, nur jetzt in einer anderen Richtung? Werden wir es schaffen, vom Verbrennen von Kohlenstoff in umweltfreundlichere Technologien umzusteigen? Der Earth Day 2023 hat das Motto „Invest In Our Planet“. Es ist klar: Der Umstieg wird etwas kosten. Es ist ein Investment. Aber diesmal passiert die Revolution nicht nebenbei, von vielen nicht als Revolution wahrgenommen und erst im Rückblick als großer Umbruch erkannt. Wir wissen, dass etwas auf uns zukommt und können das in unser Handeln einpreisen.

 

„Umkehr“ heißt Umsteuern

Eine der prophetischen Stimmen der Gegenwart ist die Umweltaktivistin Greta Thunberg. Sie soll im Juni 2023 in Helsinki die Ehrendoktorwürde der Theologie verliehen bekommen. Der Vorsitzende des Promotionsausschusses seiner theologischen Fakultät Martii Nissinen sagt dazu in der ZEIT: „Sie symbolisiert sicher nicht nur die Klimasorge. Sie zeigt auch den Weg. Sie steht für die Überwindung der Emotion hin zu einem Programm, wie die Dinge besser gehen könnten. Darin liegt für mich der prophetische Aspekt: Die Propheten sagen, was eigentlich getan werden müsste.“ Prophetinnen und Propheten haben immer polarisiert. Und auch Greta Thunberg hat nicht nur Fans. Aber in ihrer Sache für die Rettung des Klimas und in der Klarheit und Sachlichkeit in der sie sie vertritt, ist sie trotz ihres jungen Alters eine Stimme geworden, an deren Zukunftsforderungen vorbei, schwer Politik zu machen ist.

„Umkehr“ und „Bewahrung der Schöpfung“ liegen doch in der christlichen DNA. Und auch die Kraft zur Vergebung: Wir haben als Gesellschaft - zumindest ein großer Teil - unsere Fehler der letzten 30 Jahre erkannt, wir können auch als Gesellschaft umsteuern - und jede und jeder, wie es möglich ist - aber diesmal mit dem Ziel vor Augen: Wir können auch sinnvoll in die Zukunft investieren.

Greta Thunberg übrigens wird ihren Ehrendoktortitel nicht persönlich in Helsinki abholen. Auch sie investiert in ihre Zukunft und schreibt just zum Zeitpunkt der Verleihung ihr Abitur.

 

DIE ZEIT, 31.3.2023 „Greta ist eine Ikone“
https://www.zeit.de/sinn/2023-03/martti-nissinen-theologie-greta-thunberg-propheten-klimakrise

 

Earth Day 2023
https://www.earthday.org/earth-day-2023/

Björn Raddatz hat nach dem Studium der Evangelischen Theologie und dem Vikariat als Journalist und Moderator für verschiedene Sender gearbeitet und ist inzwischen Internet-Redakteur beim ZDF.