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Nach bin Laden - Zweifel an Pakistan

3. Mai 2011

Was für ein Spiel spielt Pakistan? Militär und Geheimdienst gelten als sehr professionell. Ist es wirklich vorstellbar, dass der gesamte Sicherheitsapparat nichts von der Anwesenheit bin Ladens in Abbottabad wusste?

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Flagge Pakistans (Grafik: DW)

Für John Brennan, den Anti-Terror-Berater von US-Präsident Barack Obama, ist es "einfach unvorstellbar, dass Osama bin Laden ohne Unterstützung für einen so langen Zeitraum im Land sein konnte." Er werde aber nicht darüber spekulieren, "was für eine Art Netzwerk ihm geholfen hat und ob Offizielle mitgemacht haben". Die USA seien im engen Kontakt mit den Behörden in Pakistan, man werde alle Spuren verfolgen. So sollte es wohl sein. Pakistan hat sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf die Seite des Westens gestellt und dafür militärische und finanzielle Hilfe in Milliardenhöhe erhalten.

Individuelle Festung hinter hohen Mauern

Es erscheint tatsächlich unvorstellbar, dass sich über all die Jahre niemand für den Bau des gewaltigen Anwesens in Abbottabad interessiert hat, zumal Abbottabad nicht irgendeine Stadt ist. Sie liegt nur knapp zwei Autostunden nördlich der Hauptstadt Islamabad und ist fest in militärischer Hand. Abbottabat beherbergt die Militärakademie des Landes, außerdem sind hier zwei Infanterie-Regimenter stationiert.

Das Grundstück, auf dem sich Al Kaida-Chef bin Laden versteckt hielt, bis er von einer US-Spezialeinheit dort getötet wurde, ist umgeben von Häusern, in denen wichtige Militärs leben. Entsprechend engmaschig sind die Sicherheitskontrollen in der Gegend. Der gesamte bin Laden-Komplex ist um ein Vielfaches größer als alle anderen Grundstücke der Nachbarschaft. Das Anwesen ist zudem sehr individuell gestaltet und wie eine Festung ausgebaut. Die Gebäude sind von hohen Mauern umgeben, die mit Stacheldraht und Wachtürmen verstärkt sind.

Pakistaniche Zeitung mit Osama bin Laden auf der Titelseite
Zeitungslektüre in PeschawarBild: picture-alliance/dpa

Will man wirklich nicht wissen, wer derart geschützt hinter so hohen Mauern lebt, fragt sich nicht nur der britische Terrorismusexperte Michael Chandler. "So ein Anwesen wächst nicht einfach wie ein Baum aus dem Boden."

Professor Jamal Malik kommt gebürtig aus Peschawar im Nordwesten Pakistans und lehrt Islamwissenschaften an der Universität Erfurt. Er kommt zu einem ganz ähnlichen Schluss. "Wir haben es hier mit einem Staat zu tun, der entweder völlig versagt hat oder der das alles geduldet hat. Es gibt keine andere Alternative als Ignoranz und Unfähigkeit oder das Dulden und sogar Bestärken."

"Er war nicht annähernd dort, wo wir ihn vermutet haben."

Nach pakistanischen und US-amerikanischen Angaben war die Kommandoaktion ein amerikanischer Alleingang, was auch Pakistans Staatspräsident Asif Ali Zardari in einem Gastbeitrag für die "Washington Post" noch einmal betont hat. Darin weist Zardari alle Anschuldigungen zurück, dass sein Land den Anführer des Terrornetzwerks Al Kaida gedeckt habe. Stattdessen nennt der Präsident sein Land "das vielleicht größte Terroropfer der Welt". Pakistan bezahle für seine Haltung im Kampf gegen den Terror einen enormen Preis.

Portraitfoto von Asif Ali Zardari (Foto: AP)
Pakistans Präsident Asif Ali ZardariBild: AP

"Wir haben mehr Soldaten verloren als alle Opfer der NATO zusammengerechnet. Wir haben 2000 Polizisten, mindestens 30.000 Zivilisten und eine ganze Generation an sozialem Fortschritt verloren." Mit Blick auf den getöteten Osama bin Laden fügt Pakistans Staatschef dann einsilbig an: "Er war nicht annähernd dort, wo wir ihn vermutet haben. Aber jetzt ist er ausgeschaltet."

Der britische Terror-Experte Michael Chandler zweifelt an dieser Darstellung. Er war von 2001 bis 2004 der Vorsitzende der Beobachtergruppe, die im Auftrag der Vereinten Nationen die Sanktionen gegen Al Kaida überwachen sollte und hatte in dieser Funktion auch persönliche Kontakte zum pakistanischen Geheimdienst ISI. "Der ISI war die zentrale Schaltstelle, über die die afghanischen Mudschaheddin vom Westen Geld und Waffen für den Kampf gegen die Sowjets bekommen haben. Mein ganz persönlicher Eindruck war auch immer, dass der ISI eine sehr kompetente Organisation ist. Deswegen kann ich mir absolut nicht vorstellen, dass nicht zumindest ein Teil Bescheid wusste. Ich sage nicht, der ISI als Ganzes."

Wer sucht, der muss sich kümmern

Über die Gründe für das Verhalten des ISI kann und will der Terrorexperte nur spekulieren. Er erinnert aber daran, dass der Westen Pakistan nach dem sowjetischen Abzug 1989 mit dem Afghanistan-Problem alleine gelassen hat. Erst nach dem 11. September 2001 seien Pakistan und Afghanistan für den Westen wieder wichtig geworden. Deswegen hätten ein paar Köpfe in Pakistan vielleicht gedacht, dass ihnen Unterstützung und weltpolitische Bedeutung sicher seien, "solange die USA nach bin Laden suchen."

Islamwissenschaftler Jamal Malik gibt ausserdem zu bedenken, dass der große Nachbar Indien im Zentrum aller strategischen und militärischen Überlegungen Pakistans steht. Pakistan will den Westen an seiner Seite, hält aber gleichzeitig Kontakt zu Terrorgruppen wie den afghanischen Taliban, die man als Faustpfand gegen Indien nicht aus der Hand geben will. "Indien spielt immer eine ganz zentrale Rolle als der kulturell andere und als das Monströse. Auch in Indien ist Pakistan das Böse schlechthin. Leider spielt es für beide Staaten noch immer eine große Rolle, das Gegenüber zu dämonisieren und damit die eigene Identität zu festigen und Solidarität nach innen zu schüren."

Das pakistanische Kommunikations-Dilemma

Bis sich die Hauptdarsteller in Pakistan und in den USA mit weiteren Details äußern, bleibt vieles im Bereich der Spekulationen. Es ist davon auszugehen, dass auf beiden Seiten eine Kommunikationsstrategie vereinbart worden ist. Besonders für das pakistanische Militär und den Geheimdienst tut sich dabei aber ein großes Dilemma auf, betont Britta Petersen, die Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Lahore: "Entweder die beiden stehen als Unterstützer von Al Kaida da, oder es entsteht der Eindruck, dass sie schlecht arbeiten." Ins Bild passt, dass in Pakistan die offizielle Kritik am US-Alleingang wächst. Der "unautorisierte Einsatz" dürfe kein "Präzedenzfall" werden. Sie persönlich, sagt Petersen, wäre "aber sehr überrascht, wenn das pakistanische Militär wirklich gar nichts gewusst haben sollte von der Präsenz Osama bin Ladens, und wenn es nicht mit den Amerikanern zusammengearbeitet hätte". Die Südasien-Expertin der Heinrich-Böll-Stiftung fügt an, dass auch in Zukunft ein Anti-Terrorkrieg ohne Beteiligung Pakistans "unmöglich" ist.

Osama bin Laden mit Kalaschnikow in einem Zelt (Foto: AP)
Explosive Weltregion - auch ohne Osama bin LadenBild: AP

Es ist zumindest auffällig, dass es in der fraglichen Nacht zu keinem Luftgefecht und zu keinen Beschwerden kam, obwohl US-Kampfhelikopter angeblich ohne Ankündigung aus Afghanistan in den pakistanischen Luftraum eindrangen, sich rund eine Dreiviertelstunde lang zum Einsatz in Abbottabad aufhielten, um dann wieder Richtung Afghanistan zurückzufliegen. Pakistans Rolle im Anti-Terrorkampf erscheint nicht zum ersten Mal zwielichtig. Unbestritten ist, dass der Westen die islamische Republik im Kampf gegen den Terror braucht.

Pakistans Rolle

Unter US-Präsident Barack Obama hat sich zum Beispiel die Zahl der Angriffe mit unbemannten Drohnen auf Ziele im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet mehr als verdreifacht. Im Gegenzug sind die Anschläge auf NATO-Einheiten im Süden und Osten Afghanistans zurückgegangen. Der Einsatz von Drohnen entlang der gemeinsamen Grenze wäre ohne die Zustimmung Pakistans nicht möglich. Der britische Terrorexperte Michael Chandler bringt es so auf den Punkt: "Wenn die USA clever sind, werden sie weiter mit Pakistan zusammenarbeiten, auch wenn diese Partnerschaft sehr fragwürdige Momente produziert. Das Verhältnis zu Pakistan ist zu wichtig für die Entwicklung in Afghanistan."

Ein stabiles Afghanistan ist ohne ein stabiles Nachbarland Pakistan nicht möglich. Wenn der Westen aus Afghanistan abziehen will, muss er eng mit dem Nachbarland zusammenarbeiten. Pakistan hat die afghanischen Taliban miterschaffen. Doch inzwischen hat das Land längst ein eigenes Taliban-Problem. Regierung und Militär kämpfen gegen einen heterogenen islamischen Extremismus, der die Republik vernichten will. Die Atommacht Pakistan ist ein fragiler Vielvölkerstaat mit einer verarmten Bevölkerung, die wieder und wieder von korrupten Regierungen enttäuscht worden ist.

Professor Jamal Malik in Erfurt spricht von einem Land auf dem Weg zum "gescheiterten Staat", in dem "unfähige und desinteressierte Eliten" an der Spitze stehen. Sie seien unfähig, den Staat zu leiten und für die nötige Integration zu sorgen, so Malik weiter. Militär und Geheimdienst stabilisieren das fragile System und agieren wie ein Staat im Staat. Das ist eine gefährliche Mischung in einer explosiven Weltregion - auch ohne Osama bin Laden.

Autorin: Sandra Petersmann
Redaktion: Ursula Kissel