Ein Lied für Lampedusas Menschlichkeit
19. März 2009Giacomo Sferlazzo sitzt im Schneidersitz auf dem Fußboden seines kleinen Tonstudios, das er sich zu Hause selber gebaut hat. Er singt mit geschlossenen Augen. Das Erstaunen, die Wut und die Trauer über das, was am 24. Januar auf seiner Insel passiert ist, sind ihm deutlich anzumerken.
"Ich werde diesen Tag niemals vergessen", sagt Giacomo, und hofft, "dass keiner hier auf Lampedusa diesen Tag jemals vergessen wird. Ich habe an diesem Tag verstanden, wie die Welt funktioniert." Damals wie heute schwanken seine Gefühle zwischen Wut, Angst und Hoffnung.
Belagerungszustand!
Der 24. Januar war ein Samstag. Es war der Tag, an dem die Lampedusani auf der Piazza vor dem Rathaus gegen die Regierung im fernen Rom protestierten, umzingelt von rund 1000 Sicherheitskräften. Zurzeit ist das Verhältnis zwischen Inselbewohnern und Polizisten und Soldaten drei zu eins.
Die massive Präsenz der Sicherheitskräfte auf dem winzigen Eilland wirkt irrsinnig. Giacomo Sferlazzi vergleicht das Leben auf Lampedusa mit dem Leben in einer belagerten Stadt. Manchmal fühlt sich das für ihn so an, als sei man im Krieg.
Giacomo Sferlazzo kämpft gegen die massive Polizeipräsenz auf seiner Insel. Aber er kämpft vor allem für die Rechte der Bootsflüchtlinge, was längst nicht bei allen Lampedusani der Fall ist. Viele protestieren in erster Linie deshalb gegen die Regierung im fernen Rom, weil sie sich ausgenutzt und sträflich vernachlässigt fühlen. Sie haben große Angst, dass der Tourismus einbricht, weil keiner in einem Freiluftgefängnis mit Abschiebezentrum Urlaub machen will. Die entlegene Insel lebt vom Tourismus, seit die lokale Fischindustrie zusammengebrochen ist. Von ursprünglich mal mehr als 20 Kuttern sind nur noch drei im Einsatz.
Der junge Musiker sieht die unterschiedlichen Motive für den anhaltenden Protest auf der Insel pragmatisch: "Lampedusa ist da nicht anders als der Rest der Welt. Die einen kämpfen für das Geld, die anderen für das Leben."
Berlusconi’s Speerspitze
Lampedusa soll die Speerspitze der verschärften Einwanderungspolitik der italienischen Regierung werden: deshalb ist die kleine Felsplatte zwischen Tunesien und Sizilien seit der Jahreswende nicht mehr nur ein Auffanglager zur Erstversorgung der ankommenden Boots-Flüchtlinge, sondern ein so genanntes "Zentrum zur Identifikation und Abschiebung". Ganz praktisch heißt das: während die Bootsflüchtlinge bisher nur für wenige Tage auf Lampedusa waren, können sie jetzt bis zu sechs Monate in den beiden Lagern der Insel festgehalten werden, bis ihr legaler Status geklärt ist. Früher wurden sie fast immer nach wenigen Tagen Richtung Sizilien und auf das italienische Festland weiter transportiert. Jetzt bleiben sie auf der Insel und können auch direkt von Lampedusa aus abgeschoben werden. Das Ziel der italienischen Regierung ist klar: die Bootsflüchtlinge sollen das italienische Festland erst gar nicht erreichen. Auf Lampedusa kann keiner untertauchen, der einen Abschiebungsbescheid in der Tasche hat.
Der Tag des Protestes
Im Januar führte das dazu, dass 1800 Menschen im Haupt-Lager eingepfercht waren, das nur für die schnelle Erstversorgung von 800 Menschen gebaut worden ist. Auch heute sind die Zustände hinter den massiven Absperrgittern nach Angaben von Hilfsorganisationen noch immer kritisch, zumal wütende Insassen im Februar einen Teil des Zentrums in Brand gesteckt haben. Inzwischen gibt es zwei lager auf der Insel. Journalisten haben derzeit keinen Zutritt. Gespräche mit den Insassen sind unerwünscht. Alle Anfragen der Deutschen Welle bei den zuständigen Behörden sind bis jetzt unbeantwortet geblieben.
Über all das singt Giacomo Sferlazzo in seinem Lied, das er "24. Januar" genannt hat. Der 28-jährige Vater von zwei kleinen Kindern singt über die unerwartete Begegnung mit den Bootsflüchtlingen auf der Piazza, die sonst im Insel-Alltag komplett unsichtbar sind. Er singt über die gemeinsame Wut auf die italienische Regierung. Und er singt über die gemeinsamen Tränen, als die streikenden Lampedusani die rund 700 ausgebrochenen Flüchtlinge am Abend des 24. Januar zurück ins Lager brachten. Giacomo wünscht ihnen Flügel, damit sie in die Freiheit fliegen können.