Mit Pferdeaugen gesehen
30. August 2013Panisch stürmen sie herein, der schwarze Vollbluthengst Topthorn und das braune Jagdpferd Joey. Der Hengst ist am Bein verletzt, schnaubt, wiehert, bäumt sich auf. Aber als sich ihm der Gefreite Friedrich Müller nähert, beruhigt er sich und lässt sich anfassen. "Ich weiß, was ihr durchmacht", sagt der junge Mann mit sanfter Stimme zu den Tieren, "mein Pferd ist gestern durch Granaten gestorben". "Stop, thank you." ruft Polly Findlay und bittet um eine Wiederholung der Szene. Die junge blonde Frau aus London ist die Regisseurin des Stücks "War Horse - Gefährten", das sie jetzt mit deutschen Schauspielern und großen Pferdepuppen in Berlin probt. Premiere ist im Oktober.
Ein Appell für Frieden und Versöhnung
"War Horse" entstand 1982 nach dem gleichnamigen Jugendroman des britischen Autors Micheal Morpurgo. Darin erzählt er den Ersten Weltkrieg aus Sicht des Pferdes Joey. Joey ist ein schönes Jagdpferd, das aus England für den Kriegsdienst rekrutiert wird und dabei mehrfach die Fronten wechselt. Inspiriert hatte den Autor ein Gemälde, auf dem britische Kriegspferde zu sehen sind, die sich bei einem Kavallerieangriff auf eine deutsche Stellung im Stacheldraht verfangen hatten. 2007 kommt Michael Morpurgos Jugendroman auf die Bühne des Londoner National Theatre - die Pferdepuppen dazu stammen aus Südafrika, wie auch die Figuren, mit denen jetzt in Berlin geprobt wird.
Von Kapstadt nach Berlin
Im Februar 2013 stehen in den Räumen der "Handspring Puppet Company" im südafrikanischen Kapstadt große Holzkisten bereit. Darin sollen neun überlebensgroße Pferdepuppen nach Berlin transportiert werden. Die Puppenbauer legen letzte Hand an: Einer hobelt und pinselt an einem Pferdekopf, ein anderer bohrt und biegt die Rippen eines anderen Tieres zusammen.
Die Pferdepuppen hat Adrian Kohler entworfen, neben Basil Jones der Mitbegründer der legendären "Handspring Puppet Company", die 1981 in Kapstadt eine ganz ungewöhnliche Form des Puppentheaters entwickelte. Mit ihren Stücken "Wozzek on the Highveld" oder "Ubu and the Truth comission" gelangten sie zu Weltruhm, für die lebensechten Pferdefiguren in "War Horse" wurden sie mit Preisen überhäuft.
Man versteht ihre Sprache
Sie bestehen aus Bambusrohr, Aluminium, Stoff und Papier und sind äußerst beweglich. Wenn sie sich laufen, schnauben oder atmen wirken sie fast wie echte Pferde. Je drei Schauspieler führen ein Pferd: zwei tragen den Körper auf ihren Schultern und sind für die Gangarten verantwortlich, ein dritter führt die Kopfbewegungen des Tieres mit einem Stab aus. Alle Bewegungen müssen genau koordiniert werden, damit das Pferd glaubwürdig ist. "Ein Bühnenstück über ein Pferd zu machen, hat vielleicht etwas von Walt Disney", sagt Adrian Kohler. "Man könnte einwenden: Das Pferd ist doch kein Mensch beziehungsweise das Pferd wird zu sehr vermenschlicht. Und genau das ist die Herausforderung bei diesem Stück: Das Pferd so rüberzubringen, dass auch ohne Sprache klar wird, was es macht, möchte und fühlt."
Das versucht Mervin Millar. Der Puppenspiel-Spezialist ist künstlerischer Leiter der britischen "Handspring"-Dependance und hat auch schon das Team des National Theatre trainiert. Nun übt er mit den Schauspielern in Berlin. Er kenne kein anderes Theaterstück, in dem ein Tier im Zentrum stehe, das sich auch wie ein Tier verhalte, sagt Mervin Millar. Aus dessen unparteiischen Sicht den Krieg zu zeigen, findet der Brite genial und berührend.
Acht Millionen Pferde starben im Ersten Weltkrieg
Pferde spielten im Ersten Weltkrieg eine große Rolle. Sie wurden in der Kavallerie als Zug- beziehungsweise Reittiere sowie für Transporte eingesetzt. Die britische Armee zum Beispiel mobilisierte damals knapp 460.000 Pferde aus Privatbesitz - das waren 17 Prozent des britischen Pferdebestandes. Insgesamt wurden von 1914 bis 1918 sechzehn Millionen Pferde eingesetzt - die Hälfte der Tiere starb im Verlauf des Krieges durch Gewehrkugeln, Granaten, Giftgas oder durch Entkräftung.
Seit das Pferd domestiziert ist, wird es auch im Krieg eingesetzt, sagt Stefan Bresky, Museumspädagoge am Deutschen Historischen Museum in Berlin. Das Haus ist Kooperationspartner der Inszenierung "Gefährten" und zeigt, parallel zur Premiere des Stückes am 20. Oktober, im Berliner "Theater des Westens" dann die Ausstellung: "Pferde und Krieg". Für das Museum ein unkonventioneller Zugang zum großen Themenkomplex "Erster Weltkrieg", an den im kommenden Jahr überall erinnert werden wird.