Ein Sechstel der Menschheit wird nicht satt
28. Juli 2009Kapitalströme versiegen
Gerade in Afrika und Lateinamerika leben viele Länder vom Rohstoffexport. Jetzt wird weniger nachgefragt und die Preise fallen. Auch die privaten Kapitalströme geraten ins Stocken. 2007 flossen etwa 900 Milliarden Euro an Direktinvestitionen, Anlagen und Krediten in die Schwellen- und Entwicklungsländer. Nicht mal ein Drittel dieser Summe werde dieses Jahr erreicht, so die Prognose der Weltbank. Parallel dazu wächst der Schuldenberg, weil die Währungen armer Länder abgewertet werden.
Überweisungen der Migranten brechen ein
Diese Entwicklung führt auch dazu, dass Arbeitsmigranten ihre Jobs verlieren. Dadurch können sie nicht mehr die üblichen Summen an ihre Familien zu Hause überweisen. Jahr für Jahr waren es mehr als 300 Milliarden Dollar, die so armen Familien zu Gute kamen. Das ist mehr als doppelt so viel, wie die Industrienationen an Entwicklungshilfe ausgeben. Das träfe viele afrikanische Länder hart, sagt Entwicklungsexperte Peter Wolff. Gestört würden vor allem die innerafrikanischen Migrationsströme. "Die Überweisungen etwa aus Südafrika in Länder des südlichen Afrikas, aus Côte d'Ivoire nach Togo haben deutlich abgenommen und das wirkt sich sehr schnell auf die soziale Situation in den Herkunftsländern der Migranten aus", sagt Wolff.
Die größten Migrationsströme aber werden in Süd- und Süostasien verzeichnet. Für die Philippinen machen solche Rücküberweisungen zehn Prozent des Bruttosozialprodukts aus. Die Überweisungen tadschikischer Wanderarbeiter bildeten den Wachstumsmotor schlechthin für das zentralasiatische Land.
Arbeitslosigkeit steigt
All diese Faktoren führen zu einem Wachstumseinbruch in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Wirtschaft werde dort nur um 1,2 Prozent in diesem Jahr wachsen, so die neueste Prognose der Weltbank. Auch dieses schwache Wachstum wird nur von einigen wenigen Ländern getragen. Ohne China und Indien würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Entwicklungsländern sogar um 1,6 Prozent schrumpfen. Höhere Arbeitslosigkeit wird eine der Folgen sein. Die Internationale Arbeitsorganisation rechnet damit, dass bis Ende 2009 rund 50 Millionen Menschen ihre Arbeit verlieren werden. In Ländern ohne soziale Absicherung rutschen Arbeitslose oft nahtlos in die Armut.
Über eine Milliarden Menschen hungern
Die traurige Konsequenz dieser Entwicklung: erstmals hungern weltweit über eine Milliarde Menschen. Allein in Asien leiden mehr als 400 Millionen Hunger. Afrika südlich der Sahara zählt über 260 Millionen Hungernde und hat mit einer Armutsrate von knapp 50 Prozent den höchsten Anteil der extrem Armen an der Gesamtbevölkerung. Lateinamerika rangiert an dritter Stelle mit 53 Millionen.
Millenniumsziele nicht mehr erreichbar
Die von allen UN-Mitgliedsstaaten festgelegten Millenniumsziele, die unter anderem eine Halbierung der absoluten Armut bis 2015 vorsehen, sind angesichts der derzeitigen Wirtschaftslage in weite Ferne gerückt. Das gibt auch Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, unumwunden zu: "Das Ziel wird nicht mehr erreichbar sein, das ist so, das kann man auch ganz deutlich sagen. Was übrigens auch daran liegt, dass wir ja immer noch eine ständig wachsende Bevölkerung haben."
Bärbel Dieckmann appelliert an die Industriestaaten, wenigstens ein Prozent aus ihren milliardenschweren Stimulusprogrammen für Entwicklungshilfe auszugeben. Ähnliches hat auch Weltbank-Präsident Robert Zoellick gefordert.
Weniger Entwicklungshilfe
An Lippenbekenntnissen fehlt es nicht: 2005 hatten die 15 wohlhabendsten Länder der EU beschlossen, bis nächstes Jahr 0,51 Prozent ihres Bruttosozialprodukts an Entwicklungshilfe zu zahlen. Bis 2015 soll es sogar 0,7 Prozent sein. Niederlande und Schweden sind die einzigen Länder, die bereits mehr leisten. Frankreich und Italien haben diese Ziele offiziell aufgegeben. Auch andere Länder sind dabei, die Mittel für Entwicklungshilfe zusammenzustreichen.
Wenn in den reichen Ländern die Hilfsbereitschaft sinkt, was können die Armen dann von den multilateralen Institutionen erwarten? Mehr Geld zum Verteilen haben sie auf jeden Fall. So hat der G20-Gipfel im April in Washington beschlossen, dass die IWF-Ressourcen zur Kreditvergabe mittelfristig auf 750 Milliarden Dollar verdreifacht werden sollen. Davon würden aber nicht die armen Länder profitieren, sondern Schwellenländer und Länder mit mittlerem Einkommen, sagt Peter Wolff vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, denn nur sie seien in der Lage, die Zinsen dafür zu bezahlen: "Es ist leider so, dass für die ärmsten Länder sowohl vom IWF als auch von der Weltbank keine Mittel zur Verfügung stehen. Denn Weltbank und IWF können diese Mittel auch nicht selbst produzieren, sie können nur die Mittel vom Kapitalmarkt holen", so Wolff weiter.
Die Lage der Armen verschlechtert sich und eine Wende ist nicht in Sicht. Das größte Hindernis bei der Armutsbekämpfung dürfte das geringere Wirtschaftswachstum sein, das für die nächsten Jahre zu erwarten ist, sowohl in Industrienationen als auch in Entwicklungsländern.
Droht eine Katastrophe für die Ärmsten?
Ist eine Katastrophe für die Ärmsten der Erde unvermeidbar? So pessimistisch möchte Peter Wolff nicht sein. Er sieht auch positive Zeichen und lobt ausdrücklich große Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien: "Die großen Länder, die auch erhebliche Spielräume haben, in denen es eine große Zahl von Armen gibt, haben rasch reagiert. Und soweit wir das heute beurteilen können, hat das auch positive Auswirkungen gehabt." Es gebe noch eine ganze Reihe von anderen Entwicklungsländern, Tansania, Ghana beispielsweise, die durchaus auch Spielräume hätten, um ihre Sozial- und Ernährungsprogramme zu verstärken, sagt der Experte weiter.
Hilfe zur Selbsthilfe
Sein Appell also an die Entwicklungsländer: mehr auf eigene Kraft setzen. Klar ist aber auch, dass die ärmsten Länder die Krise nicht ganz ohne Hilfe stemmen können. Auf die Entwicklungshilfe sind sie angewiesen. Trotz rückläufiger Tendenz gibt es aber auch eine Reihe großer Geberländer, die bisher ihre Zusagen an Entwicklungshilfe eingehalten haben. Dazu gehört Deutschland. Dann sind noch die vielen Hilfsorganisationen, die einerseits Nothilfe leisten, andererseits durch konkrete Projekte versuchen, die Situation der Armen dauerhaft zu verbessern, zum Beispiel die 15 Millenniumsdörfer der Welthungerhilfe. Bärbel Dieckmann erzählt, dass dabei nicht nur die landwirtschaftliche Entwicklung im Mittelpunkt stehe, sondern es würde versucht, mehrere Ansätze zu fahren, bessere Ausbildung, Frauenbildung, Gesundheitsfürsorge usw. "Bisher haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Wirkung weit über diese Dörfer hinaus geht", sagt Bärbel Dieckmann.
Die Welthungerhilfe will nun untersuchen, ob dieser Ansatz, mehrere Ursachen der Armut gleichzeitig anzugehen, der bessere Weg der Armutsbekämpfung ist.
Autorin: Zhang Danhong
Redaktion: Julia Bernstorf