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Europatag in Brüssel

Sabrina Pabst9. Mai 2013

Hohe Arbeitslosigkeit, unsichere Renten, ungewisse Zukunft: Die Wirtschafts- und Finanzkrise erschüttert die EU. Bleibt deshalb der europäische Gedanke auf der Strecke? Ein Praxistest auf dem Europa-Fest in Brüssel.

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Menschen warten vor dem EU-Parlament am Tag der offenen Tür der EU-Institutionen in Brüssel (Foto: Sabrina Pabst/DW)
Menschenschlange vor dem EU-ParlamentBild: DW/S. Pabst

Wie ein überdimensioniertes Raumschiff wirkt der Glaspalast des Europäischen Parlaments. Die Glasfassaden des riesigen Baus hinterlassen einen kühlen und distanzierten Eindruck. Abgeordnete der Europäischen Union beraten hier also über nahezu das gesamte EU-Recht. Das Europäische Parlament ist die größte demokratische Versammlung der Welt und das einzige direkt von den knapp 500 Millionen EU-Bürgern gewählte Organ. Aber kommt die Stimme und vor allem die Stimmung der Menschen dort an?

"2013 ist das Jahr des EU-Bürgers", steht auf dem Plakat über dem Eingang des Parlaments. Freundliche Worte, die mich empfangen. Doch sollte nicht jedes Jahr im Zeichen seiner Bürger stehen? Beim Europa-Fest öffnen die Europäischen Institutionen - also die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Europäische Ministerrat - an dem ersten Samstag im Mai ihre Türen. An diesem Tag wird an die Gründung des Europarates am 5. Mai 1949 erinnert. Ein weiterer Europatag ist am 9. Mai. An diesem Datum im Jahr 1950 formulierte der französische Außenminister Robert Schuman die Grundideen einer Europäischen Union.

Am Tag der offenen Tür besuchen interessierte EU-Bürger das Europäische Parlament. (Foto: Sabrina Pabst/DW)
Junge Europäer sind optimistisch: "Es wird zu einer Lösung kommen, die innerhalb einer Europäischen Union zu mehr Solidarität, Ausgleich und mehr Demokratie führen wird"Bild: DW/S. Pabst

Am Europatag kann der interessierte Bürger die EU-Politik hautnah erleben. Und auch ich möchte erfahren, wie die eigentlich funktioniert. Eine Menschenschlange bildet sich vor dem Gebäude. Unzählige Nationen sind hier versammelt. Der Platz der Solidarität im Herzen von Brüssel erwacht durch das Sprachenwirrwarr zum Leben. Familien, Touristen und Brüsseler aus der Nachbarschaft nutzen das bunte Angebot. Eine Brass-Band sorgt für eine ausgelassene Stimmung und die Besucher tanzen zu der Musik.

Europapolitik zum Anfassen

Nach einer kurzen Wartezeit und der Sicherheitskontrolle geht es einen langen Gang entlang, dem Menschenstrom hinterher. Es kommt mir vor, als würde ich so immer tiefer in die europäische Politik hineingezogen. Am Ende des Ganges empfängt mich eine Dame des Informations-Service: "Wollen sie ein Foto mit dem Präsidenten?“ Das ist klasse - Politiker zum Anfassen und das an einem Samstagmorgen. Martin Schulz, den Präsidenten des europäischen Parlaments, wollte ich immer schon persönlich treffen.

Doch die erste Enttäuschung wartet bereits. Martin Schulz wirkt desinteressiert. Sein Gesichtsausdruck sieht auf jedem Foto gleich aus. Auf Fragen antwortet er nicht. Das kann er auch nicht, denn der versprochene Politiker ist nur ein Pappaufsteller. Die allgemeine Begeisterung der Besucher scheint davon aber nicht getrübt: Sie posieren als Gruppen oder Familienfoto so, wie sie es wahrscheinlich auch mit der Wache vor dem Buckingham Palace in London würden.

Kritik ist heute unerwünscht

Europa - was ist das eigentlich? Frieden, Freiheit, Demokratie, Stabilität und Wohlstand: nach einem Jahrhundert voller Konflikte und zwei großen Kriege können alle Europäer sicher sein, dass sie innerhalb des Staatenbündnisses friedlich zusammen leben können. Die Besucher wollen an diesem Tag mehr erfahren über ihre Heimat, ihr politisches Mitbestimmungsrecht und die Zukunft eines Gebildes, das durch die Krise zu zerbröseln scheint.

Benjamin Bögel (Foto: Sabrina Pabst/DW)
Benjamin aus Belgien: "Europa braucht mehr Demokratie"Bild: DW/S. Pabst

Also mache ich mich auf die Suche. Bei einer Praxisübung erfahre ich, wie das Parlament abstimmt, und in nachgebauten Kabinen kann ich selber als Simultan-Dolmetscherin arbeiten. Ein Höhepunkt des Programms: EU-Abgeordnete laden zur öffentlichen Diskussion ein. Der Saal, der sonst für Pressekonferenzen genutzt wird, füllt sich mit Menschen. Die einzelnen Standpunkte werden in unterschiedliche Landessprachen übersetzt, jeder kann den Inhalten folgen. Doch leider entpuppt sich diese Debatte als ein Vortrag verschiedener EU-Abgeordneter über europäische Leitgedanken. Die Krise, mögliche Alternativen und Auswege, kritische Gedanken oder Zukunftsvisionen werden nicht erwähnt. Die Zuschauer verlassen ihre Plätze.

Brüssel als Sinnbild für die EU

Auf dem Weg zur Europäischen Kommission bummel ich durch die Straßen. Mir drängt sich der Gedanke auf, dass diese hektische Metropole die EU widerspiegelt. Geschichtsträchtige Gebäude und Prachtstraßen stehen neben futuristischen Glaspalästen. Baustellen lassen darauf schließen, dass ein gesellschaftlicher Umbruch im Zentrum Brüssels erfolgt. In unmittelbarer Nachbarschaft und in einem krassen Gegensatz zu der modernen Architektur der Eurokraten wirken einige Bauten eher heruntergekommen und vernachlässigt. Menschen verschiedenster Nationen teilen Brüssel als Heimat und leben dort zusammen auf kleinem Raum - genau wie im Schmelztiegel Europa.

Auf große bunte Tafeln haben Menschen ihre Nachrichten und Wünsche an europäische Abgeordnete geschrieben (Foto: Sabrina Pabst/DW)
Auf bunten Schildern hinterlassen die Besucher ihre Botschaft an das Europäische ParlamentBild: DW/S. Pabst

Die gigantische Europäische Kommission geht zwischen den vielen Baustellen fast schon unter. Der Menschenstrom hier ist nicht mit dem Andrang vor dem Europäischen Parlament zu vergleichen. José Manuel Barroso, der Präsident der EU-Kommission, ist bereits im Wochenende - sein Büro ist geschlossen. Nur im Erdgeschoss werden die einzelnen Kommissare, ihre Abteilungen und Projekte vorgestellt. Doch die konkreten Auswirkungen ihrer Arbeit auf die europäische Rechtslage, werden nicht erklärt. Ebenso nicht die Frage, wie alle drei Gremien - die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Ministerrat - zusammen für die Gesetzgebung verantwortlich sind.

Solidarität statt Recht des Stärkeren

Zurück auf dem Platz der Solidarität: Die Krisenstimmung in Europa und die eigenen Sorgen und Ängste scheinen hier an diesem Tag vergessen. Doch bei genauen Nachfragen, geraten die Besucher ins Grübeln. "Das Gute an den Protesten in Ländern wie Griechenland oder Spanien ist, dass die Menschen die Aufmerksamkeit der Politiker erreichen. Aber die Art und Weise wie sie das machen, ist beängstigend. Gewalt löst ihre Probleme nicht", erzählt mir Ana aus Slowenien.

Die Krise zeige, wie die Bürger fühlen. Aber die Lösung sollte auf europäischer Ebene und nicht in den betroffenen Ländern gefunden werden, meint die junge Slowenin. Sie und ihre Freundin Irene beobachten die politische Entwicklung in Europa schon seit Jahren. "Die Europäische Politik ist mit schwierigen Problemen konfrontiert, aber das ist sie nicht das erste und auch nicht das letzte Mal. Ich hoffe, dass wir auch diese Krise überstehen werden und dass aus ihr eine gestärkte Europäische Union wachsen wird, die international mehr Gewicht hat."

Irene (links) und Ana aus Slowenien zu Besuch in Brüssel (Foto: Sabrina Pabst/DW)
Irene (li.) aus Slowenien: "Die Bevölkerung will von den Politikern in Brüssel gehört werden"Bild: DW/S. Pabst

Die Basis für das gemeinsame Zusammenleben innerhalb der Europäischen Union seien die kulturelle Vielfalt, ein hohes Engagement zum Schutz der Bürgerrechte und gemeinsame Werte. Die EU sollte das gerade in der Krise betonen - erzählen mir die meisten Besucher auf dem Europa-Fest. Wichtig ist ihnen vor allem, dass nicht das Recht des Stärkeren regiert, sondern Solidarität und Diplomatie.

Transparentes EU-Parlament gewünscht

Francois ist Belgier und engagiert sich politisch in einer Jugendorganisation. Er sieht die Erweiterung der EU kritisch. "Europa wächst zu schnell." Die Mentalitäten der Bürger änderten sich nicht so rasant. "Wir haben demnächst 28 Mitgliedsstaaten. Wir müssten erst die EU-Erweiterung stoppen und dann Stabilität in Europa schaffen." Bisher komme es ihm vor, als wolle jedes Land seine eigenen Interessen wahren und niemand denke an Europa als Ganzes, erzählt mir Francois. "Ob kleine oder große Staaten, Nord- oder Süd-, Ost oder Westeuropa - die Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern werden außer Acht gelassen."

Jeder Staat habe sein Mitspracherecht. Doch die EU und die europäische Integration seien nicht selbstverständlich. Jetzt, in den Zeiten der Krise, seit sich die ursprünglichen Unterschiede wieder bemerkbar machen, gelte es erst recht, an den gemeinsamen Idealen und Werten festzuhalten, finden viele junge Europäer auf dem Europafest. Benjamin von den "Young European Federalists" sieht das Problem ähnlich. "Ein gemeinsames Europa beginnt bei gemeinsamen Wahlen - nicht nur des Parlaments, sondern auch der Kommission. Die EU-Bürger wissen nicht, wer überhaupt in Brüssel entscheidet. Sie beschuldigen zwar hinterher immer die Politiker in Brüssel - aber dass es eigentlich Politiker der einzelnen Vertragsländer sind, die hier Entscheidungen mittragen müssen, das lassen sie außer Acht."

Francois betreut einen Stand am Tag der offenen Tür in Brüssel (Foto: DW/Sabrina Pabst)
Tag der offenen Tür in Brüssel Mai 2013Bild: DW/S. Pabst

Eines hat mir der Tag in Brüssel verdeutlicht: Junge Europäer interessieren sich für das politische Geschehen. Viele von ihnen sehen aber skeptisch in die Zukunft und haben mit existenziellen Problemen zu kämpfen. Aber ihr Protest zeigt, dass sie bereit sind, sich politisch zu engagieren und für ihre Interessen zu kämpfen. Nun sollte die EU-Politik zeigen, dass sie sich für die Probleme der Bürger einsetzt und ihre Notlage lösen kann. Aus der gegenwärtigen Situation sollte ein Europa entstehen, das wirtschaftlich stark, sozial gerecht und demokratisch ist.