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Unmoralisches Spiel

Alexander Andreev10. August 2007

Am Ende der Freilassung der in Libyen zum Tode verurteilten Krankenschwestern stand ein faules Geschäft der EU mit Tripolis. Profitiert hat davon vor allem der libysche Staatschef Gaddafi, meint Alexander Andreev.

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Bild: DW

Es war ein langes und qualvolles Drama, bei dem kaum etwas ausgelassen wurde: HIV-infizierte Kinder, Verschwörungstheorien, Folter, Vergewaltigungen, Todesurteile und ein Happy End mit bitterem Nachgeschmack. Vieles deutet darauf hin, dass der libysche Revolutionsführer Muammar Gaddafi die fünf bulgarischen Krankenschwester und den palästinensischen Arzt von Anfang an als ein politisches Instrument einsetzen wollte. Während der acht Jahre hat er seinen Plan allerdings offenbar verändert und weiterentwickelt.

Zuerst wollte Gaddafi angesichts der in einem libyschen Krankenhaus mit dem HI-Virus infizierten Kinder die Aufmerksamkeit von dem - vor allem in arabischen Ländern - äußerst heiklen AIDS-Thema ablenken und aus Propagandagründen einen bösen ausländischen Feind und Schuldigen präsentieren. Und viele Libyer, die keinen Zugang zu unabhängigen Informationsquellen haben, waren tatsächlich von seinen haarsträubenden Theorien über eine CIA- und Mossad-Verschwörung zur Infizierung der Kinder überzeugt.

Gaddafi witterte seine Chance

Dann merkte Gaddafi, dass aus der Geschichte mehr herauszuholen sein könnte: Die etwa 100 Millionen US-Dollar Schulden Libyens an Bulgarien zum Beispiel, die Sofia offensichtlich bereit war zu streichen. Oder bulgarische Gelder für Krankenhäuser in Benghasi und für ein Anti-AIDS-Programm. Und als Bulgariens EU-Beitritt in greifbare Nähe gerückt war, hat er wohl die Chance gesehen, gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits Spitzenvertreter der EU-Staaten in die bis dahin nur von Bulgarien geführten Verhandlungen eingeschaltet.

Alexander Andreev
Alexander Andreev

Die Überlegungen des Revolutionsführers könnten folgendermaßen gelautet haben: Wenn es um die Rettung von unschuldigen EU-Bürgern geht, ist der Brüsseler Klub sehr leicht zu erpressen. Dies bestätigt sein Sohn Seif al-Islam al-Gaddafi unverblümt in seinem Al-Dschasira-Interview. Zweitens: Eine Paketlösung des Falles - die Freilassung der Krankenschwestern gegen Geld und unter gleichzeitiger Verbesserung der Beziehungen zur EU - würde ihm nicht nur die ersehnte Annäherung an die EU, sondern auch die innenpolitische Gesichtswahrung ermöglichen.

Drittens: Im Rahmen dieser Paketlösung ließen sich auch diverse bilaterale Vorteile für Libyen erpressen. Zum Beispiel die Freilassung des Lockerbie-Attentäters aus britischer Haft und Öl-Geschäfte mit BP, die in den Gesprächen mit Tony Blair als EU-Vermittler für die Krankenschwestern thematisiert worden sind. Oder das Waffen- und Reaktor-Abkommen, das mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ausgehandelt wurde.

Undurchsichtiges Engagement aus Katar

Oder das immer noch undurchsichtige Engagement des Emirs von Katar, der offenbar nicht uneigennützig einen Teil des Lösegeldes für die Freilassung der Inhaftierten bezahlt hat. Denn hier und da wird munter spekuliert, dass Katar an weiteren Geschäfte mit dem europäischen Konzern EADS, der Gaddafi mit Panzer-Abwehrraketten beliefern wird, lebhaft interessiert sei.

Es ist ein unmoralisches Spiel gewesen, worauf sich die Europäer da eingelassen haben. Besonders nach den Interview-Aussagen von Seif al-Islam al-Gaddafi, dass die Kinder noch vor dem Eintreffen der bulgarischen Krankenschwestern infiziert und dass die Inhaftierten gefoltert wurden, erscheint der Paketdeal der EU mit Libyen in einem äußerst dubiosen Licht. Denn die achtjährige Justiz-Farce war nichts weiter als eine Geiselnahme, an deren Ende – trotz mehrfacher gegenteiliger EU-Beteuerungen – eine Lösegeldzahlung und diverse weitere Gegenleistungen für die Geiselnehmer standen. Gar nicht davon zu reden, dass ein höchst unberechenbarer Diktator wie Muammar Gaddafi salonfähig gemacht und mit gefährlichen Hochtechnologien ausgerüstet wurde.

Unter dem Strich bleiben dennoch zwei halbwegs gute Nachrichten. Die Menschen in dem neuen EU-Land Bulgarien haben zum ersten Mal einen handfesten Beweis für die Vorteile der EU-Mitgliedschaft bekommen. Und die EU selbst blieb, trotz der Blessuren, zumindest einem ihrer Grundprinzipien treu: Dem Schutz des Lebens und der Menschenrechte ihrer Bürger.