Rad-WM in Doha - Eine traurige Veranstaltung
15. Oktober 2016Doha, The Pearl. Hoch ragen die Luxusbauten auf der künstlichen Insel auf. Dauerhaft bewohnt sind nur die wenigstens von ihnen. Das bekommt auch die UCI-Rad-WM zu spüren, deren Rennen vor allem auf diesem Areal ausgetragen werden. Nur sehr wenige Zuschauer stehen an der Strecke, nicht einmal 100 Fans wollen die Sieger auf dem Podium sehen.
"Um ehrlich zu sein, es ist für mich nicht WM-würdig, was hier passiert. Eigentlich interessiert es die Katarer nicht, was hier passiert. Und das ist traurig zu sehen", meint etwa André Greipel, Kapitän des deutschen Aufgebots für das Straßenrennen am Sonntag.
Greipel hat noch mit einem anderen Problem zu kämpfen. Er ist zwar der nominelle Kapitän, aber er hat Konkurrenz in der eigenen Mannschaft. Marcel Kittel ist offiziell der Joker und darf bei dem flachen Kurs auf eigene Rechnung fahren. Auch John Degenkolb hat Ambitionen. Er spekuliert darauf, die richtige Fluchtgruppe zu erwischen und dann den Titel zu holen.
Greipel: "Mannschaft könnte besser sein."
Greipel, der Kapitän, wirkt deshalb unzufrieden mit der Komposition der Mannschaft: "So, wie die Mannschaft ist, damit müssen wir uns arrangieren, wir alle. Mit Sicherheit können wir alle uns eine bessere Mannschaft vorstellen. Denn wir alle drei können das Radrennen gewinnen. Wenn jeder seine Unterstützung haben würde, seine Fahrer an der Seite, dann hätten wir alle größere Chancen auf den Sieg."
Das ist aber nicht der Fall. Greipel muss auf seinen wichtigsten Helfer Marcel Sieberg verzichten, das allerdings aufgrund einer Krankheit. Die Nominierung vom Sprintrivalen Marcel Kittel führt dazu, dass Greipel keine weiteren Helferbeine zur Verfügung stehen. Denn Kittel hat eigene Ambitionen. Das weiß Greipel, daraus macht Kittel auch kein Hehl. Erschwerend kommt hinzu, dass die deutsche Mannschaft insgesamt nur mit sechs Mann an den Start geht. Andere Teams haben neun Fahrer, weil sie in der Nationenwertung besser platziert waren als die Deutschen.
Als völlig verfehlt kann man die Nominierungspolitik dennoch nicht bezeichnen. Denn dieser WM-Kurs hat seine Tücken. "Man muss sagen, diese WM ist komplizierter als in den vergangenen Jahren, weil wir im Prinzip zwei Rennen haben. Wir haben den Außenbereich mit 150 Kilometer, wo die ganze Woche starker Wind war. Wir können mit sechs Mann nicht das ganze Feld zusammenhalten. Also ist es besser, man ist ein bisschen breiter aufgestellt und hat mehrere Optionen", meint Jan Schaffrath, sportlicher Leiter der Truppe.
Mehrere Eisen im Feuer
Die Hitze kann die Kraft aus dem Körper saugen, der Wind das Feld auseinander blasen. Schlau wäre es also, mindestens einen eigenen Mann vorn mit dabei zu haben. Der bärenstarke Zeitfahrweltmeister Tony Martin wäre ein Kandidat dafür, John Degenkolb ein anderer. Die reinen Sprinter Greipel und Kittel sollten in einem solchen Falle darauf hoffen, dass das Feld dank der Interessen anderer Mannschaften doch wieder zusammenkommt. Passiert das nicht, hätten Martin beziehungsweise Degenkolb die Finalchance.
Doch auch der zweite Teil des Rennens, der Rundkurs auf der künstlichen Insel The Pearl, hat seine Tücken, betont Schaffrath: "Er weist sehr viele Kurven auf. Beim U23-Rennen hat man gesehen, dass es Stürze bei der Verpflegungskontrolle gab. Es wäre fahrlässig gewesen, nicht alle drei zu nominieren. Es kann immer irgendetwas passieren, ein Defekt, einer verliert den Anschluss. Wenn wir da nur einen einzigen der Top-Fahrer mitnehmen, dann wird uns das die Presse und auch andere zu Recht vorwerfen."
Ein bisschen leitete taktisches Kalkül die Dreier-Nominierung. Ein bisschen war die Entscheidung auch von der Angst bestimmt, bei einem Fehlschlag ganz dumm auszusehen. Die deutsche Mannschaft ist daher ein Kompromiss-Team. Zumindest rauft es sich zusammen. "Wir gehen zusammen Kaffeetrinken, wir gehen zusammen ein Bierchen trinken, wir essen zusammen Eis - ich glaube, es gibt nicht so viele Konkurrenten, die das zusammen machen. Ich denke, wir verstehen uns gut, wir respektieren uns auch gegenseitig", meint Greipel.
Doch dann sagt er auch wieder den einen, den entscheidenden Satz: "Am Ende sind wir aber auch Fahrercharaktere, die das selbe vorhaben." Drei Fahrer im gleichen Trikot mit dem gleichen Ziel. Aber nur einer kann es erreichen. Und nicht zu vergessen: Da sind auch noch andere mit dem gleichen Ziel unterwegs - Titelverteidiger Peter Sagan, der starke Norweger Alexander Kristoff, Sprint-Shootingstar Fernando Gaviria, Altmeister Mark Cavendish.