Berlin ehrt Neubürger im Parlament
23. November 2015Deutschland und seine Migranten – das ist in diesen Zeiten ein Bild voller Gegensätze. Angesichts ausländerfeindlicher Gewalttaten und entsprechender Parolen braucht es wohl ein tiefergehendes Vertrauen, um als Einwanderer zu diesem Land gehören zu wollen. Die Menschen, die hier im prächtigen Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses sitzen, haben dieses Vertrauen. Es sind alles Neubürger, die erst vor kurzem die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben. Etwa 100 sind gekommen zur diesjährigen Einbürgerungsfeier in der Bundeshauptstadt. "Ihre Wahl ist auch ein Vertrauensvorschuss in unsere demokratischen Werte", begrüßt der Vizepräsident des Berliner Parlaments Andreas Gram seine Gäste. Der CDU-Politiker äußerte sich erfreut darüber, dass so viele Menschen aus aller Welt nach Berlin wollten und hier die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen wollten. "Das macht uns stolz!"
Bei den meisten im Publikum überwiegen persönliche Motive. Markau Kabothe aus Kenia sitzt in der Tracht ihres Herkunftslandes im Saal. Ihr Motiv zur Einbürgerung: Sie wollte in der Nähe ihres Mannes bleiben. "Der ist hier beerdigt, da gehe ich doch nicht weg!" Anna Conrad aus Polen ist mit ihrem Sohn Nathaniel zum Festakt gekommen. "Das ist schön, dass die uns eingeladen haben." Sie hat einen Deutschen geheiratet und weil sie schon Deutsch konnte, fiel die Entscheidung, zusammen in Berlin zu leben. Das war vor acht Jahren. "Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich das mit der deutschen Staatsbürgerschaft jetzt mal machen sollte." Jetzt haben alle in der Familie einen deutschen Pass. Anna Conrad fand die Einbürgerungsformalitäten ziemlich umständlich. Neben ihr nickt Douglas Grant voller Verständnis. Er ist vor 14 Jahren aus Jamaika gekommen und hat zwei deutsche Kinder. "Die könnten da wirklich etwas offener sein", meint er. Von seinem neuen Status als Deutscher erhofft er sich jetzt mehr Respekt und Anerkennung von seinen Mitbürgern.
Mitarbeiten und Mitgestalten
Den sollten sie sich aktiv erarbeiten, meint Yu Zhang. Die aus China stammende Professorin ist die Vorsitzende der Gesellschaft für Deutsch-Chinesischen Kulturaustausch. hält die Festrede vor den Neubürgern und - bürgerinnen an diesem Abend. "Machen sie Ihre Umgebung auf Ihre Herkunftsländer neugierig", rät sie den Neuen. Sie sieht Integration als "interaktiven Prozess" zwischen Migranten und Bundesbürgern. Besonders wichtig findet Yu Zhang, dass sich die Migranten am gesellschaftlichen und politischen Leben beteiligen. "Ein unauffälliges 'Mitleben' der neuen Bürger und Bürgerinnen ist keine Integration", warnt sie ihre Zuhörer.
Mit Skepsis verfolgt sie Tendenzen in der chinesischen Community, sich möglichst "unter dem Radar" der öffentlichen Wahrnehmung zu bewegen. Sie selbst ist vor 23 Jahren nach Deutschland gekommen und erinnert sich noch mit einiger Rührung an die ersten Erlebnisse nach der Ankunft: die Hilfsbereitschaft und Aufmerksamkeit der Deutschen. "Ich glaube, ich war sehr positiv eingestellt und das wurde dann von meiner Umgebung gespiegelt." Vor einigen Jahren wurde sie dann Deutsche. "Ich hatte das Land schon länger als meine zweite Heimat ins Herz geschlossen."
Schwächelnde Einbürgerungsbegeisterung
Berlin begeht die Einbürgerungsfeier nun schon zum dritten Mal. Der Eintritt in die deutsche Staatsbürgerschaft soll damit – nach all der trockenen Bürokratie – auch mit etwas Pathos und Festlichkeit gefüllt werden: Der Eintritt in eine Wertegemeinschaft mit Rechten und Pflichten. Allerdings ist diese Teilhabe gar nicht so gesucht, wie der Festakt glauben machen will. Die Einbürgerungsquote in Deutschland liegt weit unter dem, was möglich wäre.
Etwa drei Viertel der Ausländer in Deutschland, so eine Schätzung der Bundesregierung, könnten die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen – das sind zum Beispiel Berufs- und Bildungsabschlüsse in Verbindung mit einer mehrjährigen Aufenthaltsdauer in Deutschland. Aber nur etwas über zwei Prozent entschließen sich dazu, den deutschen Pass zu beantragen. 2014 waren es 108.420 Menschen, die eingebürgert wurden – die meisten von ihnen hatten türkische Wurzeln. Auch in Berlin stagniert die Zahl der Einbürgerungen bei rund 6.500 pro Jahr. Als eines der Kernprobleme werden die Hürden für doppelte Staatsbürgerschaften angesehen.